Im Jahr 2022 wählt Frankreich einen Vertreter der Muslimbrüder zum Staatspräsidenten. Michel Houellebecq entwarf in seinem 2015 erschienenen Roman „Unterwerfung“ das irritierende Szenario einer widerstandslosen Islamisierung. Sein Ich-Erzähler ist ein zynischer Anti-Held, ein Literaturdozent, den die politische Umwälzung aus seiner Gleichgültigkeit reißt. Drehbuch-Autor & Regisseur Titus Selge kombiniert in seiner Verfilmung (Produktion: NFP) Ausschnitte aus Karin Beiers „Unterwerfung“-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg mit Spielszenen, die in der Mehrzahl an Originalschauplätzen des Romans gedreht wurden. Die selbstironische Ein-Mann-Show von Edgar Selge und die lebendig montierte Verschränkung von Literatur, Theater & Film: So wird aus der provokanten Dystopie „Unterwerfung“ ein vielschichtiger Fernsehfilm mit eigenen Akzenten. Dass die Hamburger G20-Unruhen miteinbezogen werden, kann indes nicht vollends überzeugen.
„Paradise“ (Netflix / Neuesuper), großes Fernsehen mit Kostja Ullmann und Iris Berben, ist eigentlich ein Kinostoff: In einer nahen Zukunft ist Lebenszeit zur Ware geworden. Man altert zwar umgehend um die gespendeten Jahre, ist jedoch auf einen Schlag reich; aber natürlich hat das System seine Tücken. Das originelle und dank vieler beiläufig eingestreuter Nebenaspekte äußerst komplexe Drehbuch beeindruckt zudem durch den Genremix: Die Geschichte bietet eine 120 Minuten lange spannende Mischung aus Science Fiction, Thriller und Krimi; hinzu kommen ethisch-moralische Fragen. Neben der gekonnten Umsetzung durch Regisseur Boris Kunz, der auch am Drehbuch beteiligt war, beeindruckt das aufwändig gestaltete Werk nicht zuletzt durch die Leitung des Ensembles.
„Komm, schöner Tod“ führt in die nahe Zukunft. Die kommerzielle aktive Sterbehilfe ist gesetzlich freigegeben. Das Sterben kann nun als letztes großes Event des Lebens vermarktet werden. Greisen-Gettos für Demente, der Suizid als Happening, das Geschäft mit der Angst vor dem Tod. Friedemann Fromm entwirft ein nicht unrealistisches Zukunftsszenario. Die enge Verbindung von Hochrechnung eines gesellschaftlichen Ist-Zustands und traditioneller, fiktiver Erzählformen (Märchen, SF, Phantasie) ist die Stärke des Films. Weitere Pluspunkte: Menschen aus Fleisch & Blut, gute Darsteller, kein Thesen-Stück, eindringliche Bilder.
Eine Nordsee-Bohrinsel havariert und an der Küste kotzen sich Menschen zu Tode. Irgendetwas schwärmt und glibbert da durchs Wasser, das rote Wellen schlägt und Badegäste Schleim spucken lässt. So wie in dem Ökoschocker ein seltsames Trio die Entwicklung eines neuen Evolutionsschrittes entdeckt, so wird der Genrekino-Fan Augenzeuge eines filmischen Quantensprungs. Popcorn-Pantoffelkino, das rockt und rollt wie geschmiert.
Das betagte Liebespaar Anna und Hermann kann dank eines neuartigen Verfahrens der Firma Menzana in die Haut junger, gesunder Afrikaner schlüpfen. Das futuristische Szenario eines Persönlichkeitstransfers erscheint hier keineswegs abwegig, sondern als faszinierendes Gedankenspiel. „Transfer“ ist eine schlüssig und stilsicher inszenierte Science Fiction, ein spannendes, sinnliches Spiel mit Identitäten, durchaus geeignet für Philosophie- und Ethikkurse. Starke Besetzung, aber auch einige übertrieben melodramatische Dialoge.
Geht im 1. Teil von „Vulkan“ noch alles seinen Event-Zweiteiler-erprobten Gang mit der finalen Evakuierung des Dorfes, so entwickelt sich Teil 2 weg vom optimistischen Helden-
Epos zu einem zwischenzeitlich ungemein düster-pessimistischen Endzeit-Szenario.
Die Handlung klingt nach Katastrophenfilm: Ein Asteroid rast auf die Erde zu; er wird Europa nahezu komplett vernichten. Den Menschen bleibt nur noch eine gute Woche, um sich auf das Ende vorzubereiten oder irgendwie in Sicherheit zu bringen. „8 Tage“ (Sky / Neuesuper) widmet jedem dieser letzten Tage eine Episode und beobachtet, wie sich ein Dutzend Berliner im Angesicht des Todes verhält: Die einen lassen angesichts des nahenden Untergangs jede zivilisatorische Zurückhaltung fahren, die anderen tanzen auf dem Vulkan. Die Spannung resultiert wie bei einem Katastrophenfilm aus der Frage, wer das Desaster überleben wird. Die distanzierte Perspektive von Buch und Regie hat allerdings zur Folge, dass die Protagonisten wie Probanden wirken. Die Serie entwickelt deshalb nicht den Sog der letzten Sky-Produktion „Der Pass“, ist aber treffend besetzt und ausgezeichnet gespielt.
Ein Anwalt und eine Lehrerin fliehen mit ihren beiden Kindern aus einem Deutschland, das zur Diktatur geworden ist. Vor der namibischen Küste kentert das Schlauchboot, der jüngste Sohn wird seitdem vermisst. „Aufbruch ins Ungewisse“ (WDR, Degeto / Hager Moss Film) ist ein Familiendrama, das die Verhältnisse in der Zukunft umkehrt: Die Flüchtenden sind Europäer, die in (Süd-)Afrika Asyl suchen. Die Botschaft ist leicht zu durchschauen, die Dystopie gleicht der Gegenwart, nur unter anderen Vorzeichen. Und wieso sollte es stimmen, dass eine solche Geschichte das Publikum mehr berührt, wenn es sich um eine weiße, deutsche Familie handelt? Deutlich wird das Ausgeliefertsein, die lebensbedrohlichen Umstände einer Flucht und der kräfte- und nervenzehrende Alltag im Flüchtlings-Camp.
Eine unsichtbare Wand versperrt einer namenlosen Frau den Rückweg von einer Hütte in den Bergen. Abgeschnitten, aber nun in der Gemeinschaft mit einigen Tieren lebend, kämpft sie gegen Einsamkeit, Angst und Tod. Die Literatur-Verfilmung „Die Wand“ von Julian Roman Pölsler (Buch & Regie) ist ein existenzialistisches Drama, einzigartig, sperrig, düster und dank herrlicher Naturaufnahmen bildgewaltig. Eine Handlung gibt es kaum, und die zum Teil altbackenen Texte sind gewöhnungsbedürftig. Martina Gedeck muss den Film ganz allein tragen: ein eindrucksvolles, aber auch etwas ermüdendes Arthaus-Solo.
Man möchte „Nachts im Paradies“ (MagentaTV / Windlight Pictures, Satel Film) lieben, diese Serie, die dem Mainstream, dem Krimi, dem Thriller und der stromlinienförmigen Dramaturgie die kalte Schulter zeigt. Identitätssuche als fieser Alptraum, als Neo-Noir-Apokalypse mit deutschem Personal. Jürgen Vogel besser als zuletzt, und Lea Drinda ein Naturereignis! Die Sinnlichkeit der Inszenierung, Score, Kamera, Szenenbild und Montage einfach nur meisterlich… Aber nach der Hälfte der Spielzeit sind einige Bonuspunkte verbraucht. Ein Hauch mehr Spannungsdramaturgie, etwas mehr Ironie und weniger bedeutungsschwere Sätze, zwei Folgen weniger, dann wäre „Nachts im Paradies“ ein absolutes Serien-Highlight.
Die Zombies sind los in Berlin… Ein Horrorfilm aus der Trash-Kategorie im ZDF – das hat Seltenheitswert. Doch keine Panik: „Rammbock“ setzt nicht auf vordergründige Ekel-Effekte, sondern errichtet vielmehr ein apokalyptisches Szenario, das zwar von Schock- und Spannungsmomenten durchzogen wird, in dem sich aber auch gesellschaftliche Ängste spiegeln. Die Mixtur aus morbid, melancholisch und lakonischem Witz, aus physischem Schrecken und psychologischer Bedrohung geht auf: wenig ist eben doch oft mehr.
„The Ordinaries“ ist ein dystopisches Coming-of-age-Drama, das voller cineastischer Ideen steckt und deshalb vor allem filmisch fasziniert. Nicht weniger bemerkenswert ist die Geschichte, in der eine Gesellschaft entworfen wird, die sich durch Abgrenzung und massive Ausgrenzung definiert. Sophie Linnenbaum entwirft eine Dreiklassengesellschaft und arbeitet mit Begrifflichkeiten aus der Welt des Films. Das ist originell, nachdem der erste sinnliche Zauber verflogen ist, aber auch etwas anstrengend. Der außergewöhnliche, etwas zu lange Debütfilm besticht auch durch Sinnbilder, Metaphern und sozial(kritisch)e Subtexte.
Dystopien waren schon immer ein Kommentar zur Gegenwart. Die Handlung der Serie „Helgoland 513“ (Sky, Wow / UFA Fiction) wirkt wie eine Metapher für die „Festung Europa“: Nach einer Seuche haben sich einige hundert Überlebende auf der Felseninsel abgeschottet. Die Titelzahl bezieht sich auf die Anzahl der Menschen, die das Eiland ernähren kann. Ungekrönte Königin der Scheindemokratie ist eine autokratische Herrscherin (Martina Gedeck), deren Macht auf einem perfiden Punktesystem basiert. Was in der Theorie wie ein reizvolles Sozialexperiment klingt, hat in der Umsetzung allerdings einige Mängel. Die eigentliche Faszination entfaltet sich erst in den beiden letzten Episoden, als die Vorgeschichte nachgereicht wird. Eine Kürzung um zwei Folgen hätte der Serie nicht geschadet; hinzu kommen darstellerische Mängel. Die Bildgestaltung ist allerdings ausgezeichnet.
Der Sage nach entführte anno 1284 der um seinen Lohn betrogene Rattenfänger von Hameln 130 Kinder aus der Stadt. Die Serie „Hameln“ (REAL FILM, Don´t Panic Films) lässt den Flötenspieler nach acht Jahrhunderten mit seiner (un)toten Gefolgschaft zurückkehren. „Hameln“ begleitet drei einst verschonte Teenager, die als Geisterjäger den Fluch brechen wollen. Unschuldige Kinder, beladene Eltern: Der Riss zwischen den Generationen hievt „Hameln“ thematisch in die Jetztzeit. Der Sechsteiler illustriert seine Schrecken mit klassischen Bildern aus dem Horrorgenre und Verweisen auf moderne Film-Dystopien. Ein einnehmender Spannungsaufbau gelingt „Hameln“ nicht. Das ewige Beziehungsgekläre zwischen Teenagern, zwischen Müttern und Söhnen und Töchtern und Vätern dürfte die Generation Ü-16 schnell ermüden. Angenehm geschockt wird eher das jüngere Publikum. Wer die „Pfefferkörner“ mag, wird dank „Hameln“ mit einfachen Tricks in härtere Gruselgefilde gelockt.