Mit nichts als seinen Fleischermessern und einem Koffer voller Würste kommt der junge schwäbische Metzger Fidelis Waldvogel (Jonas Nay) 1919 als Einwanderer nach Amerika. In Argus, North Dakota, eröffnet er bald seine eigene Metzgerei. Die Rezepturen seines Vaters sind die Grundlage seines Erfolgs. Ein Jahr später kommt seine Familie nach, seine Frau Eva (Leonie Benesch) und der kleine Johannes, doch leider auch die bigotte Tante Lore (Therese Hämer). Etwa zur selben Zeit lassen sich zwei weitere Deutsche, Delphine (Aylin Tezel) und ihr trunksüchtiger Vater Robert (Sylvester Groth), ganz in der Nähe nieder. Sie sind bei „Halbblut“ Cyprian (Vladimir Korneev) untergekommen, der wie sie mit seinen akrobatischen Nummern im Zirkus auftritt. Er und Delphine werden ein Paar – zunächst in der Manege, später lieben sie sich wie Bruder und Schwester. Delphine bedauert, dass Cyprian sie nicht begehrt. Aber durch ihren Vater, auf den sie seit jeher aufpassen muss wie auf ein Kind, hat sie gelernt, ihre eigenen Gefühle hintanzustellen. Dieser Butcher könnte ihr im Übrigen auch gefallen. Sie kommt Fidelis mit der Zeit dann auch immer näher – jedoch nur räumlich. Denn, nachdem sie sich mit seiner Frau Eva herzlich angefreundet hat, stellt diese Delphine im Metzgerladen als Verkäuferin ein. Die Freundschaft lässt sie ihre Liebesnöte vergessen. Doch auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist das Glück oft nicht von Dauer.
Es war einmal in Amerika vor fast genau 100 Jahren. „Der Club der singenden Metzger“ ist ein historischer Zweiteiler, eine Auswanderungs- und Dreiecksgeschichte, ein Premium-Programm zwischen den Jahren, eine ARD-Produktion, die trotz deutscher Figuren amerikanische Lebensart mit fast ausschließlich deutschsprachigen Schauspielern historisch nachempfindet. Das weckt Erwartungen, lässt aber auch weniger Gutes befürchten: ein Mann zwischen zwei Frauen, eine unerfüllte Liebe, der Vater, eine tickende Zeitbombe, und ein Mann, halb Indianer, halb Weißer, da sieht man schon den Mob marschieren. Am Ende aber ist der Film von Uli Edel nach dem Drehbuch von Doris Dörrie und Ruth Stadler in keine dieser Fallen getappt. Die Roman-Vorlage von Louise Erdrich wurde in ein episch erzähltes Melo im Western-Ambiente gepackt. Ein ungewöhnliches Genre fürs deutsche Fernsehen. Noch ungewöhnlicher aber ist die dramaturgische Umsetzung. Die kluge Begrenzung der Handlungsorte und die Überschaubarkeit der Charaktere ergeben eine konzentrierte Erzählung. Schicksalsschläge von außen bleiben die Ausnahme, auf die wohlfeile Fallhöhen-Dramaturgie und auf künstliche Dramatisierung wird verzichtet. Krankheit und Tod gehören dagegen zum Genre Melodram, aber eben auch zum ganz normalen Leben – und bei einer Filmlänge von drei Stunden wirken diese existentiellen Einschnitte eher wie zum Leben gehörig, als dass man sie als konventionelle Genre-Versatzstücke rezipieren würde.
Der Film verzichtet auf jegliches dramatisches Kleinklein. Da werden dem Einwanderer nicht etwa sein Bündel oder sein Wurstrezept geklaut, da werden aber auch persönliche Dramen wie das des Trinkers oder das der ungarischen Bestatterin von Argus (Claudia Kottal), die beide am Galgen hätten enden können, erfreulicherweise nicht bis zum bitteren Ende ausgespielt. Diese kleinen Nebengeschichten gehören zum Alltag in diesem schmutzigen Einwanderer-Kaff. Was wirklich zählt, das sind die inneren Konflikte der Hauptfiguren, die Sehnsüchte, die Ängste, die Hoffnungen – und die beiden Versprechen, die im Film gegeben werden. Was das tragische Schicksal des Vaters mit Delphine macht und wie sie dabei von der Gemeinschaft unterstützt wird – das interessiert beispielsweise sehr viel mehr. Dass die einsame Bestatterin, die auch ein Auge auf den freundlichen Metzger geworfen hat, nicht mit Delphine einen Konkurrenzkampf vom Zaun bricht, passt da genauso ins Bild wie die rasch verpuffende Intrige der Tante. Es gibt keine Konflikte bis aufs Messer. Der Western-Look täuscht. In „Der Club der singenden Metzger“ haben die Gefühle das Sagen. Erzählt wird in die Weite der Landschaft und in die Tiefe der Figuren hinein. Und bei dieser Character-Driven-orientierten Narration bedarf es nicht einmal eines kraftvollen Antagonisten. Allenfalls das Tantchen und der Sheriff sind der Gegenpol zu den sieben, acht lebensfrohen, integren Charakteren.
Zirkus-Welt und wilder Westen sind cooler als die deutsche Provinz
Die Zirkus-Szenen sorgen gleich zu Beginn für magische Momente (wunderschön: Aylin Tezel als Trompete spielende Frau im Mond), während die Bilder in der schwäbischen Heimat so aussehen, wie sie meistens aussehen in deutschen Fernsehfilmen: In warmen Brauntönen wird das ländliche Leben beschworen; das wirkt durchaus authentisch, aber weil man es schon so oft gesehen hat, erkennt man dabei (in der konventionellen Darstellung) immer auch die Ausstattung. Im Wilden Westen ist die Wirkung eine andere: Statt deutschen Provinz-Muffs findet man sich hier in einer Western-Welt. Und die ist cooler als deutsches History-TV. Deutsche Befindlichkeiten treffen auf eine universelle Genre-Bildsprache: Das ist die richtige Kombination, um hierzulande beim – auch jüngeren – Publikum zu punkten und um (vielleicht) auch international Zuschauer anzusprechen.
Und mit Gesang geht alles besser, nicht nur im Schwäbischen, sondern auch im nicht mehr ganz so wilden Westen. Weil dem Helden der Männerchor aus seiner Heimat fehlt, lädt er auch in Argus gelegentlich zum Singen ein. Und so wird neben US-Song-Klassikern wie „Banks on the Ohio“ oder „Amazing Grace“ auch immer wieder deutsches Liedgut – von „Ein schöner Land“ über „Der Mond ist aufgegangen“ bis hin zum Comedian-Harmonists-verdächtigen „Hört, was kommt von draußen rein“ – in die Handlung eingestreut. Ein begnadeter Sänger ist auch der Arzt des Ortes (Gerhard Liebmann), der in Ermangelung der nötigen Schmerzmittel seine Patienten zum (ablenkenden) Mitsingen auffordert. Auch der Score von Hauptdarsteller Jonas Nay und David Grabowski ist außergewöhnlich – weil er mit seinen Folk- und Westernsong-Elementen bis hin zu Bluegrass und Dixieland zum einen sehr abwechslungsreich ist und zum anderen die Handlung eher kommentierend begleitet und Gefühle allenfalls akzentuiert, auf den Punkt bringt, ohne in ihnen zu schwelgen oder sie künstlich zu verstärken. Das entspricht ganz dem epischen Erzählkonzept des Films.
Dieses Konzept spiegelt sich vor allem aber in den Bildern. Regisseur Uli Edel, der nach „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ vor allem in den USA („Die Nebel von Avalon“) arbeitete, bevor er hierzulande mit „Der Baader Meinhof Komplex“ und „Das Adlon“ wieder große Erfolge feiern konnte, kennt das (Genre-)Kino und er kennt die Ikonografie des Western. Da stapft zu Beginn Fidelis Waldvogel durch den Matsch in das ausgestorben wirkende Städtchen – ein klassisches Western-Motiv, allein das Pferd und der Pistolenhalfter fehlen; dafür rollt der Held wenige Jahre später mit dem Automobil durch Argus. Auch die Weite der Landschaft und des Himmels haben Edel und Kameramann Hannes Hubach stimmungsvoll eingefangen. Gedreht wurde in Kroatien: Karl May lässt schön grüßen. Sehr echt – sprich: gelebt und verlebt – wirkt auch das Szenenbild, obwohl sowohl die Häuser des Ortes als auch die Indianer-Ranch gebaut wurden. Im Presseheft schwärmen die Entscheider von der großen Emotionalität des Films. Das besagt erst mal wenig. Auf Emotionen setzen hierzulande auch die „Herzkino“-Macher. Das Besondere bei „Der Club der singenden Metzger“ ist vielmehr das Wie: Die Emotionen werden erzählt, sie ziehen sich weniger über ganze Szenen, sondern sie manifestieren sich in den Bildern, in dem Verhältnis Mensch/Landschaft, in Gesichtsausdrücken, in Gesten. Beiläufig und schmucklos ist die Einstellung, in der sich die beiden Hauptfiguren zum ersten Mal begegnen – allerdings nur für den Zuschauer: Vorne sitzt Fidelis und hinten kommen Delphine und ihr Vater ins Bild. Andere Beispiele: Ein Schrei in die dunkelblauschwarze Nacht. Eine stimmungsvolle Beerdigungsszene, für die drei Einstellungen genügen. Oder Delphine, sitzend in der Ranch als dunkle Silhouette, die Tür steht offen und aus der Ferne nähert sich ein Automobil. Im Western wäre es ein Cowboy, reitend oder zu Fuß (wie John Wayne in „The Searchers“).
Wie es sich für ein Melodram gehört, scheut Hubachs Kamera die Nähe der Schauspieler nicht. So lässt sich vieles von den Gesichtern ablesen. Die Scheu, die Unsicherheit, die Sehnsucht, Gewissenskonflikte und andere ambivalente Stimmungen, aber auch Zufriedenheit, Momente des Glücks und der Hoffnung. Bei den Hauptdarstellern kommt noch etwas Besonderes hinzu: Alle drei besitzen die Aura des Reinen, der Unschuld, ihre Charaktere wollen gute Menschen sein, niemanden emotional verletzen. Selbst Delphine, die für den Traum von Amerika zur Diebin wird, ist ein hochintegrer Mensch. Nie würde sie ihren Vater („Stein um meinen Hals“) im Stich lassen und nie würde sie ihre beste Freundin mit deren Ehemann betrügen. Aber Jonas Nay und vor allem die Frauen, Aylin Tezel & Leonie Benesch, sind eben nicht nur schöne Seelen – und sie besitzen trotz ihres fortgeschrittenen Alters (Benesch ist 28, Nay 29 und Tezel sogar schon 35) so etwas wie die Reinheit der Jugend – sprich: Sie sehen jünger aus, als sie sind. Für ein Melodram, besonders für diese Geschichte sind diese drei eine perfekte Besetzung – da lässt es sich darüber hinwegsehen, dass Nay mit dem Schwäbischen seine liebe Mühe hat. Gut, dass nicht übermäßig viel geschwätzt wird.
Und überhaupt: die Sprache – auch sie ist großes Kino. Müssen sich die Bilder schon nicht verstecken hinter den Spätwestern aus (New) Hollywood, so besitzen doch die Dialoge und besonders die kurzen Off-Kommentare ein Höchstmaß an semantischer Präzision und dramaturgischer Prägnanz. Einige Beispiele. Ein Blick des Helden auf seine zukünftige Frau, die Frau seines gefallenen besten Freundes, dem er im Schützengraben ein Versprechen gegeben hat, und dazu der einfache Satz: „Sie war mir so seltsam vertraut.“ Ein Dilemma wird auf den Punkt gebracht: „Was wiegt schwerer, die Last, wenn ich bleibe, oder die Schuld, wenn ich gehe.“ Die Artistin muss feststellen: „Cyprian wollte nicht mich, nur meine Bauch-muskeln.“ Besonders überzeugend ist die Bildhaftigkeit: „Die neue Sprache passt einfach nicht in meinen Mund“ oder „Wie unverfroren einen die Gefühle anspringen. Eva liegt im Sterben, und ich sehne mich nach seiner Nähe.“ Auch die gesprochenen Sätze sind kurz und pointiert: „Was springt für ihn heraus?“, fragt die Bestatterin und gibt damit ein knappes Charakterbild des Sheriffs (und der Zuschauer muss erkennen, dass diese US-Mentalität nicht ausstirbt). Alles sagen und dabei nicht viele Worte machen ist eine große Kunst, Doris Dörrie und Ruth Stadler beherrschen sie – und sie wissen nicht nur, wie man verbale Interaktion klug rafft (Frage: „Wie schlimm ist es?“ Antwort: „Macht es ihr schön“), sondern auch wie man einen 500seitigen Roman für einen Drei-Stunden-Film intelligent strafft.