„Der letzte Kurier“ (1996) erzählt die Geschichte einer gutsituierten jungen Frau, die erfahren muss, dass ihr Mann offensichtlich schon seit Jahren ein Doppelleben führt. Nach außen der friedvolle Kunsthändler, im Verborgenen ein Mann, der in den Kreisen der Russen-Mafia verkehrt und weitere dunkle Seiten zu haben scheint… Eine drastische Geschichte um Kinderschänder und Russenmafia hat Autor Matthias Seelig zu einer stimmigen Genre-Erzählung verdichtet. Alles in diesem Zweiteiler von Kinofan Adolf Winkelmann, die brillante Technik, die authentische Optik, die glaubhaften Schauspieler, die Story um Moral und Geschäft, all das fügt sich zu einem stimmigen Ganzen, das die Sinne betört und den Verstand kitzelt. Ein authentisches Genre-Meisterwerk, das auch noch nach 20 Jahren überzeugt!
Das organisierte Verbrechen im Fadenkreuz des LKA Berlin. Opfer und Täter, korrekte und korrupte Gesetzeshüter treffen auf die Härte sich gegenseitig bekriegender russischer Mafia-Banden, slawisches Neureichentum stößt auf die naiven Träume ukrainischer Mädchen. Rolf Basedows Geschichten besitzen eine „Seele“ und das Drehbuch eine Qualität, die sich sowohl in brillant erzählten Details als auch in großen Bögen widerspiegelt. Der klassische Polizeifilm wird veredelt durch eine ausgeklügelte multiperspektivische Dramaturgie. Dominik Grafs in jeder Hinsicht überragende Mini-Serie versöhnt Genre-Tradition mit Serien-Moderne.
Johann Rettenberger ist Marathonläufer und Bankräuber – beides sehr erfolgreich. Alles muss dieser Mann unter Kontrolle haben. Er ist ein Getriebener und bald ein Gejagter. Kann es für einen solchen Endorphin-Junkie Erlösung geben? „Der Räuber“, ein Kinofilm „nach einer wahren Begebenheit“, wirkt wie eine deutsche Arthaus-Variante des US-Independent-Hits „Drive“, wie ein Ausflug der „Berliner Schule“ ins Genrefach der Melvilleschen Gangster-Ballade. Stimmig die Komposition aus Geschichte und formaler Gestaltung. Fulminant die Montage, agil die Kamera, wuchtig das Sounddesign. Nicht nur ästhetisch meisterlich!
Ein Teenager, der eine Club-Nacht nicht überlebt. Ein junger Mann, der von seinen besten Freunden getötet wird. Ein V-Mann, der ein gefährliches Doppelspiel spielt. Ein Deutscher und ein Ghanaer, die sich beide von einer Millionenerbin Großes erträumen. Vier Geschichten, die von dem „ZEIT“-Podcast „Verbrechen“ (X Filme Creative Pool) inspiriert wurden. Vier Filme, zusammengefasst zu einer bereits preisgekrönten Anthologie-Serie, die sich mehr am Arthouse-Kino orientiert als an den herkömmlichen Krimi-Erzählungen des deutschen Fernsehens. Diese unvergleichliche Produktion, beauftragt von Paramount+, gezeigt von RTL+, kommt den Anthologie-Serien nach Ferdinand von Schirach noch am nächsten, konzeptionell, filmisch jedoch sind die Filme das Radikalste, was es in diesem Genre bisher gab. Es geht mächtig zur Sache, Gewalt dominiert viele Bilder, Dynamik und Bewegung sind formale Prinzipien. Die Schauspieler agieren physisch wie im Genrekino, die Dialoge sind alltagsnah, die Ästhetik wirkt oft rau & rüde, eine Moral oder Message wird nicht vorgegeben. Die Filme bieten jedoch reichlich Diskussions- und Reflexionspotenzial.
Zwei Welten stoßen aufeinander. Ein russischer Aussiedler, fern von der Heimat, und eine junge Berlinerin, die noch auf der Suche nach sich selbst ist, begegnen sich in Hartmut Schoens stimmungsreicher Großstadtballade „Zuckerbrot“. Die beiden Lebensstile kollidieren anfangs. Doch das Fremde bekommt nach und nach etwas Vertrautes. Jeder lernt vom anderen. Und plötzlich sind sie ein Liebespaar, der Narr und seine struppige Prinzessin. Dem ehemaligen Dokumentarfilmer ist eine ungewöhnliche Genrefilm-Märchen-Mixtur gelungen, bei der es viel zu entdecken gibt, ein Film, der einen staunen macht und der zeigt, was im Fernsehen machbar ist – um 23 Uhr! Dafür holte sich Schoen seinen 5. Grimme-Preis.
Ein libanesischer Clan herrscht im Berliner Problembezirk Neukölln. Anführer Toni und seine harten Jungs kontrollieren „4 Blocks“ rund um die Sonnenallee. Der Schauplatz gibt der sechsteiligen Mafiaserie ihren Namen. Die „4 Blocks“ stehen auch für das, womit die arabische „Familie“ ihr Geld verdient: Mädchen, Casinos, Drogen, Schutzgeld. Ein starkes Stück Serien-Fernsehen: brisant, brachial, bildgewaltig. Inspiriert von realen Ereignissen, eigen das Zusammenspiel von Musik & Sprache, mit einer für eine deutsche Serien ungewöhnlichen Tonalität & dem überaus präsenten Kido Khodr Ramadan als Toni.
„Chiko“ erzählt genrebewusst vom Aufstieg und Fall eines Hamburger Drogendealers. Der Film beginnt als cooler und lockerer Gangfilm, schraubt sich gewalttätig zur Gangsterballade, um als klassische (Freundschafts-)Tragödie mit einer leisen Kritik am Turbo-Kapitalismus zu enden. Geradlinig die Story, schnittig die Montage, physisch direkt die Schauspieler, schmissig der Soundtrack. Das hämmert und kracht und ist nichts für Zartbesaitete!
„Dunckel“, das preisgekrönte Debüt von Lars Kraume aus dem Jahre 1998, ist ein Meilenstein der ZDF-Nachwuchsreihe „Das kleine Fernsehspiel“. Drei Sponti-Brüder bringen sich nach einem Banküberfall mit zwei Toten getrennt in Sicherheit. Doch ihre Fluchten sind zum Scheitern verurteilt. Kraume erzählt die Geschichten der drei ungleichen Brüder nacheinander. Ein kraftvoller, psychologisch austarierter Genrefilm zwischen Realismus-Touch und Stilisierung – mit einer Top-Besetzung bis in die kleinste Rolle (Buchholz, Glowna)!
Sie sind jung, klauen Autos, schnupfen Koks und wissen nicht, was morgen sein wird. Als nach dem Tod eines Gruppenmitglieds der Neue die Gruppe aufmischt und auch noch in die Freundin vom Boss verguckt, eskaliert das vermeintliche Nur-Spaßhaben und endet in Gewalt. Mark Schlichters preisgekrönter Debütfilm, produziert vom „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF, kostete schlappe 900.000 Mark und schaffte sogar den Weg ins Kino. Für Christiane Paul war der Film, der wie eine Hommage an Scorseses „Hexenkessel“ oder auch an die Asphaltwestern von Abel Ferrara aussieht, der Beginn einer einzigartigen Karriere.
Einen Geldtransporter zu überfallen, ist harte Arbeit. Und immer muss man aufpassen, dass einen keiner über den Tisch zieht oder abknallt. Das Verbrechen ist ein Geschäftsfeld wie jedes andere in Thomas Arslans Gangsterfilm „Im Schatten“. Die Handlung wird entkernt, die Psychologie entfernt, blutig lakonisch das Schlussdrittel – das ist Genrekino nach Arthaus-Regeln im Tempo der Berliner Schule. Die entschleunigte Handlung ergibt eine besondere Wahrnehmung. So entsteht eine Spannung gesteigerten Interesses, die den Kopf & die Augen beim Sehen nicht auszuschalten versucht. Nichts für Fans von Fernsehformat-Krimis!
Shiri ist eine erfolglose Schauspielerin. Die Rolle ihres Lebens bekommt sie ausgerechnet von der Polizei. Weil die 30-Jährige aussieht wie 16 soll sie als Undercover-Ermittlerin an einer Schule, einen Drogenring auffliegen lassen. Ob das die Rolle ihres Lebens ist, das wird sich am Ende der zehn Folgen der neuen Vox-Serie „Rampensau“ (Ufa Serial Drama) zeigen. Für Jasna Fritzi Bauer jedenfalls ist sie es. Die Schauspielerin ist eine Wucht. Das liegt auch an der komplexen Figur & der guten Grundidee. Diese wagemutige Genre-Mixtur aus Charakter-Drama, Schüler-Komödie und Gangsterfilm ist entstanden nach einer israelischen Serie. Die Adaption hat das Grimme-Preis-gekrönte Duo Scharf/Nolting übernommen. Die beiden haben sich an die Dramaturgie-Regel Soll die Ernte gut sein, muss erst einmal ausgesät werden. Für eine Charakter- und weniger Plot-getriebene Serie erweist sich das als der richtige Weg. Die ersten drei Folgen sind noch wenig zielgerichtet, dafür aber verspielt, amüsant und nie langweilig. Richtig ab geht es dann mit der vierten Folge. Weil „Rampensau“ dramaturgisch sehr geschickt gebaut, top besetzt und auch filmisch ein Lichtblick des deutschen Serienfernsehens ist, besitzt die Serie durchaus Suchtpotenzial.
Alles deutet auf einen eiskalten Brudermord im Clanmilieu hin, doch der Fall erhält eine überraschende Wendung: In knapp neunzig packenden Minuten erzählt der neue Wiener „Tatort – Azra“ (ORF / e&a Film) die Geschichte einer jungen V-Frau, tough, frech, mutig, die Beweise für die Tat liefern will und mit Hilfe von Moritz Eisner einen gefährlichen Alleingang startet. Punktgenaue Dialoge (Autorin: Sarah Wassermair), eine gut temperierte Inszenierung (Regie: Dominik Hartl) und eine Hauptfigur, körperlich und ausdrucksstark gespielt von Mariam Hage, die einen emotional mitnimmt: „Azra“ ist ein starker, dicht erzählter „Tatort“, der das Wiener Duo am Ende in einen tiefen Konflikt stürzt. Wofür sollen sie sich entscheiden: Recht oder Gerechtigkeit?
Ein Bulle überfährt einen Junkie, der Kollege deckt ihn. Beide geraten ins Visier der Staatsanwaltschaft und libysche Killer mischen auch mit… Lars Becker hat mit „Unter Feinden“ einen Polizeifilm gemacht, der das klassische Kinogenre ins Fernsehen transportiert, ohne dabei wie ein typischer TV-Krimi auszusehen. Es ist das bekannte, höchst reizvolle Spiel: Keiner kann sich sicher sein, denn jeder weiß etwas über den anderen, was diesem die Existenz oder gar das Leben kosten könnte. Alles ist eine Spur kleiner, klarer, konzentrierter als zuletzt bei Becker – auch schmutziger, unberechenbarer, filmästhetisch stimmiger und ein Stück weit „ehrlich“ emotionaler. Authentizitätsplus: tolles Ensemble, keine Stars!
Die Karten werden ständig neu gemischt in Lars Beckers „Zum Sterben zu früh“, dem Prequel zum viel gelobten „Unter Feinden“. Erzählt wird der tragische Niedergang eines Drogenfahnders. Für den Zuschauer hält der spannungstechnisch perfekte Polizeifilm, in dem jede Figur in das von Liebe & Freundschaft beeinflusste Machtspiel auf Leben und Tod gnadenlos verstrickt ist, geschickt die Waage zwischen dem Wissen um das Unvermeidliche und der Frage, wann und wie es eintreten wird. Der Film ist top besetzt, geizt weder mit Drama- noch mit Action-Momenten. Ein rasantes Vergnügen – rau & unberechenbar.
Das Leben schlägt Erol Ozak aufs Gemüt. Der Vollstreckungsbeamte soll etwas holen von Menschen, die nichts haben. Und plötzlich ist da ein Sack voll Geld, eine Tote, dann ist das Geld wieder weg und der melancholische Mann vom Finanzamt hat dafür einen Sack Probleme. Ein bisschen Genre-Coolness, ein bisschen Arthaus-Langsamkeit, ein bisschen Räuberpistole. Sözer und Eggert in stiller Größe. Ungewöhnlich, spröde, sehenswert.
Ein Fahrer überfällt seinen eigenen Geldtransport, erbeutet acht Millionen Euro, sitzt bald allerdings hinter Gittern, und das Geld ist irgendwo in einem Wald vergraben. Die Mutter und Ehefrau wissen von nichts, die Zweitfrau ist dagegen involviert. Der Millionär bekommt viel Besuch im Knast und alle haben „gute“ Ratschläge. Vier statt acht Jahre Knast, so das Angebot der Staatsanwaltschaft, dafür kein Geld. Oder: acht Jahre Knast, reich & ständig auf der Flucht. Beides sind keine schönen Aussichten. Ob allerdings die Befreiung des Räubers glücklicher macht? Lars Becker kommt in „Der Millionen Raub“ (ZDF / Network Movie) zu einer augenzwinkernden Lösung. Sein Film ist zwar Krimi, Thriller, Gangsterfilm und Drama, besitzt jedoch reichlich komödiantische Zwischentöne. Diese Genre-Ironie schützt allerdings vor Blutvergießen nicht. Und subtextreich ist der Film außerdem noch: Die Männer sind abwesend, sie tun das Falsche, richten die Waffen aufeinander. Die Frauen verhalten sich dagegen zunehmend solidarisch. 2024 lässt sich die Geschichte sogar noch deutlicher geschlechterpolitisch lesen: Männer führen sinnlose Kriege, Frauen bekommen Kinder und sind zu Kompromissen bereit. Wie die Geschichte ausgeht, bleibt trotzdem lange offen.
Die Mafia-Dramen von einst begleiten junge Männer, die rein wollen. Die gehorsam mitspielen, aufsteigen, um die Gunst des Onkels kämpfen, sich in der Rangfolge nach oben boxen, über Leichen gehen und am Ende die Geschäfte führen. „Asbest“ (Degeto / Pantaleon Films GmbH) erzählt eine andere Geschichte. Die Geschichte von einem, der nicht rein will und seinen Onkel höflich ignoriert. Im Kern erzählt die fünteilige Dramaserie von der Unmöglichkeit, sich zu enthalten. Damit ist „Asbest“ ganz im heute verortet, streift das Migrantenleben im Berliner Block, zeigt synthetische Drogen, die blitzschnell den Besitzer wechseln, und verfolgt Rivalenkämpfe im Knast. Den Traum vom großen Geld träumen längst auch Frauen – ohne, dass sie dafür die Frau an der Seite einer Clan-Größe sein müssten. Für den Tanz auf dünnem Eis kann Regisseur und Darsteller Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) auf ein namhaftes Ensemble vertrauen. Allesamt sehenswerte Typen, von denen sich allerdings kaum einer von der festgelegten Typisierung befreien darf. Als hätte ein unsichtbarer Türsteher am Set jedem vor der Kamera unmissverständlich ins Ohr geraunt: „Du kommst hier nicht raus“.
„Der Kuss des Killers“ klingt verdammt nach coolem Kino, nach Don Siegel, Lee Marvin, Tarantino. Doch Autor Christos Yiannopoulos wollte davon erzählen, wie einer, der ohne Skrupel tötet, auf einmal die Liebe entdeckt. Ein eiskalter Engel wird zum Schaf im Wolfspelz, ein harter Halbweltkrimi wird zum amour-fou-Thriller. „Ein bisschen wie eine griechische Tragödie“ wollte Yiannopoulos seine Geschichte vom geliebten Gegner erzählen. Ergebnis: einer der besten TV-Movies von RTL, Ende der 1990er Jahre, stylish und mit Sinn für Atmosphäre von Michael Rowitz inszeniert. Ob das TV-Movie heute noch funktioniert?!
Eine Gangster-Groteske im Schnee, da kommt dem Zuschauer schnell „Fargo“ in den Sinn. Trotz dieser Hypothek überzeugt „Snowman’s Land“ mit skurrilen Figuren, klasse Schauspielern und einem tollen Soundtrack. Der Schauplatz: Ein leerstehendes, ehemaliges Sanatorium mitten in einer einsamen Winterlandschaft. Das gibt wunderbare Bilder, aber mit der Zeit geht dem Genrestück etwas die Luft aus. Debütfilm von Tomasz Thomson
„17-Jähriger als Polizeispitzel missbraucht“ – diese Zeitungsmeldung war der Ausgangspunkt für Friedemann Fromms „Brüder auf Leben und Tod“ (1996), seinem zweiten Langfilm, einem Gangsterfilm für Pro Sieben. Der Autor-Regisseur hat viel aufgefahren für zwei Millionen Mark: reichlich Action und eine starke Besetzung aus bekannten Gesichtern und Entdeckungen. Die Geschichte indes bleibt vordergründig: eine Männerdreiecksgeschichte um einen Gangsterboss, seine abtrünnige rechte Hand und dessen kleinen Bruder.