Die ersten beiden Staffeln von „Babylon Berlin“ nach Volker Kutschers Roman „Der nasse Fisch“ holten 14 Grimme-Preise, kassierten auch beim Deutschen Fernsehpreis ab, wurden bislang in rund 100 Länder verkauft, und es wurden bereits 10 weitere Episoden geordert. Nach der auch quantitativ erfolgreichen Premiere vor einem Jahr auf Sky ist die rund 40 Millionen teure Ausnahmeserie nun endlich auch in der ARD zu sehen. 730 Minuten lang wird das Berlin der legendären 1920er Jahre großformatig wiederbelebt: politisch, gesellschaftlich, kulturell. Die Weimarer Republik als Tanz auf dem Vulkan, dazu die nötige Portion Krimi, Tod(essehnsucht), Sex und Angst. Ein jünger Kommissar aus Köln, eine Stenotypistin und Gelegenheitsprosituierte sowie ein rabiater Bulle von der Sitte begeben sich in einen Dschungel aus Korruption, Drogen- & Waffenhandel. Alle Gewerke und die drei Autor-Regisseure Tom Tykwer, Henk Handloegten, Achim von Borries erschaffen großes serielles Kino. „Babylon Berlin“ ist „opulenter Budenzauber und feinnerviges Zeitgeschichts-Stück in einem“. Menschen in ständiger Bewegung. Eine Stadt ohne Schlaf. Der Kritik-Querschnitt zu Staffel 1+2 wurde 2020 ergänzt mit Meinungen zu Staffel 3.
Die vierte Staffel „Babylon Berlin“ (Sky, ARD Degeto / X-Filme Creative Pool) beruht auf Volker Kutschers Roman „Goldstein“ und springt an den Beginn des Jahres 1931. Der Zuschauer kehrt mit bekannten Gesichtern an etablierte Schauplätze zurück. Sie sind Ankerpunkte für Auge und Ohr, aber sie sind nicht das, was diese Staffel ausmacht. Vieles kommt neu hinzu. Das Regie-Trio Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries nutzt den gesetzten Rahmen, um komplexe, voneinander mehr und mehr unabhängige Geschichten zu erzählen, neue Terrains in der Stadtlandschaft Berlin auszumachen und filmische Erzählformen zu variieren. Die Soli tanzen weiterhin Rath und Ritter, getragen aber wird der Tanz längst vom ganzen Ensemble. Wieder großes Fernsehen.
Der ostdeutsche Volksschriftsteller Erwin Strittmatter konnte zumindest postum gesamtdeutsche Anerkennung finden. Dazu beigetragen hat die magisch poetische Verfilmung seines Romans „Der Laden“. Erzählt wird eine Familiengeschichte in drei Akten, über drei Generationen. Wie ein Roman nimmt der fast fünfstündige Dreiteiler den geneigten Zuschauer mit in eine fremde oder zumindest vergessene Welt, verbindet Raum und Zeit, Mensch und Umwelt, Dorf und Landschaft zu einem (Mikro-)Kosmos von großer Wahrhaftigkeit. Die Dinge des Alltags aus der Sicht der „kleinen Leute“ stehen über der großen Politik.
„Der Turm“ erzählt vom Niedergang der DDR, von einer „bildungsbürgerlichen“ Familie, die zwischen Opportunismus und Trotz nach Nischen im realen Sozialismus sucht. Der Zweiteiler nach Tellkamps Roman zeigt, wie Ideale an den Mauern der ideologischen Diktatur zerschellen. „Der Turm“ ist eine beispielhafte, klug montierte Literaturverfilmung. Ein Film, der aus seinen Charakteren lebt. Ein Stück gelebte Geschichte. Die DDR auf der Couch, aber auch eine Familie wird Opfer ihrer Zwänge. Kein Event-TV – ein Fernsehereignis!
Die fünfteilige Serie „Deutsches Haus“ (Gaumont / Disney+) erzählt von einem historischen Einschnitt: 20 Jahre nach dem Holocaust werden die ungeheuerlichen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands endlich umfassend und unleugbar in der breiten Öffentlichkeit der BRD thematisiert. Berichte in Zeitungen und Rundfunk vom ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-65) tragen Zeugenaussagen über den Alltag der KZ-Häftlinge, über bestialische Foltermethoden und den Massenmord in den Gaskammern in die Familien. „Deutsches Haus“ handelt von den Erschütterungen, die das Aussprechen und Erkennen der Wahrheit bei den Tätern, Mitläufern, Opfern und ihren Kindern auslöst. Annette Hess schrieb das Drehbuch nach ihrem eigenen, 2018 erschienenen Roman mit der Figur einer jungen Dolmetscherin im Mittelpunkt. Neben Katharina Stark spielt ein zum Teil prominent besetzter Cast (Altaras, Tambrea, Engelke, Wagner, Seifried, Prenn, Hübchen, Berben, Dwyer, Lauterbach) groß auf. Die Serie ist Familien-, Generationen- und Emanzipations-Drama, Zeit-Porträt und Gerichts-Thriller gleichermaßen, schonungslos und beklemmend, aufklärerisch und ungemein packend. Randa Chahoud und Isabel Prahl (Regie) verzichten auf Rückblicke mit KZ-Bildern, Nazi-Klischees und romantischen Kitsch.
Dominik Graf gelingt mit dem Kinofilm „Die geliebten Schwestern“ eine sehr frische und modern anmutende Aneignung des Klassikers Friedrich Schiller. Der Film ist kein in Ehrfurcht erstarrtes filmisches Heldendenkmal, sondern ein moderner, essayistisch anmutender Film über die Liebe, den Alltag und die „Medien“ in den Zeiten des Sturm und Drang, in denen aber noch die höfische Gesellschaft das Sagen hat. Es ist ein angenehm undramatischer Film, kein melodramatisches Ausstattungsstück, das einem emotionalen Höhepunkt zusteuert, sondern ein vielschichtiger historischer Film, top besetzt und stimmig-stimmungsvoll inszeniert.
Die Heldin in „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ ist eine Reisende zwischen den Welten und den Zeiten. Zwischen den Autoritäten anno 1813, der Kirche und der Wissenschaft, bleibt Rosa Koelbl eine Fremde. Die Zeit ist noch nicht reif für die Werte, die diese Frau verkörpert. Der Film erzählt eine Geschichte. Er plottet nicht. Das Erzählte lebt durch die Erzählweise. Das Medium heißt nicht umsonst Fern-Sehen. Jo Heims Kameraarbeit ist von einer Präzision und von einer ästhetischen Raffinesse, wie man es lange nicht gesehen hat. Und Brigitte Hobmeier ist eine Offenbarung. Ein Gesicht wie aus jener Zeit. Ein sinnlicher Hochgenuss – und zugleich ein historischer Film, der etwas vermittelt über seine Zeit.
Mit „Die Manns“ ist Heinrich Breloer ein Meisterwerk gelungen. Einen „Jahrhundertroman“ nennt er seinen Film, der selbst zumindest ein TV-„Jahrzehntereignis“ ist. Wie schon Breloers frühere Dokudramen ist auch der mit neun Grimme-Preisen ausgezeichnete Dreiteiler ein komponiertes Mosaik. Aus 140 Stunden Material entstanden 300 Filmminuten. Der auch „nur“ als Familiensaga goutierbare Film besticht durch einen „magischen Realismus“, durch seine großartigen Schauspieler, allen voran Mueller-Stahl & Bleibtreu, und – als „reales“ Zentrum des Films – die wunderbare Elisabeth Mann Borgese, Thomas Manns Lieblingstochter.
Das historische Kammerspiel „Die Wannseekonferenz“ (ZDF / Constantin Television) offenbart einmal mehr die Ungeheuerlichkeit des Völkermords an den europäischen Juden. 100 Minuten Nazi-Sprech in Reinkultur – eine erschreckende, entlarvende Geschichts-Doppelstunde. Nicht zum ersten Mal wurde die von Reinhard Heydrich am 20. Januar 1942 einberufene Konferenz in Berlin als fiktionaler Filmstoff inszeniert, wobei sich die Arbeit von Regisseur Matti Geschonneck durch eine wohltuende Zurückhaltung beim Einsatz typischer Film-Klischees aus der Nazizeit auszeichnet. Autor Magnus Vattrodt, Geschonneck und das glänzende Ensemble (Hochmair, Allmayer, Giese, Diehl) erzählen von der technokratischen Dimension des Völkermords, von den Machtkämpfen und vom Kompetenz-Gerangel im Deutschen Reich, einhergehend mit einer unfassbaren Entmenschlichung. Ein schmerzhaft notwendiger Film, der die Erinnerung an die Wannseekonferenz zeitgemäß auffrischt.
Ein Luxuswarenhaus im Berlin der 1920er Jahre, eine pulsierende Metropole, eine „Stadt der Frauen“. Die Weimarer Republik verspricht Hungerjahre, Inflation, den Aufstieg der NSDAP, eine Radikalisierung der Straße, Antisemitismus, Arisierung, Enteignung, Exil. Die Historie ist aber nur die halbe Wahrheit von „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ (Degeto, RBB / Constantin Television, UFA Fiction). Der Sechsteiler von Julia von Heinz gibt über die geschichtlichen Gewissheiten hinaus ein Versprechen auf mehr: Nicht die Reproduktion eines Jahrzehnts bestimmt die Erzählung, die Charaktere sind der Kern, vier junge Menschen, die auf dem Vulkan tanzen und die ihre Liebe und Glückssuche nicht von den gesellschaftlichen Umständen allein abhängig machen wollen. Es ist eine Reise ins Utopia der Liebe & Triebe, der Sehnsüchte & Hoffnungen, der weiblichen Identität & Intimität. An dieser Miniserie, in der eine (innere) Haltung, eine Vision und vor allem ein Streben nach Wahrhaftigkeit spürbar werden, stimmt ästhetisch alles. Darin unterscheidet sie sich von vielen anderen TV-Großprojekten. Aus der gemeinsamen Anstrengung zweier Produktionsfirmen entstand die beste deutsche Serie seit langem. In dem Sechsteiler treffen sich Kino-Arthaus-Ästhetik & ein kluger subjektiver (weiblicher) Blick mit der Dringlichkeit modernen Serienerzählens.
„Mackie Messer“ (SWR / Zeitsprung) ist der ebenso kühne wie fulminante Versuch, Brechts „Dreigroschenoper“ als großen Film im Film zu inszenieren. Joachim A. Langs ehrgeiziges Konzept bettet die Realisierung von Brechts Vision in verschiedene Rahmenhandlungen: Auf der einen Seite beschreibt er die Produktion des Films und liefert auf diese Weise das „Making of“ gleich mit, auf der anderen schildert er die künstlerischen Differenzen zwischen Brecht und dem Produzenten; und schließlich bettet er die Auseinandersetzungen in die Zeitläufte der späten 20er & frühen 30er-Jahre. Zu einem Werk von cineastischer Wucht wird das Projekt jedoch wegen der beeindruckenden optischen Opulenz & der geradezu verschwenderisch namhaften Besetzung, allen voran Lars Eidinger als überlebensgroßer Bertolt Brecht.
Fünf Freunde feiern im Sommer 1941 Abschied. Zu Weihnachten wollen sie sich wieder treffen. Aus ein paar Monaten werden fast vier Jahre. Die Fünf verlieren ihre Jugend an den Zweiten Weltkrieg – wenn nicht mehr… „Unsere Mütter, unsere Väter“ ist das Porträt einer schuldhaft verstrickten Generation aus verklärten Mitläufern, die zugleich Opfer waren. Autor Kolditz wählt die subjektive Innensicht auf die traumatischen Ereignisse. Das Geschichtsbuch bleibt zugeklappt in Kadelbachs dramaturgisch meisterlichem und filmisch furiosem Dreiteiler. Krieg von unten: Warten, Dreck, Wut, Verrohung. TV-Event ohne die üblichen Verdächtigen. Drastisch die Darstellung der Gewalt, aber auch viele Ruhemomente, Zweier-Szenen, die die Kriegserfahrungen reflektieren. Und die Haltung des Zuschauers? „Schmerzlust“!
Wer war Bertolt Brecht? Heinrich Breloer kehrt mit einem Lebensthema zu seinen Fernseh-Wurzeln zurück, zum Genre Dokudrama, das er entscheidend geprägt hat. Mit seiner akribischen Recherche, ungeheuren Materialfülle und sorgfältigen Verknüpfung von Spiel & Realität ist der Zweiteiler „Brecht“ (WDR, BR, SWR, Arte / Bavaria Fiction) den meisten TV-Dokudramen der Gegenwart meilenweit voraus. Breloer rückt der ambivalenten Jahrhundertfigur Bertolt Brecht differenziert zu Leibe, stellt ihn weder auf einen Sockel, noch klagt er ihn an. Mit Tom Schilling und Burghart Klaußner ist die Titelrolle vorzüglich besetzt, doch der Zweiteiler ist gerade auch ein Fest der Schauspielerinnen (Adele Neuhauser, Lou Strenger, Mala Emde, Friederike Becht). Denn der Autor und Regisseur verbindet in seiner biografischen Dokufiktion Liebe und Theater, das Private und das Politische. Brecht und die Frauen, ein nahezu unerschöpfliches Thema – kein Ruhmesblatt für den großen Dichter.
„Charité“, die zweite. Der Schauplatz ist derselbe, aber die Serie (MDR, ARD Degeto / UFA Fiction) ist es nicht mehr. Vom „Dreikaiserjahr“ 1888 in Staffel eins geht es mit neuen Figuren und neuen Geschichten direkt in den Zweiten Weltkrieg. Und: Es wird dramatischer und packender. Eine angehende Ärztin und überzeugte Nationalsozialistin kämpft um das Überleben ihrer neugeborenen, behinderten Tochter. Mediziner wie der Chirurg Ferdinand Sauerbruch leisten hervorragende Arbeit und stehen doch im Dienste eines mörderischen Unrechtsregimes. Es geht um den Alltag in einem Lehr-Krankenhaus im Krieg, um Euthanasie, homosexuelle Liebe, um Denunziation, Spionage und Widerstand. Die ambitionierte, aufklärerische Serie entwirft ein facettenreiches Zeitbild mit einer gut aufeinander abgestimmten Mischung aus erfundenen Figuren und Figuren nach realen Vorbildern. Glänzend Ulrich Noethen und Mala Emde in den beiden Hauptrollen.
Historischer Agententhriller und Seifenoper am „Zauberberg“: Die Hochglanzserie „Davos 1917“ (SRF, ARD Degeto – Contrast Film, Letterbox Filmproduktion) bietet pralle Unterhaltung in einer Bilderbuch-Winterlandschaft, üppig ausgestattet und toll fotografiert. Die neutrale Schweiz ist ein spannender Schauplatz, denn am Luftkurort Davos bündelt sich die Zeitgeschichte wie unter einem Brennglas. Im Curhaus Cronwald begegnen sich Lungenkranke aus den besseren Kreisen verschiedener Länder, verwundete Soldaten und Spione aller Couleur. Im Mittelpunkt der Handlung steht die jüngere Tochter des verwitweten Curhaus-Besitzers, die nach der Geburt eines unehelichen Kindes in lebensgefährliche Geheimdienst-Abenteuer gerät. Neben Dominique Devenport und David Kross prägt vor allem Jeanette Hain als deutsche Agentin die erste Staffel von „Davos 1917“.
„Der Club der singenden Metzger“ (SWR, Degeto – Moovie) ist ein historischer Zweiteiler, eine Auswanderungs- und Dreiecksgeschichte, ein Premium-Programm zwischen den Jahren, eine ARD-Produktion, die trotz deutscher Figuren amerikanische Lebensart mit fast ausschließlich deutschsprachigen Schauspielern historisch nachempfindet. Die Roman-Vorlage wurde in ein episches Melodram im Western-Ambiente gepackt. Ein ungewöhnliches Genre fürs deutsche Fernsehen. Noch ungewöhnlicher ist die dramaturgische Umsetzung. Die kluge Begrenzung der Handlungsorte und die Überschaubarkeit der Charaktere ergeben eine konzentrierte Geschichte. Schicksalsschläge von außen bleiben die Ausnahme, auf die wohlfeile Fallhöhen-Dramaturgie und auf künstliche Dramatisierung wird verzichtet. Uli Edel erzählt in Bildern, er kennt das Genrekino, er kennt die Ikonografie des Western, und er hat mit Jonas Nay, Aylin Tezel und Leonie Benesch eine für diese Dreiecksgeschichte perfekte Besetzung gefunden. Nay hat auch einen wunderbaren Score beigesteuert; einzig mit dem Schwäbischen hat er seine Mühe. Und in einem ist der Film sogar besser als die Spät-Western aus (New) Hollywood: Dialoge & Kommentare sind knackig, knapp & sehr präzise.
Der posthum erschienene Roman von Siegfried Lenz, „Der Überläufer“, erzählt von den Irrungen und Wirrungen eines deutschen Soldaten in den Jahren 1944/45, die darin gipfeln, dass dieser junge Mann die Wehrmachtsuniform ablegt und zur Roten Armee überläuft. Das utopische Potenzial – die Liebe als letzter Hoffnungsschimmer, die friedliche Vereinigung über nationale Grenzen hinweg, die Erhebung des Individuums über die Ideologie einer Gesellschaft – hat die sehr sehenswerte zweiteilige Verfilmung (NDR, Degeto, SWR / Dreamtool Entertainment) nun noch eine Spur deutlicher ins Zentrum der Geschichte gerückt. „Der Überläufer“ zeichnet den Zweiten Weltkrieg nicht (abbild)realistisch nach; vielmehr finden Bernd Lange und Florian Gallenberger wie schon Lenz für den endzeithaften Schlussakkord dieses Krieges eine Bilder- und Figuren-Landschaft, die von Anfang an den Zuschauer in den Film gleichermaßen hineinzieht wie auf Abstand hält. Kann man im Krieg ein anständiger Mensch bleiben? Gibt es ein richtiges Leben im falschen? Das sind die zeitlosen Fragen, die der Film u.a. aufwirft. Dafür findet er sowohl die richtige Dramaturgie als auch die passende Bildsprache: Der Erzählstil ist ruhig, szenisch und zugleich sehr filmisch. Vor allem aber ist dieser Anti-Kriegsfilm ein großartiger Schauspielerfilm.
Auf dem Hintergrund der Wirtschaftswunderjahre erzählt die Tragikomödie „Der verlorene Bruder“ von einem Flüchtlingsehepaar, das zwar eine neue Heimat gefunden hat, aber mit dem Trauma leben muss, den erstgeborenen Sohn in den Wirren von 1945 verloren zu haben. So wird auch ihr 13-jähriger Sohn genauso zum Leidtragenden ihres tragischen Schicksals: ein Kind, das nicht gesehen wird von den Eltern. Matti Geschonnecks ARD-Fernsehfilm ist nach dem autobiographischen Roman „Der Verlorene“ von Hans-Ulrich Treichel entstanden; Ruth Toma hat die Vorlage filmgerecht bearbeitet. Als Familiengeschichte und Sittengemälde gleichermaßen überzeugend – episodisch, beiläufig & liebevoll erzählt, großartig besetzt.
Mit dem Kinofilm „Die andere Heimat“ fand 2013 der „Heimat“-Zyklus von Edgar Reitz seinen Abschluss. Im 19. Jahrhundert ist es auch die Armut, die Menschen nach einer neuen Heimat suchen lässt. Im Film zieht es den jungen Jakob aus dem Hunsrück ins ferne Brasilien. Bei dieser „Taugenichts“-verdächtigen Figur ist es auch die romantische Faszination des Fremden, die sie antreibt. Der Film ist in Schwarzweiß gedreht, wodurch er eine „dokumentarische“ Aura bekommt; andererseits aber wirkt Vieles im Film auch surreal bis hin zu Anleihen beim expressionistischen Film. Am spannendsten an diesem Arthausdrama sind letztlich aber die Weltsicht und die Wahnehmung des 19. Jahrhunderts, wovon der Film viel vermittelt.
„Der Krieg verloren, die Unschuld verraten, die Liebe ohne Hoffnung“, heißt es zu Beginn in „Gegen Ende der Nacht“. Drei Tage und drei Nächte im Hochsommer 1945, von denen der Pionier des anspruchsvollen Fernsehspiels Oliver Storz erzählt. Es geht um Schuld und Unschuld, um Vorurteile und Misstrauen und um die Unmöglichkeit von Liebe in einer Zeit völligen Umbruchs. Überragendes Spiel, erlesene Optik. Fernsehfilm-Klassiker der 90er: Grimme-Preis-gekrönt!