Europa ist in der Serie „Eden“ natürlich kein Paradies, sondern ein bunter, vielgestaltiger Schicksalsort, an dem Menschen, Kulturen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfließen: Ein Jugendlicher aus Nigeria ist auf dem Weg zu seinem Traumziel England. Ein deutsches Ehepaar nimmt einen jungen Syrer bei sich auf. Eine französische Geschäftsfrau kämpft um den Zuschlag, weitere Flüchtlingslager betreiben zu dürfen. Zwei griechische Wachleute kämpfen mit ihrer Schuld. Und auch ein syrisches Ehepaar nimmt die Last der Vergangenheit mit ins Pariser Asyl. Von der Zuwanderung nach Europa, einem der großen politischen Themen der vergangenen Jahre, wird in der Serie „Eden“ (SWR, Arte, Degeto / Lupa Film, Atlantique Productions, Port au Prince) vielschichtig, sorgfältig und spannend erzählt. Die sechs Folgen à 45 Minuten spielen durchgehend an verschiedenen Schauplätzen und bieten einen ständigen Wechsel der Perspektiven. Trotzdem bleibt es überschaubar und verständlich, keine Figur wird vorgeführt oder dient nur der Illustration einer These, alles ergibt sich aus den Geschichten der Protagonisten. „Eden“ rückt den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt, ohne naiv & oberflächlich zu sein. Kein „Euro-Pudding“, sondern ein Ergebnis einer erstklassigen deutsch-französischen Kooperation.
Zwei dauergemobbte Außenseiter-Teenager können den Spieß endlich mal umdrehen. Das Schicksal und die Segnungen eines „intelligenten“ Hauses bringen sie auf die wahnwitzige Idee, ihren verhassten Schulleiter in seinen eigenen vier Wänden einzuschließen. Die ARD/Arte-Serie „Nackt über Berlin“ (Studio.TV.Film, Sehr Gute Filme) beginnt als köstliche Rache-Komödie, schlägt aber bald ernsthaftere Töne an, ohne an Unterhaltungswert zu verlieren. In clever strukturierten Rückblenden zeigt sich, dass der Gefangene als Ehemann, Familienvater, Schulleiter und Pädagoge versagt hat. „Nackt über Berlin“ vereint all das, was Axel Ranisch und seine Filme so besonders, ja so besonders gut und außergewöhnlich macht: die Sympathie für seine ebenso nerdigen wie liebenswerten Anti-Helden, Außenseiter, die sich nicht verbiegen lassen. Es ist nicht die Geiselnahme, die dieser Serie ihren Sog verleiht: Komödie, Tragikomödie, Thriller, Coming-of-age-Dramedy, ein erschütternder Drama-Plot, eine Freundschaftserzählung, Musical- und Fantasy-Elemente – die Mischung aus Genres, Stimmungen, Bildern macht‘s. Und die Schauspieler, allen voran Lorenzo Germeno, sind große Klasse, und Thorsten Merten als Pauker kriegt sogar eine Eins mit Sternchen.
Zum zehnjährigen „Tatort“-Jubiläum widmet sich Fall 17 einem vertrauten Sujet. Wie schon einige Male zuvor ermittelt das Team der Bundespolizei im Geschäft von Schleuserbanden und dem Migrantenleben in der Illegalität. Dabei folgt das Team der Spur eines tot in einem LKW aufgefundenen Flüchtlings und hilft einem verzweifelten Elternpaar auf der Suche nach seinem Sohn. „Tatort – Verborgen“ (NDR / Wüste Film) ist ein nüchtern gehaltenes Drama, das auf waghalsige Alleingänge und moralische Schleifen verzichtet. Auf der Bildebene mit Parallelwelten arbeitend, erzählt der Film von der Annäherung zweier Väter, von Anteilnahme und Hilflosigkeit. Das Ermittler-Team hat nach zehn Jahren alle Manierismen abgelegt und überzeugt auf ganzer Linie. Zum Jubiläum möchte man ihnen spontan einen leichten Fall für zwischendurch wünschen, sonst aber unbedingt weiter in diese Richtung.
Gerade erst hat Sibel Kekilli die Rolle als „Tatort“-Ermittlerin aufgegeben, jetzt kehrt sie als Polizistin auf den Bildschirm zurück. In der vierteiligen Drama-Serie „Bruder – Schwarze Macht“ spielt sie eine Deutsch-Türkin, die sich zwischen zwei Kulturen mit unterschiedlichen Ansprüchen zu zerreiben droht. Während sie gut integriert ist, droht ihr jüngerer Bruder in die Salafisten-Szene abzurutschen. Sie will den Prozess der Radikalisierung stoppen. Brisant, packend, kontrovers, in der Figurenzeichung teilweise etwas holzschnittartig geraten.
Nathalie gibt dem mit einem Flüchtlingsboot gestrandeten Zola und seinem kleinen Sohn Mamadou zu trinken – und später Geld. Doch ihre Hilfsbereitschaft hat fatale Konsequenzen. „Die Farbe des Ozeans“ ist eine bildstarke Tragödie und ein „moralisches“ Drama über das Dilemma des Mitgefühls ohne Perspektive. Großartig gespielt (Sabine Timoteo, Hubert Koundè) und wunderbar fotografiert. Zentrales Motiv: Gran Canaria und das Wasser. Nicht ganz überzeugend die Figur des spanischen Polizisten mit drogensüchtiger Schwester.
In “Ghettokids” erzählen Gabriela Sperl und Christian Wagner von Zukurzgekommenen, von Ausländerkindern, die am Ende der sozialen Leiter herumkrebsen. Der Film basiert auf den Erfahrungen der Sonderschullehrerin Susanne Korbmacher-Schulz und dem Sozialpädagogen Achim Seipt, die mit ihrem Verein “Ghettokids” Selbsthilfeprojekte für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien in München anbieten. Die Jugendlichen stehen im Zentrum. Die authentischen Laiendarsteller tragen ein Stück reales Hasenbergl in den Film.
Der zwölfte österreichische Landkrimi, „Grenzland“ (ORF, ZDF / Graf Filmproduktion), beginnt als beschauliche Provinzermittlung im Burgenland, wandelt sich dann jedoch zum Thriller: Nach dem Mord an einer gehörlosen jungen Frau deuten alle Indizien auf einen syrischen Asylbewerber. Als ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelingt, wird er von einem mordlüsternen Mob gejagt. Regie führte Grimme-Preisträger Marvin Kren, im deutschen Fernsehen dank „4 Block“ bestens etabliert, die Hauptrolle spielt seine Mutter Brigitte. Sie verkörpert die Ermittlerin als kernige Frau, die die Vorbehalte der Einheimischen gegen die Flüchtlinge zu teilen scheint. Weil das Tempo anfangs überschaubar ist, lebt der Krimi zunächst von den stimmungsvollen Landschaftsaufnahmen. Die zweite Hälfte ist deutlich dramatischer. Dank der Bildgestaltung besitzt der Film eine hohe Intensität.
Schade, dass diese überaus witzige achtteilige Comedyserie über ein junges schwarzweißes Paar (Akeem van Flodrop, Sina Martens), das zu den Eltern der Frau gezogen ist, kein Original ist: „I don’t work here“ (ZDF / NeueSuper) hat ein israelisches Vorbild, das 2018 als Beste Comedy-Serie mit dem International Emmy Award ausgezeichnet worden ist. Das soll die Leistung von Romina Ecker und ihrer Koautorin Malina Nnendi Nwabuonwor nicht schmälern: Die acht Folgen haben neben vielen peinlichen Situationen, die wie dem Leben abgeschaut wirken, auch formidable Dialoge zu bieten. Regie führte Arman T. Riahi, der mit Kameramann Jonas Schneider für eine besondere Bildgestaltung mit einer Vorliebe für ungewöhnliche Blickwinkel gesorgt hat. Die Ensemble-Leistung ist ebenfalls bemerkenswert; die Eheszenen mit Gabriela Maria Schmeide und Peter Lohmeyer haben Loriot-Niveau.
“Warum eigentlich? Zu alt? Zu langsam? Nicht komplett genug?”, fragt der einarmige Kommissar Tauber, der stinksauer ist darüber, dass man ihm eine gleichgestellte Kollegin zur Seite gegeben hat. Auftakt eines Stil prägenden Ermittlerduos mit einer sehr bewegenden Geschichte, die spannend für die Schicksale hinter der Asylpolitik sensibilisiert.
Der Titel ist selbstredend die pure Ironie: „Schöne heile Welt“ (SWR) ist eine sehenswerte und von Richy Müller vorzüglich gespielte Tragikomödie über einen dauernörgeligen Langzeitarbeitslosen, dessen Dasein einen unerwarteten Sinn bekommt, als er sein Herz für einen kleinen afrikanischen Flüchtling entdeckt. Gernot Krää (Buch und Regie), der die Geschichte als reizvolle Mischung aus Drama und Märchen erzählt, findet immer wieder genau den richtigen Mittelweg zwischen Kitsch und Tristesse. Er charakterisiert seine Hauptfigur durch viele kleine Momente, die dem Leben abgeschaut sind. Müller versucht gar nicht erst, den Sozialschmarotzer sympathisch zu gestalten. Als der mürrische Deutsche und der kleine Afrikaner ihre gemeinsame Liebe zum Schlittschuhlauf entdecken, beginnt die Wandlung des Grantlers. Filmmusikkomponist Stephan Römer begleitet die Entwicklung mit entspanntem und von lebensfrohen afrikanischen Liedern durchsetztem Jazz.
Spannung wird groß geschrieben im 18. Stuttgarter „Tatort“ mit viel Lannert und etwas weniger Bootz. Autor Christian Jeltsch hat sich für „Im gelobten Land“ einen klug reduzierten Krimi-Thriller ausgedacht, ein Duell zwischen Richy Müllers Kommissar und einem unberechenbaren, aber angenehm vielschichtig gezeichneten Schleuser, der ein Mörder sein könnte. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist ein Flüchtlingsheim. Der Film spiegelt die deutsche Willkommenskultur 2015 und scheut sich nicht, die kriminelle Energie, die ein ehemaliger Flüchtling entwickelt (wenngleich relativierend), ins Zentrum der Geschichte zu stellen. Züli Aladag taucht diesen packenden Thriller in ein düster-realistisches Licht.
Auf einem Spielplatz, der als Drogenumschlagsplatz berüchtigt ist, stirbt ein sechsjähriges Mädchen an einer Überdosis Kokain. Für das Unglück mitverantwortlich sind zwei junge Senegalesen. Einer von ihnen, eine 18-jährige Frau, wird wenig später tot aufgefunden… In „Kollaps“ begibt sich jemand auf Rachefeldzug. Die Flüchtlingsthematik und ihr sozialer Sprengstoff ziehen sich durch den siebten „Tatort“ aus Dortmund. Autor Jürgen Werner verzichtet auf moralische Entrüstungsarien und politisch einseitige Statements. Ausgerechnet Jörg Hartmanns Faber darf Mensch sein und entwickelt die „richtige“ Haltung zum Fall. Es kollabieren die Beziehungen und das Quartett ist nach wie vor psychophysisch stark!
Ausland-Einsatz für Senta Bergers Eva Maria Prohacek. Unter Verdacht, Flüchtlinge zu misshandeln, stehen die vor der Küste Italiens operierende Militärpolizei und die Agentur für den europäischen Grenzschutz im Mittelmeer. Ist ein deutscher Grenzschützer ermordet worden, weil er die Übergriffe nicht länger akzeptieren wollte? „Die elegante Lösung“ ist ein präzise erzählter, bewegender Politkrimi, der es sich nicht moralisch einfach macht.
Am Anfang ist Anam Ehefrau, Putzfrau und Mutter. Am Ende ist sie nur noch eines davon – und sie ist vor allem eine Frau, die auf eigenen Beinen stehen kann und sich nicht länger von ihrem Mann die Welt erklären lassen muss. Grundsolides Emanzipationsdrama & Debütfilm von Buket Alakus. Überzeugend: Nursel Köse als Anam. Alakus: “Ich wollte eine Frau, die die Leidenschaft einer Sophia Loren, die Ausdruckskraft einer Anna Magnani und die aufopfernde Liebe einer Mutter Teresa, doch vor allem die Sturheit eines anatolischen Esels besitzt.”
Rassistischer Juraprofessor gegen Einwanderertochter aus schwierigen sozialen Verhältnissen: Das ist ziemlich dünnes Eis. Das Drehbuch zu „Contra“ (ARD / Constantin, SevenPictures) basiert auf einer französischen Vorlage und ist der Bissigkeit des Originals zum Glück treu geblieben. Sehenswert ist Sönke Wortmanns Komödie vor allem wegen Christoph Maria Herbst, der den intellektuellen Zyniker formvollendet verkörpert, sowie der bis zum Kinostart 2021 kaum bekannten Nilam Faaroq, die sich auch schauspielerisch als ebenbürtige Gegenspielerin erweist.
„Made in Germany“ (ARD Degeto / Studio Zentral, Hyperbole) erzählt von sechs jungen Berliner:innen aus der zweiten Einwanderer-Generation. Die sechs Geschichten der Anthologie-Serie handeln nicht nur von speziellen Milieus, sondern auch von urbanem Lebensgefühl sowie allgemeingültigen Themen wie Liebe, Familie und Freundschaft. Der teils mit Laien und Nachwuchsdarsteller:innen besetzte Cast sowie die diverse Auswahl der gesamten Crew sichern eine hohe Authentizität. Mal mehr, mal weniger gelingt es, persönliche Erfahrungen und Sichtweisen in dramatische und emotionale Erzählungen zu übersetzen. Dennoch bieten die sechs Kurzfilme keine trockenen Belehrungen über Identität und Diversität. In der Musik und beim Essen, bei der Darstellung von Familienfesten und verschiedenen Zeremonien spiegelt sich die Vielfalt der Traditonen und Lebensweisen.
Eine Liebesgeschichte und ein Stück Zeithistorie: Georg und Lena werden in Kasachstan ein Paar, wandern 1990 mit Georgs deutschstämmiger Familie aus, finden sich aber in der neuen Heimat nicht zurecht. „POKA heißt Tschüss auf Russisch“ erzählt vom Lebensgefühl der Aussiedler, die nach der Wende nach Deutschland kamen, aber keinesfalls mit offenen Armen empfangen wurden. In der zweiten Hälfte (in Deutschland) verliert der Film etwas an Schwung, dennoch gelingt der in Kasachstan geborenen Hoffmann eine (er)kenntnisreiche Auseinandersetzung mit den Themen Heimat, kulturelle Identität und Integration.
Der ZDF-Fernsehfilm „Schutzlos“ zeichnet einige Monate im Leben von Maria Moreno nach. Die Drehbuchautoren zeigen die Parallelwelt der Illegalen, eine Schattenwelt, die die Betroffenen zermürbt. Nicht auffallen – lautet die oberste Devise für Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Illegale sind erpressbar, sie sind der Willkür ihrer Umwelt ausgesetzt. Schnörkelloser & anrührender Film mit Idealbesetzung: Carolina Vera!
„Exil!“ war bei der Premiere im 2001 nach 16 Jahren der erste „Tatort“ aus Hamburg ohne die legendären Stoever/Brockmöller alias Krug/Brauer, doch diese eine Episode genügte bereits, um Robert Atzorn zumindest als würdigen Nachfolger zu etablieren. Überzeugend die Charakterzeichnung des Helden, sein privates Umfeld und auch Tilo Prücker & Julia Schmidt erwiesen sich als gute Zuarbeiter. Optisch gab „Exil“, in dem drei Afrikaner im Hafen zu Tode kommen, mehr her als Kommissar-Bienzle-Erfinder Felix Huby als Autor vermuten ließ.
Ein Ehepaar will auf Teneriffa seine Beziehung kitten – das Schicksal eines senegalesischen Flüchtlingsjungen scheint die beiden endgültig zu entzweien. Tatsächlich?! „Willkommen im Club“ ist ein TV-Movie, das ein alltägliches Ehedrama in einen Familien-Abenteuerfilm überführt und dabei noch ein kräftiges politisches Statement abgibt. Kein Thesen-Stück, das der Realität Nachhilfe zu geben versucht, sondern ein Film, der im alltagsnahen Umgangston eine emotionale, spannende, am Einzelfall orientierte Was-wäre-wenn-Story entwickelt.