Ständige Nachtarbeit ist nicht gesund, weder für den Körper noch für die Seele. Trotzdem gibt es Menschen, die bevorzugt Nachtdienste verrichten und das auch gern tun. Ob sie sich selbst als „Nighties“ bezeichnen würden, sei dahingestellt; so könnten schließlich auch Gestalten heißen, die im Dunkeln allerlei Unwesen treiben. Davon ist das fünfköpfige Ensemble dieser ZDF-Serie allerdings weit entfernt. „Nighties“ ist acht kurzweilige Folgen lang derart reich an Tempo und Abwechslung, dass es normalerweise für mehrere Produktionen reichen würde. Schon die ersten neunzig Sekunden wecken die Hoffnung, dass Melina Natale – die Serie ist ihr Debüt als „Creatorin“ und Chefautorin – gemeinsam mit dem Regieduo Matthias Koßmehl und Suki M. Roessel etwas Besonderes gelungen ist, und der Prolog verspricht in der Tat nicht zu viel: Von den insgesamt rund 200 Minuten ist nicht eine überflüssig, zumal die turbulente Handlung wie auch die Umsetzung immer wieder für Überraschungen sorgen.
Foto: ZDF / Frank Dicks
„Nighties“ spielt ausschließlich im „Prinzenhof“, einem Münchener Hotel in Bahnhofsnähe, dessen Charme sich mit viel Wohlwollen als „in die Jahre gekommen“ bezeichnen ließe. Seine Glanzzeit, wenn überhaupt, hatte das Haus vermutlich in den Sechzigern, wie die angestaubte Einrichtung vermuten lässt. Trotzdem strahlt es zumindest innen eine gewisse Behaglichkeit aus. Das Personal geht seiner Arbeit mit großer Hingabe nach. Das dürfte vor allem an der Chefin liegen: Millie hat den „Prinzenhof“ von den Großeltern geerbt; mit ihren vier Angestellten verbindet sie weit mehr als bloß ein kollegiales Verhältnis. Die Episoden sind in sich abgeschlossen, die Reihenfolge ist im Grunde egal, weil es keine horizontalen Handlungsstränge gibt; aber die beiden letzten Folgen haben eindeutig Bonus-Charakter und fallen derart aus dem Rahmen, dass sie einen würdigen Abschluss bilden.
Die Serie vermittelt ohnehin den Eindruck, als hätten die Beteiligten so viel wie möglich ausprobieren und ihr Publikum durch eine Vielzahl von Anspielungen und Verbeugungen erfreuen wollen. Nahezu jede Folge ist von einer Referenz geprägt: In der Episode „Die Nacht mit dem Ring“ will Millie ihr Personal mit Sachen belohnen, die die Gäste vergessen haben, darunter auch ein kostbarer Ring, der umgehend einen erbitterten Wettstreit entfacht; sogar die Chefin verwandelt sich vorübergehend in Gollum. In der „Nacht mit dem Schmetterling“ (eine Anspielung auf den Butterfly-Effekt) gerät Millie in eine Zeitschleife, die erst stoppt, als sie lernt, die ständigen Beschwerden eines Gastes mit einem beherzten „Nein!“ zu beenden.
Foto: ZDF / Frank Dicks
Soundtrack:
Blondie („Call Me“), College & Electric Youth („A Real Hero“), Blue Oyster Cult („The Reaper”), Bill Medley & Jennifer Warens („The Time Of My Life”), Landshapes („The Ring”), Suzi Quatro („Can The Can”), Real McCoy („Another Night”), Michael Kiwanuka („One More Night”), Michel Polnareff („Love Me, Please Love Me”), Dusty Springfield („Wishin’ and Hopin’”), Donovan („Hurdy Gurdy Man”), Rick Springfield („Jessie’s Girl”), Queen („Crazy Little Thing Called Love”), Brenda Lee („I’m Sorry”), Fred Buscaglione („Guarda che luna”), Spider Murphy Gang („Skandal im Sperrbezirk”), Neil Diamond („Sweet Caroline”), The Rattles („The Witch”), Opus („Live Is Life”), Robbie Williams („Angels”), Münchener Freiheit („Ohne dich”)
Ein stilistisches Kleinod und ein echter Knüller ist „Die Nacht, in der es nicht brannte“. Diese vorletzte Folge haben Matthias Koßmehl und Kameramann Felix Striegel als Hommage an die amerikanischen Krimis der „Schwarzen Serie“ aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren gestaltet; das Spiel mit Licht und Schatten erinnert kräftig an Carol Reeds Spionage-Thriller „Der dritte Mann“ (1949). Auch akustisch unterscheidet sich diese Episode, in der Millie (Tamara Romera Ginés) ihre Freundin und Türsteherin Adriana (Stella Goritzki) bittet, einen rätselhaften Brand aufzuklären, deutlich von den anderen: Dort geht die Liste der oft nur kurz angespielten, aber stets mit Bezug zur Handlung eingesetzten Popsongs in die Dutzende, hier werden die Szenen von einer Musik (Anna Kühlein) untermalt, die ebenfalls den Klassikern nachempfunden ist.
Foto: ZDF / Frank Dicks
Viele Ideen am Rande machen die Serie ohnehin zu einem Fest für Genre-Fans: In der „Film Noir“-Folge erklingt das gepfiffene Motiv aus „M – eine Stadt sucht einen Mörder“, und in „Die Nacht mit ohne Ruhe“ inszeniert Koßmehl jeden Auftritt eines schlaflosen Gasts als Horrorfilmmoment. Der Kontrast zum Kehraus könnte kaum größer sein. Der Titel „Die Nacht der trinkenden Toten“ ist zwar nicht ganz korrekt, denn niemand stirbt, aber die Parallele zur Mutter aller Zombie-Filme, George A. Romeros „Nacht der lebenden Toten“ (1968), ist durchaus angebracht: Weil während des Oktoberfests statt des bestellten Festbiers versehentlich ein Fass Starkbier geliefert worden ist, verwandeln sich die Gäste umgehend in Zombies, die dem Personal an die Wäsche wollen; für diesen Dreh hat Regisseurin Roessel offenbar das Motto „Außer Rand und Band“ vorgegeben. Haust in einem „schwarzen Loch“ hinter der Theke tatsächlich ein Monster?
Trotz der eindrucksvoll vielen Einfälle – in einem „schwarzen Loch“ hinter der Theke haust anscheinend ein Monster – lebt „Nighties“ vor allem vom Ensemble. Die Serie wäre schon allein wegen Tamara Romera Ginés sehenswert; die Rheinländerin mit spanischen Wurzeln hat bereits in „Balko Teneriffa – Doppelt hält besser“ (2022, RTL) Jochen Horst und Ludger Pistor die Show gestohlen. Auch die weiteren Mitwirkenden holen mehr aus ihren Klischeerollen raus, als eine flüchtige Figurenbeschreibung erwarten ließe. Barmann Rafael (Ben Felipe) zum Beispiel hat ein Gedächtnis wie ein Goldfisch und auch nicht viel mehr IQ, ist Millie aber ebenso treu ergeben wie die südländisch temperamentvolle Köchin Franca (Mariananda Schempp). Star des Hauses ist jedoch Charles; Adnan Maral versieht den stets geschniegelten Rezeptionisten auch in potenziell peinlichen Momenten mit großer Grandezza. Aus Sicht des Fünf-Sterne-Concierge ist der „Prinzenhof“ eine billige Absteige; aber wo hätte jemand wie Ryan Gosling mehr Privatsphäre als hier? Natürlich würde sich kein Hollywood-Star je in dieses Etablissement verirren, doch die Pointe von „Die Nacht mit dem VIP“ ist eine ganz andere, und auch das ist ein Qualitätsmerkmal der Serie: Es kommt nie so, wie Personal und Publikum denken.