In „Lotte Jäger und das tote Mädchen“ bekommt es eine Berliner Sonderermittlerin für ungeklärte Fälle mit einem Vertuschungsfall aus dem vorletzten Jahr der DDR zu tun. Ein Unschuldiger wurde damals als Mörder verurteilt, und jetzt ist er schon wieder das Opfer. Das ZDF kommt kurz vor dem Aus von „Bella Block“ und „Unter Verdacht“ mit einem neuen Premium-Krimi, der in seiner Struktur etwas an „Sperling“ erinnert. Vielleicht liegt’s am dreifachen Grimme-Preiträger Rolf Basedow, der die Geschichte vom waidmännischen Treiben in der DDR-Bonzen-Absteige, dem Jagdschloss Hubertusstock, recherchiert und geschrieben hat. Der dialogreiche und doch sinnlich-luftige Krimi mit einer sehr erotischen Heldin ist dramaturgisch, wahrnehmungspsychologisch & filmisch clever.
Ein scharfer, gut recherchierter, aktueller Polit-Krimi – so etwas gibt es hin und wieder, zum Glück. „Meister des Todes“, angelehnt an den Fall des nach Mexiko verkauften Heckler & Koch-Sturmgewehrs G36, löst den Anspruch ein, sowohl über das trübe Geschäft mit Waffen aufzuklären, als auch eine packende Geschichte zu erzählen. Im Mittelpunkt steht der junge Waffenexperte Zierler (stark: Hanno Koffler), der durch die Erlebnisse in Mexiko sein eigenes Tun zu hinterfragen beginnt. So ist dieser politische Film auch ein Drama, das an die Verantwortung des Einzelnen appelliert. Mit prominenter Besetzung in pointierten Nebenrollen (Milberg, Ferres, Knaup, Wachtveitl) und einer herausragenden Kamera (Gernot Roll).
„Mord am Meer“ von Matti Geschonneck ist ein spannender Thriller über zwei Kapitel aus der jüngsten deutsch-deutschen Polit-Vergangenheit: Stasi meets RAF! Es beginnt wie ein Krimi. Nachhaltige Story, spannend, großartig gespielt. Und der Zuschauer muss mitdenken.
Matthias Brandt und sein Hanns von Meuffels befinden sich auf der Zielgeraden. Jan Bonnys „Das Gespenst der Freiheit“ über die vierte Generation von Neonazis ist der vorletzte „Polizeiruf 110“ um diesen preußischen Ermittler in Bayern. Herumschlagen muss er sich mit halbwüchsigen rechtsextremen Proleten und einem skrupellosen Verfassungsschützer. Die fragwürdige V-Mann-Politik der Behörde wird betrachtet durch die subjektiv-psychologische Brille dieses ebenso kultivierten wie eigenwilligen Kommissars. Das stille Leiden an der Dumpfheit und Dummheit der Anderen könnte ein Motiv sein für seinen Abgang. Auch in diesem formal auf spröden Realismus setzenden Krimi-Drama ist Spannung mehr Kopf- als Bauchsache. Emotional ist es vor allem die Anspannung des Protagonisten, die in den Fokus gerät. Und so distanziert Regisseur Bonny auch erzählt, so zwingt er doch den Zuschauer, in die ekelerregende Fratze der Gewalt zu schauen. Eine wahr(haftig)e Zumutung!
Ein schlechter Tag für Hanns von Meuffels. Morgens erschießt sich ein Kinderschänder vor seinen Augen. Dann geht eine Bombe hoch. Bleibt es bei der einen? „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist ein „Polizeiruf“ und er ist zugleich ein Versuch über den Glauben, er erzählt von falschen politischen Aktionen und einem richtigen Weg der Menschlichkeit und einer Schuld, die sich kaum wieder gut machen lässt. Außerdem zeigt Steinbichlers Kammerspiel, wie es im Angesicht des Todes zu einer Um(be)wertung der „Dinge“ kommen kann. Ein politisches Erlöserdrama von bleierner Schwere, das sicher nicht jedermanns Sache ist!
Die Revolution in der DDR aus der Sicht von drei unterschiedlichen Schwestern: „Preis der Freiheit“ (W&B Television) ist der ZDF-Mehrteiler zum 30. Jahrestag der Mauer-Öffnung. Wie in „Weißensee“ erzählen die drei 100-minütigen Filme die Wendezeit aus dem Inneren einer mächtigen DDR-Familie und wie in „Deutschland 86“ unter besonderer Berücksichtigung der Auslands-Geschäfte, mit dem der marode sozialistische Staat seine Existenz retten wollte. Der spannende Wirtschafts- und Polit-Krimi hält sich jedoch nahe an die realen, ungeheuerlichen Ereignisse um DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski. Außerdem stehen die Frauen-Figuren, großartig gespielt von Barbara Auer, Nicolette Krebitz und Nadja Uhl, ergänzt um ein ausgesuchtes Ensemble, nicht nur im Zentrum des bewegenden Familiendramas, sondern auch der politischen Wende-Chronik. „Preis der Freiheit“ ist keine Event-Produktion in Jubelpose. Bei der Darstellung der zynischen Geschäfte zwischen Ost und West kommt niemand ungeschoren davon.
„Der rote Schatten“ erinnert an den Herbst 1977, der sich vor den Toren Stuttgarts mit der „Todesnacht von Stammheim“ am 18. Oktober zugespitzt hatte. Dieser „Tatort“ nimmt anhand eines fiktiven Falls den Mythos des „Deutschen Herbsts“ wieder auf, stellt die Fragen von damals im veränderten (Krimi-)Kontext neu und verzichtet auf jegliche Gedenkfernseh-Rituale. War es Selbstmord, staatlich geförderter Selbstmord, Mord? Diese Tötungsvarianten werden noch einmal andiskutiert. Dominik Grafs vierter „Tatort“ ist kein kühler Politdiskurs – denn da ist Lannert als Zeitzeuge & „Sympathisant“, da ist ein abgewrackter V-Mann, den Hannes Jaenicke äußerst charismatisch verkörpert, und da ist ein aktueller Mordfall, dessen Aufklärung der Verfassungsschutz behindert. Doku-Passagen und längere Dialog-Szenen geben besonders einem jüngeren Publikum das nötige historische Hintergrundwissen mit, um diesen ebenso spannenden wie diskussionswürdigen Politkrimi besser zu verstehen.
Eine junge Auszubildende in einem Friseurladen kommt bei einem Brandanschlag ums Leben. In Verdacht gerät ein dunkelhäutiger Drogendealer. In diesem Frankfurter „Tatort“ sind alle Zutaten vorhanden für ein aufwühlendes Drama um Rassismus und Ausländerkriminalität. Doch „Land in dieser Zeit“ ist kein klassischer Themen-Film, allerdings auch kein hochspannender Krimi. Dafür überrascht der HR mit einem poetischen Zugang, mit Volksliedern und Ernst Jandl. Toll: Ein lyrischer „Tatort“, der über das Spiel mit Sprache zur Reflexion über den Zustand der Republik einlädt. Bruno Cathomas ersetzt Roeland Wiesnekker, was man mit einem weinenden und einem lachenden Auge sehen kann.
Ein führender Politiker der „Neuen Patrioten“ kommt mitten im Wahlkampf bei einem Anschlag mit einer Autobombe ums Leben. Er war der Ehemann der Parteivorsitzenden. Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein hat in der „Tatort“-Folge „Dunkle Zeit“ (NDR / Cinecentrum) den erstarkten Rechtspopulismus in Deutschland zu einem packenden Thriller verarbeitet. Und weil er den Populismus weder karikiert noch simplifiziert, wirkt der Film wie ein bedrückend treffendes Zeitbild. Kommissar Falke und seine Kollegin Grosz wachsen unter großem Druck allmählich zu einem Team zusammen – und entsprechend sind auch Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz ein weiterhin sehr vielversprechendes Gespann.
Christian Jeltsch wirbelt in „Puppenspieler“ den Kripo-Alltag in der Hansestadt einmal mehr durcheinander. Zum einen, weil er in seinem vierten „Tatort“ für Radio Bremen ein Verschwörungsszenario ausbreitet, in das korrupte Politiker, Wirtschaftslobbyisten und Geheimdienste verstrickt sind und das keine traditionelle Ermittlungsarbeit mehr möglich macht. Zum anderen führt der Autor einen neuen Kollegen in die Reihe ein: Leo Ulfanoff, ein freundlicher Fels in der Brandung, sympathisch skurril gespielt von Antoine Monot Jr. Ein Top-„Tatort“, in dem trotz Politik Thrill, Gefühl & Humor entspannt zusammenwirken!
Hop, Schwyz, hop – mit reichlich Frauenpower wartet der neue Schweizer “Tatort: Züri brännt“ auf: Zwei neue Ermittlerinnen, die sich fetzen, eine neue Staatsanwältin, die karrieregeil ist, und mit Viviane Andereggen eine Regisseurin, die bereits mit dem preisgekrönten Krimidrama „Rufmord“ bewiesen hat, dass sie das Genre beherrscht. Dazu kommt ein Autoren-Duo, das auch schon für ein Highlight der Reihe verantwortlich war. Ein starker Einstand zum Neustart der Eidgenossen mit einer cleveren, komplexen Geschichte, die auf den Zeitebenen spielt, viel Aufmerksamkeit erfordert, aber bis zum Finale fesselt.
Ausland-Einsatz für Senta Bergers Eva Maria Prohacek. Unter Verdacht, Flüchtlinge zu misshandeln, stehen die vor der Küste Italiens operierende Militärpolizei und die Agentur für den europäischen Grenzschutz im Mittelmeer. Ist ein deutscher Grenzschützer ermordet worden, weil er die Übergriffe nicht länger akzeptieren wollte? „Die elegante Lösung“ ist ein präzise erzählter, bewegender Politkrimi, der es sich nicht moralisch einfach macht.
Die Geschichte spielt in Dalmatien, aber Christoph Darnstädt wird sein Drehbuch auch mit Blick auf die politischen Verhältnisse in Deutschland geschrieben haben. Der vierte „Kroatien-Krimi“ ist der bislang beste Film mit Neda Rahmanian als Kriminalkommissarin in Split, denn Branka Marić hat es diesmal mit einem Gegner zu tun, der nicht zu fassen ist. Dominic Raacke verkörpert den Politiker, der alle Register zieht, um Bürgermeister zu werden, mit großer Hingabe als abstoßenden Rechtspopulisten. Star von „Messer am Hals“ ist dennoch die Hauptdarstellerin, die die Bandbreite ihrer Rolle diesmal regelrecht auszukosten scheint.
Der „Tatort – Borowski und der freie Fall“ ist – was das Genre angeht – eine Ausnahme im Fernsehkrimi, der Film allerdings alles andere als ein Ausnahme-„Tatort“. Der Versuch, relativ gesicherte Tatsachen aus der Barschel-Affäre auf erfundene Personen zu projizieren, ist gut gelungen, der Ermittlerduo dagegen agiert zwischen wadenbeißerisch stereotyp (Borowski) bis peinlich (Brandt). Eoin Moore arbeitet mit Genre-Klischees & dramaturgischen Billig-Tricks. Dennoch: Selbst ein schwacher „Borowski“ ist guter „Tatort“-Durchschnitt.
Ein Wettlauf mit der Zeit in Leipzig: Saalfeld & Keppler müssen einen Terroranschlag verhindern. Was schwarzhumorig bis makaber beginnt, nimmt bald Fahrt auf. Die Spannung in diesem handwerklich gut gemachten Krimi steigert sich bis zum hochdramatischen Finale. Zwar bedarf dieser politische Fall mancher Erklärungen, aber Holger Jancke und Thomas Jahn gelingt es, das Hintergrundwissen nicht als Proseminar der Talkring Heads zu servieren. Außerdem hat bei diesem „Männerfilm“ endlich mal Keppler/Wuttke die Hosen an!