Eine leidenschaftliche Affäre zwischen einem Star und einem Sternchen geht zu Ende. Bei einem letzten Treffen der beiden, kommt es zu einer brisanten intimen „Situation“. Was für die Frau eine Vergewaltigung ist, hält der Mann allenfalls für ein Missverständnis in der Kommunikation. Anfangs hätte möglicherweise noch eine Entschuldigung genügt, mit der Anzeige der Frau aber kommt ein unaufhaltsamer, öffentlicher Eskalationsprozess in Gang. An dem Fall werden sich in der ARD-Serie „37 Sekunden“ die Geister scheiden; auch die Zuschauer:innen werden möglicherweise hin- und hergerissen sein. Und wie soll ein Gericht ein gerechtes Urteil fällen, über einen so intimen Augenblick einer Beziehung, in der immer noch Liebe im Spiel ist? Dass die Serie von Bettina Oberli (Regie) und Julia Penner & David Sandreuter (Buch) viereinhalb Stunden lang fesselt, ist neben der durchdachten Dramaturgie, dem alltagsnahen Spiel des Top-Ensembles und der zwischentonstarken Inzenierung auch dem narrativ dichten Dreiklang aus Familie, Affäre und Freundschaft zu verdanken: Die Kommunikationsmöglichkeiten sind dadurch sehr viel größer, das Spannungsfeld breiter, die moralischen Zwischentöne vielfältiger. Das Ergebnis: ein absolutes Serien-Highlight!
Der Fernsehfilm „Nichts, was uns passiert“ (WDR / Gaumont) weitet den Blick für das gesellschaftliche Phänomen sexualisierte Gewalt und sensibilisiert für seine strukturellen Zwischentöne. Die Hauptfigur will nicht nur „keines dieser Metoo-Opfer“ sein, auch die Erfahrungen jener Nacht und ihre Gefühle danach gehören für sie nicht zu einem typischen Vergewaltigungsszenario, wie es ihr die Gesellschaft vorerzählt hat. Der Film von von Julia C. Kaiser geht von der Prämisse aus, dass es mehrere Wahrheiten gibt, insbesondere bei solch schwierigen Sachverhalten, und dass dabei eine Person nicht vorsätzlich lügen muss. Indem die Autorenfilmerin eine Podcasterin einführt, die nicht nur die beiden Hauptbetroffenen interviewt, baut sie klug eine Diskurs-Ebene in die Narration ein, die deutlich macht, wie komplex diese spezielle Kommunikation einer Vergewaltigung ist. Das multiperspektivische Erzählen und der Verzicht auf jegliche Art von Voyeurismus, also auch das Ausblenden der dramatischen Ereignisse in jener Nacht, erweisen sich – auch für den Betrachter – als zwingend. Ja geradezu vorbildlich ist diese Dramaturgie mit ihrer sprunghaften und doch homogen wirkenden Erzählung, in der die Zeiten & Standpunkte stimmig ineinanderfließen, emotional moderiert von der unglaublich präsenten, preiswürdigen Emma Drogunova.
Eine 16-jährige wird von drei Klassenkameraden auf einer Party vergewaltigt. Alkohol & Drogen sind im Spiel; das Mädchen kann sich an nichts erinnern. Einer der drei ist ihr bester Freund. Auch ihre beiden Mütter stehen sich nah… Der bis ins Detail äußerst stimmige ARD-Fernsehfilm „Alles Isy“ (RBB / DRIFE Filmproduktion) erzählt eine unfassbare und gleichsam alltagsnahe Geschichte. Das Geflecht der Beziehungen ist engmaschig, das Dilemma umso größer. Die Perspektiven wechseln ebenso wie die Haltungen. Es geht um Schuld, Sühne, Moral, Verantwortung. Die Vergewaltigung betrifft viele im Film, wirklich betroffen sind aber nur wenige. Dem Zuschauer indes geht diese Geschichte nahe, weil sie zwar viele Zeitgeist-Phänomene anspricht, aber sich nichts aufzwingen lässt. Es ist in erster Linie kein pädagogischer Themenfilm, kein Beratungsfilm für Opfer, und doch ist das gesellschaftliche Phänomen „sexuelle Gewalt“ in diesem dichten, vielschichtigen Drama gut aufgehoben. Als Diskussionsgrundlage vor allem auch für Jugendliche selbst ist dieser frisch & jugendaffin inszenierte TV-Film bestens geeignet. Ein Pflichtprogramm für Schulen?
Exzellenter „Tatort“-Auftakt im Jahr 2022: Die Stuttgarter Kommissare Lannert (Richy Müller) & Bootz (Felix Klare) ermitteln nach einer Weihnachtsfeier in einem Versicherungs-Unternehmen, bei der ein leitender Angestellter in den Tod stürzte. Zuvor hatte er heimlich ein Video gedreht, das seine Konkurrentin beim Sex mit dem Chef zeigt. Aber was genau zeigt das Video wirklich? Sehen wir nur das, was wir sehen wollen? „Videobeweis“ (SWR) ist eine spannend und dicht inszenierte Episode um die Aussagekraft scheinbar eindeutiger Bilder. Rudi Gaul (Buch, Regie) spielt in dem Drama gekonnt mit verschiedenen Bildebenen. Herausragend das Spiel von Ursina Lardi, und auch der sonst auf eher komische Figuren spezialisierte Oliver Wnuk überzeugt in einer ernsten und dramatischen Rolle.
Einzigartiger Name + Trauma = Superheldin. So denkt sich Amelie ihre fabelhafte Welt. „Angemessen Angry“ (Studio Zentral), so der Titel dieses RTL-Serien-Nachwuchsprojekts, bringt die Stimmungslage der Heldin, die vergewaltigt wird und mit Superkräften ausgestattet ihren Kampf gegen sexuell übergriffige Männer aufnimmt, präzise auf den Punkt. Es war an der Zeit, nach Ausnahme-Dramen wie „Nichts, was uns passiert“ oder „37 Sekunden“ endlich auch hierzulande das Thema Vergewaltigung an ein populäres Genre zu übertragen, es zielgruppengerecht als Dramedy, also ernsthaft & leicht zugleich, zu erzählen. Noch erfreulicher ist das großartige Ergebnis! „Angemessen Angry“ ist dicht, stringent und steckt voller origineller Ideen. Filmisch überzeugt die fünfteilige Serie ebenso: keinerlei Leerlauf, und jede zweite Szene ein Knaller. Auch die Besetzung kann sich mehr als sehen lassen.
„So laut du kannst“ (ZDF / Relevant Film) ist ein Film, der sich im Gegensatz zu den häufig auf Rache oder blauäugige Lösungen fixierten Vergewaltigungsplots aus Hollywood der bitteren Wirklichkeit verschrieben hat. So werden zwei beste Freundinenn gezeigt, die sehr unterschiedlich mit einer Vergewaltigung umgehen. Da ist die direkt Betroffene, die nach dem Gefühl der absoluten Ohnmacht, vor allem ins alten Leben zurückfinden möchte. Die andere indes will kämpfen und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Allerdings übergeht sie dabei die Bedürfnisse ihrer Freundin. Beide Haltungen sind nachvollziehbar und werden nicht gegeneinander ausgespielt. Der Film, von wahren Ereignissen aus England inspiriert, ist dramaturgisch dicht, narrativ komplex und hat auch filmästhetisch viel zu bieten. Die Kamera geht immer wieder nah ran an die Gesichter, erkundet im Mienenspiel die differenzierten Gefühlslagen: Bei Friederike Becht und Nina Gummich gibt es sehr viel zu entdecken…
Eine Fachanwältin für Sexualrecht soll das Mandat für zwei sehr unterschiedliche Männer übernehmen: Der eine ist ein bekannter Gangsta-Rapper, der andere ist ein erfolgreicher Manager. Beide werden der Vergewaltigung bezichtigt. Lars Becker wollte keinen plakativen #MeToo-Film mit eindeutiger Opfer-Täter-Zuschreibung machen. Und „Wahrheit oder Lüge“ (ZDF / Network Movie) sollte ein Drama bleiben, das ganz ohne Krimi-Genre-Konventionen auskommt. Das ist dem „Nachtschicht“-Erfinder ausgesprochen gut gelungen. Neben der Klasse-Besetzung mit Natalia Wörner als taffer, sehr sachlicher Strafverteidigerin überzeugt der Film vor allem durch seine dramaturgische Umsetzung. So verzichtet Becker auf Rückblenden; die mutmaßlichen Missbrauchsfälle werden allein verbal präsentiert: Alle vier Personen, die in die beiden Fälle involviert sind, schildern die Ereignisse aus ihrer Sicht. Der Film ist ein Einzelstück, aber diese Annabelle Martinelli hat durchaus das Zeug zu mehr!
Sexuelle Übergriffe im Sport. Zurzeit ist es der ungefragte Kuss eines Verbandschefs auf den Mund einer Fußballspielerin. Dunkler wird es, wo das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern ins Spiel kommt. Wo die Opfer über Jahrzehnte schweigen und bis heute traumatisiert sind. „Wir haben einen Deal“ (ZDF, Arte / Rat Pack Filmproduktion) spielt die Folgen eines verdrängten Missbrauchs an einem beruflich erfolgreichen Familienvater durch. Dabei blendet die Erzählung alles Verzichtbare aus. Sie konzentriert sich auf ein paar Begegnungen und Dialoge, die die zerstörerische Kraft der psychischen Last auf den Punkt bringen und zeigen, wie sie Vergangenheit und Gegenwart des Protagonisten vergiften. Geschickt umgeht „Wir haben einen Deal“ den moralischen Appell. Dafür macht das bei der Premiere auf dem Münchner Filmfest mit dem Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis ausgezeichnete Drama deutlich, warum wer wann den Mund nicht aufbekommt.
„Alles ist gut“ ist kein Themenfilm über eine Vergewaltigung, sondern das Porträt einer jungen Frau, die durch den körperlichen Übergriff in ihrem Selbstverständnis erschüttert wird. Eva Trobischs Film ist noch vor der #Metoo-Debatte entstanden. Danach hätte sie ihn wohl eher nicht gemacht. Psychologische Gut/böse-Szenarien interessieren sie nicht, lieber erforscht sie soziale Systeme. „Unsere Gesellschaft hat sehr klare Vorstellungen davon, wie sich ein ‚Opfer‘ fühlt und wie es sich zu verhalten hat. Darauf hat Janne aber keine Lust.“ Die seelischen Folgen sind unübersehbar. Der zahlreich preisgekrönte Debütfilm im Stile der Berliner Schule ist würdiger Auftakt der diesjährigen ARD-Filmdebüt-Reihe.
Im Drama „Bis zur Wahrheit“ (NDR / Atalante Film, Nordfilm) spielt Hauptdarstellerin (und Produzentin) Maria Furtwängler eine Ärztin, die vom Sohn ihrer besten Freundin vergewaltigt wird. Der eindringliche Film stellt das Opfer in den Mittelpunkt und offenbart die diffamierenden Klischees und Vorurteile gegenüber einer vergewaltigten Frau, mit denen das Umfeld die unbequeme Wahrheit abzuwehren versucht. Furtwängler liefert unter der umsichtigen Regie von Saralisa Volm eine der stärksten Schauspiel-Partien ihrer Karriere ab. Die berechtigte Kritik an den herrschenden Zuständen hat allerdings auch eine problematische Seite: Der Film legt die Schlussfolgerung nahe, dass es ohnehin nichts bringt, wenn sich Vergewaltigungsopfer an Polizei und Justiz wenden.
Im 80. Fall aus Ludwigshafen erzählt Martin Eigler, Odenthal-Regisseur der ersten Stunde, mehrperspektivisch und zeitlich verschachtelt die Umstände eines Juristenmordes. Parallel dazu konzentriert sich „Tatort – Dein gutes Recht“ (SWR) auf Kommissarin Odenthal, die ins Visier der internen Ermittlung gerät. Aus der Kombination der beiden Handlungsstränge ergibt sich ein spannender Fall, der der Tatort-Veteranin den Raum gibt, der ihr in einem Jubiläumsfall zusteht. Ulrike Folkerts geht mit großer Ruhe durch den Sturm.
Nach einem angenehmen Abend mit dem attraktiven Arzt Hendrik erwacht Lehrerin Laura am nächsten Morgen mit der Gewissheit, dass sie vergewaltigt worden ist, aber sie kann sich an nichts mehr erinnern. Da Hendrik versichert, der Sex sei einvernehmlich gewesen, steht Aussage gegen Aussage. Das Handlungsmuster des als vierteilige Miniserie konzipierten Sat-1-Zweiteilers „Du sollst nicht lügen“ basiert auf einem britischen Vorbild, erinnert aber an andere Filme mit ähnlichen Geschichten. Weil die filmpool-Produktion mehr Drama als Krimi ist, geht es weniger um die Überführung des Täters; Laura will vor allem verhindern, dass Hendrik noch weitere Opfer findet. Regisseur Jochen Alexander Freydank verzichtet auf spekulative Bilder. Optisch gelungen ist vor allem die Verknüpfung der ungeschminkten Gegenwart mit den in warmen Farben gehaltenen Rückblenden. Schauspielerisch ist der Film ohnehin sehenswert, auch wenn die Rollenverteilung aufgrund der Besetzung mit Felicitas Woll und dem „vorbelasteten“ Barry Atsma früh verdeutlicht, wem der Titel gilt.
Ann-Kathrin Kramer spielt eine Frau, die einer massiv vom Chef bedrängten Mitarbeiterin beisteht, die nicht wegschauen will und um die es zwischenzeitlich ziemlich einsam wird. „Mit geradem Rücken“ lebt vom hohen Identifikationspotenzial jener Hella Wiegand, Floor-Supervisor in einem Hamburger Luxushotel. Der Film verschreibt sich keinem Genre, sondern bleibt beim Thema und bei seiner Heldin, er ist spannend und besitzt einen guten Flow.