Unter Feinden

Fritz Karl, Ofczarek, Foroutan, Minichmayer, Lars Becker. Die Eingekesselten

Foto: ZDF / Gordon Timpen
Foto Rainer Tittelbach

Ein Bulle überfährt einen Junkie, der Kollege deckt ihn. Beide geraten ins Visier der Staatsanwaltschaft und libysche Killer mischen auch mit… Lars Becker hat mit „Unter Feinden“ einen Polizeifilm gemacht, der das klassische Kinogenre ins Fernsehen transportiert, ohne dabei wie ein typischer TV-Krimi auszusehen. Es ist das bekannte, höchst reizvolle Spiel: Keiner kann sich sicher sein, denn jeder weiß etwas über den anderen, was diesem die Existenz oder gar das Leben kosten könnte. Alles ist eine Spur kleiner, klarer, konzentrierter als zuletzt bei Becker – auch schmutziger, unberechenbarer, filmästhetisch stimmiger und ein Stück weit „ehrlich“ emotionaler. Authentizitätsplus: tolles Ensemble, keine Stars!

Eine Nacht wie ein Alptraum. Aus der Festnahme eines libyschen Kriegsverbrechers wird nichts. Der Mann taucht nicht auf. Zwei LKA-Männer sitzen umsonst in ihrem Wagen die Zeit ab. Kessel, der Ältere von beiden, zittert. Es ist nicht allein die Kälte. Der ehemalige Drogenfahnder hat den Schnaps gegen härtere Drogen eingetauscht. Während ihm sein langjähriger Kollege und Kumpel Driller eine Flasche Whisky besorgt, greift sich Kessel auf einem Basketballplatz einen jungen Dealer – er braucht Stoff, bekommt nichts und zieht seine Dienstpistole. Driller kann ihn gerade noch zurück ins Auto zerren. Dann geht alles sehr schnell. Die Räder kreischen, die Jugendlichen grölen, einer von ihnen setzt mit einem Baseballschläger nach, Kessel dreht durch, gibt Gas und überfährt den Jungen. Driller will seinen kranken Freund nicht „hinhängen“ und vertuscht die Tat. Doch es gibt Zeugen und die toughe Staatsanwältin hat die zwei im Visier. Als ihnen doch noch Gaddafis Folterknecht in die Falle geht, gibt es fortan noch mächtigere Kräfte, die am Schicksalsrad drehen.

Unter FeindenFoto: ZDF / Gordon Timpen
Es ist eine dieser verdammten Nächte: Fritz Karl & Nicholas Ofczarek als LKA-Cops in Lars Beckers „Unter Feinden“

Lars Becker hat seine alten Tugenden wiederentdeckt und einen Polizeifilm gemacht, der das klassische Kinogenre ins Fernsehen transportiert, ohne dabei wie ein typischer TV-Krimi auszusehen. Nicht nur die Sucht des Helden macht die Geschichte unberechenbar. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen in „Unter Feinden“ aber nur ansatzweise. Die Polizisten sind nicht korrupt, der eine ist krank, der andere (s)ein guter Freund – nur deshalb spielen sie ihr eigenes Spiel. Der abgewrackte Junkie-Bulle und der bürgerliche Polizist mit Frau und Kind, sie wollen einfach nur leben, sie wollen ihren Job nicht verlieren. Fritz Karl gibt die tickende Zeitbombe, einen Mann, der das Unheil anzieht. So wie die meisten in diesem Film hat diese Figur eine Bestimmung: eine tragische Bestimmung. Es ist ein Geflecht aus schicksalhaften Begegnungen, konträren Interessen & tödlichen Machtkämpfen, das Lars Becker nach dem Roman von Georg Martin Oswald hier gespannt hat. Keiner kann sich sicher sein, denn jeder weiß etwas über den anderen, was diesem die Existenz kosten könnte. Sich in Sicherheit zu wiegen, kann tödlich sein. Becker spielt mit Kino-Archetypen, wie sie von Melville und dem französischen Film Noir vorgezeichnet wurden. Und obwohl immer wieder das Unabänderliche passiert, entwickelt „Unter Feinden“ eine vielschichtige, atmosphärische Spannung. Ob in Freiheit, ob hinter Gittern, ob im Koma – gefangen sind sie alle, allen voran der Junkie-Bulle: seine Wohnung ein Dreckloch, seine Ängste ein tiefer Abgrund, Kessel, der Eingekesselte, der in seiner Sucht Schmorende, der Schuldige.

Konsequenter als zuletzt in seiner Kult-Reihe „Nachtschicht“, der verunglückten Räuberpistole „Amigo“ oder auch in dem etwas zu postmodern überbordend erzählten „Geisterfahrer“ unterzieht Lars Becker in „Unter Feinden“ die Handlung, aber auch jede Szene, jede Situation einer ernsten, dramatischen Zurichtung. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod. Seine ständigen Begleiter, die Autoren-Ironie und der Figuren-Mutterwitz, den Becker gerne auf tragende Nebenrollen verteilt, haben dieses Mal Freigang. Auch – und das ist das große Plus für die gesteigerte „Authentizität“ dieses Polizeifilm-Dramas – die bekannten Nasen geben sich einmal nicht die Klinke in die Hand: kein Ochsenknecht, kein Rohde, kein Moretti, kein Prochnow, kein George. Dafür ein Nicholas Ofczarek, dem man den kleinen Bullen viel besser abnimmt als einem dieser großen Namen. Und ein Fritz Karl, der sich als Kessel endlich einmal frei spielen kann von seinem Image des gefälligen Vieldrehers. Alles ist eine Spur kleiner, klarer und konzentrierter – zugleich auch schmutziger, unberechenbarer, filmästhetisch in sich stimmiger und ein Stück weit „ehrlich“ emotionaler. Denn so ein Bisschen leidet man als Zuschauer schon mit, wenn Fritz Karls Kessel unheilvoll durchs Bild wankt. Dank Schauspielern wie Melika Foroutan, Birgit Minichmayer, Meral Perin, Ulas Kilic oder Maryam Zaree obsiegt nicht nur in solchen Situationen das Drama über den coolen Genrefilm.

Unter FeindenFoto: ZDF / Gordon Timpen
Was ist, wenn der jugendliche Dealer aus dem Koma aufwachen würde? Schwester Maren (Birgit Minichmayr) ist das Bindeglied zwischen Polizisten-Alltag und Krankenhaus. Weiß die Staatsanwältin (Melika Foroutan), dass sie Drillers Frau ist?

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Fernsehfilm

Arte, ZDF

Mit Fritz Karl, Nicholas Ofczarek, Melika Foroutan, Birgit Minichmayer, Merab Ninidze, Meral Perin, Ulas Kilic, Maryam Zaree, Fahri Yardim, Halima Ilter, Tedros Teclebrhan, Henry Stange, Kida Khodr Ramadan, Bernd Stegemann

Kamera: Andreas Zickgraf

Schnitt: Sanjeev Hathiramani

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera, Bettina Wente, Annett Neukirchen

Drehbuch: Lars Becker – nach dem Roman von Georg Martin Oswald

Regie: Lars Becker

EA: 15.11.2013 20:15 Uhr | Arte

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