Blicke können nicht töten, aber sie können viel erzählen. Immer wieder blickt sich die junge Rani (Via Jikeli) ängstlich um. Ständig fürchtet sie, unter Beobachtung zu stehen. Ihr Ex Marek (Jonathan Berlin) könnte ihr und ihrer siebenjährigen Tochter Mia (Pola Friedrichs) an jeder Ecke auflauern. Zu oft hat er Rani schon Angst gemacht. Regisseurin Franziska Margarete Hoenisch zeigt diese Angst nicht nur, indem sie Rani und deren Tochter über Schulhof und Spielplätze durch Bremen folgt. Sie schlüpft auch in sie hinein. Aus der Perspektive eines Stalking-Opfers zu erzählen, nimmt „Tatort – Solange du atmest“ wörtlich. Statt Schnitten verbinden sich die Bilder aus der Vergangenheit durch ein kurzes, sich wiederholendes Abdunkeln. Es simuliert Ranis Lidschlag. Was hier passiert, passiert vor ihren Augen. Ob in der Vergangenheit, in ihrer Einbildung oder in ihren bösen Träumen? Wir wissen es nicht.
Foto: RB / Claudia Konerding
Früher als Rani wissen wir aber, dass ihre Angst unbegründet ist. Marek Kolschak ist tot. Nach nervigen Stunden der Ungewissheit konnte die Leiche an der Weser identifiziert werden. Neben der Spur zu Rani und deren Mitbewohnerin Paula (Sarina Radomski) folgen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) einem zweiten Verdacht. Wie Linda Selb hat auch Marek Kolschak in einer Drogensache recherchiert und herausgefunden, wer für den Tod des erst 16-jährigen Lenny verantwortlich ist. Das Drehbuch (Judith Westermann) jongliert fortan mit drei Bällen: Dem aktuellen Mordfall und Stalking-Verdacht, Selbs letztem, noch nicht endgültig gelösten Fall und zwei Kommissarinnen, die sich durch unabgesprochene Alleingänge hoffnungslos entzweien.
Die Konstruktion der zerstrittenen Ermittlerinnen stellt sich schnell als Schwachstelle des siebten Falls mit dem Bremer Doppel Moormann/Selb heraus. Die vor sich her getragene Kälte nervt, die Zickerei langweilt auf die Dauer und die auf mehreren inhaltlichen Ebenen ausgespielte Konkurrenzsituation wirkt aufgesetzt. Entsprechend steif agierend wirken die beiden Hauptdarstellerinnen unterfordert. Bauer muss sich mit dem Trotzkopf bescheiden, Wolfram schaut mit starrem Blick ins Nichts und schlägt mit scharfen Halbsätzen um sich. Dass die dritte Frau im Team (Helen Schneider in der Rolle von Gerichtsmedizinerin Edda Bingley) die Kolleginnen mit einem scharfen „Ladies“ zur Raison bringt und dabei ebenfalls nur ihr Revier absteckt, macht das Zusehen nicht unterhaltsamer.
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Glücklicherweise wandeln und entfalten sich andere Figuren. Den Anfang macht Stalkingopfer Rani. Nach einem Sturz auf der Flucht vor der Polizei wird sie im Krankenhaus von Linda Selb (vor der himbeerfarbenen Tapete des Krankenzimmers wirkt Luise Wolfram hier zumindest visuell weich) befragt. Im Gespräch zeigt sie erstmals Gefasstheit und Stärke, wo bisher nur Unsicherheit war. Die Nachricht von Mareks Tod löst widersprüchliche Reaktionen in ihr aus. Erleichterung, Traurigkeit und Scham, Weinen und Lachen brechen sich zugleich Bahn. Ein Moment, den Via Jikeli berührend und überzeugend rüberbringt.
Unmerklich schleicht sich ab diesem Moment eine neue Tonalität in den Krimi. Das bedrohliche Moment rückt mit Mareks Tod in den Hintergrund und lässt Raum, um nüchtern und scheinbar nebensächlich von sozialer Not zu erzählen. Von der Not alleinerziehender Mütter. Von der Einsamkeit Alleinlebender. Von Menschen, die nur wahrgenommen werden, weil man sie braucht, nicht weil einer sie liebt. Und von Menschen, die sich in falschen Rollenverständnissen verkanten. Auch Moormann und Selb wirken in dieser Welt verloren. In den Außenaufnahmen postiert Regisseurin Hoenisch die beiden in eine Reihe von Durchgangsstationen. Da gibt es Parkhäuser, öde Spielplätze, leere Straßenzüge, eine Hafenbrache. „Tatort – Solange du atmest“ zeigt wenige Orte, an denen es sich gut leben lässt. Dafür dekorierte Idyllen, in denen nichts stimmt. Inszenierung gelungen, Streiterei gern einstellen.