Bei einer Observation an einem Autobahnparkplatz machen Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare), die dem mutmaßlichen Mörder und vermeintlichen Drogenhändler Milan Kostic (Sascha Alexander Gersak) auf der Spur sind, gemeinsame Sache mit dem Drogendezernat. Die Aktion endet mit einem Desaster: Weil sie einen beobachteten LKW, in der Hoffnung, Kostic und seine Ware auf einen Schlag hochzunehmen, zu spät öffnen, können sie 23 Menschen, Flüchtlinge, die nach Deutschland geschleust wurden, nur noch tot bergen. Sie sind in der Zeit der Observation elendig erstickt. Da Kostic nichts nachzuweisen ist, heftet sich Lannert noch am selben Abend im Alleingang an dessen Fersen. Anfangs scheint sich die Vermutung des Kommissars zu bestätigen, dass er der Drahtzieher ist und somit schuld am Tod der Flüchtlinge: Denn Kostic hat die Nigerianerin Lela (Florence Kasumba) angeschossen und in seine Gewalt gebracht und mit ihr Unterschlupf gesucht in einem Flüchtlingsheim. Lannert konnte ihm folgen und betritt zielstrebig das Gebäude, ein Hochhaus mit mehreren hundert Räumen. Minuten später haben er und Kostic ihre Waffen aufeinander gerichtet. Lannert ist angeschlagen, verletzt durch einen Angriff von Kostics Schwester Mitra (Edita Malovcic). Wer hat den längeren Atem? Die Zeit spielt für Lannert: Das SEK ist unterwegs. Doch wird es früh genug eintreffen, damit die verletzte Nigerianerin gerettet werden kann?
Foto: SWR / Johannes Krieg
Dem Autor Christian Jeltsch reicht es nicht, diese geradlinige Thrillerspannung über die Handlung der zweiten Hälfte des „Tatort – Im gelobten Land“ zu legen, er erfindet noch einen besonderen Clou, der den Nervenkitzel weiter erhöht und Richy Müllers Kommissar in einen Loyalitäts- und Gewissenskonflikt stürzt (aber der im Interesse des Zuschauers noch nicht verraten wird). Überhaupt wird Spannung groß geschrieben in diesem 18. Stuttgarter „Tatort“ mit Lannert & Bootz. Schon der Einstieg hat Klasse. Es muss zu Beginn nicht immer ein Leichenfund sein. Stattdessen sieht man Lannert, wie er mit seinem Porsche ein anderes Auto durch die Stuttgarter Nacht verfolgt, ohne Licht, in seltsamer Körperhaltung, die Hände in Handschellen und ans Lenkrad gefesselt. Nacht acht Filmminuten, als Pistole gegen Pistole gerichtet ist, springt die Handlung acht Stunden zurück – zu jener Autobahn-Observation, die ein so ungutes Ende findet. Durch die veränderte Grobdramaturgie, die nicht der Logik der üblichen Krimi-Ermittlungen folgt (Spusi, Tätersuche, Befragungen, Vernehmungen, Thesen etc.), ergibt sich auch im Detail eine völlig andere Logik. Es kommt weniger darauf an, dass man als Zuschauer alle Informationen mitbekommt und dass man die Fallerklärungsversuche der Kommissare nachvollziehen kann, um selbst Schlüsse zu ziehen oder mitzuspekulieren. Viel wichtiger ist die emotionale Wahrnehmung der Situation: Das unmittelbare Verhalten, die Physis dominiert die Handlung dieses Krimis. Im Wesen der Sache liegt es, dass sich die Psychologie und Informationsvergabe ganz auf Augenhöhe der Figuren befindet. Dem Zuschauer wird nicht alles erklärt, es fallen Namen, die man noch nie gehört hat, man sieht einen Mann, der Lannerts Treiben beobachtet und der sich erst später als Auftragskiller zu erkennen gibt, aber man kann sich vieles denken. Man muss sich nicht groß in Geduld üben, da die permanente Spannung kein Fragezeichen der Handlung zu groß werden lässt. Da geht es dem Zuschauer ähnlich wie Lannert: Der folgt einem Bauchgefühl, seinem Instinkt.
Foto: SWR / Johannes Krieg
Mit dem Thriller-Modus einher geht im „Tatort – Im gelobten Land“ die Reduktion der Handlung, des Personals, der erzählten Zeit und die Reduktion auf wenige Schauplätze. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist das Flüchtlingsheim. Eine Qualität dieses Psycho-Duells liegt auch in der Mehrdimensionalität der Episodenhauptfigur, durch die deren Schleusertätigkeit relativiert wird: „Die Leute, denen wir helfen, zahlen erst hier“, versucht er sein „Reisebüro“, wie es Lannert nennt, moralisch zu rechtfertigen. Sascha Alexander Gersak macht seinen schwäbelnden Serben Milan Kostic, der als Kind dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien in Richtung Deutschland entkam, zu einem wuchtigen Kerl, mit dem sofort alle Gäule durchgehen, wenn er Gefahr für sich und seine Schwester wittert. Ein Krimineller mit Gewissen, ein Mann, der brüllt, der droht, der schießt, der aber auch leise, nachdenkliche Töne anstimmt und der zu Empathie in der Lage ist. Er bleibt unberechenbar – und das macht die Handlung spannend. Richy Müller, der ja besonders gut ist, wenn er einen Typen geben darf, wenn er mit markantem Verhalten und klaren Worten punkten kann, und der sich im coolen Genre-Krimi („Schatten der Gerechtigkeit“) genauso wohl fühlt wie im konzentrierten TV-Drama („Die letzte Spur – Alexandra, 17 Jahre“), findet in Gersak seinen Meister.
Züli Aladag taucht diesen packenden Thriller in ein düster-realistisches Licht und die Kamera von Andreas Schäfauer und Christoph Schmitz geht immer wieder nah ran, um die Aktionen sinnlich werden zu lassen und um die Emotionen förmlich von den Gesichtern abzupflücken. „Im gelobten Land“ spiegelt die deutsche Willkommenskultur des Jahres 2015 und scheut sich nicht, die kriminelle Energie, die ein ehemaliger Flüchtling entwickelt, ins Zentrum der Geschichte zu stellen. Auch wenn sich sein Verhalten am Ende nicht als ganz so schwarzweiß darstellt, wie es Lannert vorher sehr plakativ und bewusst vorurteilsreich hingestellt hat. Auch die angespannte Situation zwischen den Kommissaren wirkt bisweilen etwas überspannt. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Krimi-Thriller nach einer kurzen Schwächephase des 2008 gestarteten Stuttgarter „Tatort“ nun bereits die siebte Episode in Folge ist, die zwischen Drama und Thriller gekonntes Krimihandwerk abliefert. (Text-Stand: 27.1.2016)