8 Tage

Christiane Paul, Waschke, Striesow, Hinrichs. Fallstudien vor der Apokalypse

Foto: Sky / Neuesuper
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Handlung klingt nach Katastrophenfilm: Ein Asteroid rast auf die Erde zu; er wird Europa nahezu komplett vernichten. Den Menschen bleibt nur noch eine gute Woche, um sich auf das Ende vorzubereiten oder irgendwie in Sicherheit zu bringen. „8 Tage“ (Sky / Neuesuper) widmet jedem dieser letzten Tage eine Episode und beobachtet, wie sich ein Dutzend Berliner im Angesicht des Todes verhält: Die einen lassen angesichts des nahenden Untergangs jede zivilisatorische Zurückhaltung fahren, die anderen tanzen auf dem Vulkan. Die Spannung resultiert wie bei einem Katastrophenfilm aus der Frage, wer das Desaster überleben wird. Die distanzierte Perspektive von Buch und Regie hat allerdings zur Folge, dass die Protagonisten wie Probanden wirken. Die Serie entwickelt deshalb nicht den Sog der letzten Sky-Produktion „Der Pass“, ist aber treffend besetzt und ausgezeichnet gespielt.

Ein Asteroid rast auf die Erde zu. Laut den Berechnungen wird er in acht Tagen an der französischen Altantikküste einschlagen und weite Teile Europas vollständig vernichten. Ein Versuch der Nasa, den Himmelskörper mit Raketen aus seiner Bahn zu schießen, ist gescheitert; das Ende ist unausweichlich. Die Serie widmet jedem dieser letzten Tage eine Episode und schaut dabei zu, wie die Protagonisten den Rest ihres Lebens verbringen. Alle klammern sich verzweifelt an unterschiedliche Hoffnungen: Herrmann (Fabian Hinrichs) ist Mitglied der Bundesregierung und überzeugt, mit seiner hochschwangeren Lebensgefährtin (Nora Waldstätten) im quasi letzten Moment noch nach Amerika fliehen zu können. Derweil sind Ärztin Susanne (Christiane Paul), ihr Mann Uli (Mark Waschke) und ihre beiden Kinder mit Hilfe polnischer Schlepper auf dem Weg nach Russland. Baustoffhändler Klaus (Devid Striesow) hofft, die Katastrophe in einem Bunker überleben zu können.

Fast schon genüsslich sorgt das Autorentrio Peter Kocyla, Rafael Parente und Benjamin Seiler dafür, dass diese Pläne durchkreuzt werden. Wie bei einem Experiment konfrontieren sie die Menschen mit immer wieder neuen Hindernissen: Susanne schafft es nicht, auf einen Güterzug aufzuspringen, weshalb auch Tochter Leonie (Lena Klenke) wieder abspringt. Herrmann stellt schockiert fest, dass das US-Visum nur für ihn gilt, weil er und Marion nicht verheiratet sind. Er bettelt, droht, schreit, fleht; vergebens. Der Politiker wird ohnehin mehrfach ein Opfer der Ironie des Schicksals, ein Stilmittel, mit dem die Autoren ihre Figuren gern bestrafen; auch Uli muss auf diese Weise irgendwann seinen Preis zahlen. Zu allem Überfluss serviert das Drehbuch Herrmann auch noch eine sarkastische Glückskeksbotschaft: „Sie sind ein hervorragender Taktiker.“ Als sich die Situation grundlegend verändert hat, sorgt er zwar dafür, dass seine Angehörigen in die Sicherheit eines riesigen Bunkers fliehen können; aber ausgerechnet er muss draußen bleiben. Dafür wird den anderen in einer der spannendsten Szenen der Serie schockartig klar, dass das vermeintliche Refugium eine Todesfalle ist. Herrmann wiederum erlebt ein permanentes Wechselbad: mal Aussicht auf Rettung, dann wieder nicht. Selbst ein Augenblick tiefster Romantik kann nicht verhindern, dass er wie in der Fabel von Frosch und Skorpion doch noch verrät, was ihm am Liebsten ist. Klaus wiederum wird zum Gefangenen seines eigenen Sicherheitssystems, weil sich Tochter Nora (Luisa Gaffron) nicht einsperren lassen will und den Vater überlistet.

8 TageFoto: Sky / Neuesuper
Die letzten Tage vor der Apokalypse? u.a. Christiane Paul, Mark Waschke, Lena Klenke

Gerade die Männer stellen sich den Herausforderungen zwar unverdrossen, aber zunehmend verzweifelt. Auf diese Weise entstehen faszinierende Fallstudien völlig unterschiedlicher Charaktere, zumal die Extremsituation dafür sorgt, dass der dünne Firnis der Zivilisation rasch abblättert: Wer nur noch das nackte Leben retten will, hat keine Skrupel, über Leichen zu gehen. Ein weiterer Reiz der Geschichte liegt in der Verknüpfung der verschiedenen Erzählebenen. Zunächst hat es den Anschein, als hätten Michael Krummenacher und „Oscar“-Preisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) mehrere Filme gedreht, die nun beim Schnitt zu einem verschmelzen, wobei sie in den einzelnen Folgen wie bei einer Doku-Soap von einem Handlungsstrang zum anderen hüpfen; mitunter dauern die Momentaufnahmen tatsächlich nur einige Sekunden. Erst nach und nach offenbaren sich die Verbindungen: Herrmann ist der Bruder von Susanne, Nora und Leonie sind beste Freundinnen. Der von Murathan Muslu mit viel Melancholie versehene uniformierte türkischstämmige Polizist Deniz, der als letzter versucht, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, ist Susannes Geliebter. Er wird mehr und mehr zur tragischen Figur der Geschichte; gut möglich, dass die Autoren beim Entwurf dieser Rolle einige jener jene überlebensgroßen Figuren vor Augen hatten, wie sie Charlton Heston gern bis zum bitteren Ende verkörpert hat, unter anderem in „Planet der Affen“ bzw. „Rückkehr zum Planet der Affen“, „Der  Omega-Mann“ oder „Erdbeben“. Anders als Hestons Helden hat Deniz Humor: Kurz bevor die Welt untergeht, klemmt er noch einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer eines Autos. Außerdem sorgt er dafür, dass die Geschichte nicht völlig finster endet.

Hintergrund-Info:
Vorbilder für den modernen Weltuntergangsfilm sind vor allem „Der jüngste Tag“ (ein Planet ist auf Kollisionskurs mit der Erde, USA 1951) und der britische Klassiker „Der Tag, an dem die Erde Feuer fing“ (die Erde driftet aufgrund von Atombombentests auf die Sonne zu, 1961). Das Genre ist allerdings über 100 Jahre alt: Schon 1916 beschrieb der dänische Stummfilm „Das jüngste Gericht“, was passiert, als Astronomen entdecken, dass ein Komet auf die Erde zurast.

Zu den teilweise hochinteressanten Nebenfiguren gehört unter anderem der Vater von Susanne und Herrmann. Der ehemalige NVA-Offizier (Henry Hübchen) war vermutlich schon vor der Ankündigung des Weltuntergangs ein Zyniker, trauert seit Jahrzehnten der DDR nach und wird im Verlauf der Ereignisse zum zweiten Mal die große Liebe seines Lebens verlieren. Recht bizarr ist dagegen der gottesfürchtige Robin (David Schütter), dessen Rolle zunächst völlig undurchsichtig bleibt. Der etwas zurückgebliebene junge Mann wirkt wie ein komischer Heiliger, aber im Verlauf der Serie stimmt das Beiwort „komisch“ immer weniger, zumal Robin in einer der grausamsten Szenen bereit ist, sich für Nora zu opfern; später lässt er sich sogar kreuzigen, um das unausweichliche Ende doch noch abzuwenden. Robin sorgt auch für eins der prägenden Bilder, als er Dutzende Bibeln nach einem ganz bestimmten komplizierten Muster stapelt. Ein anderes entdeckt Uli auf einem Bahnhof nahe der russischen Grenze: Der Kofferberg weckt unwillkürlich Auschwitz-Assoziationen.

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Gibt es noch Regeln kurz vor der Apokalypse? Polizist Deniz (Murathan Muslu)

Nun, ambitioniert heißt in diesem Fall leider nur: Hätte auch klappen können. Aber aus dem großen Drama sind viele kleine Dramolette geworden und, noch viel schlimmer, im Ausnahmezustand breitet sich die fürchterliche Routine eines öffentlich-rechtlichen 90-Minüters aus. Letztlich machen alle Protagonisten, was man von ihnen erwartet: Die Eltern versuchen, ihre Kinder zu retten, der Ministeriumsmitarbeiter zieht alle Register der Erpressung und Bestechung. Alle Charaktere sind von Anfang an wie in Zement gegossen: Der Bunkermann ist ein sadistisches Arschloch, der Polizist der last man standing und der crazy Typ mit dem Tränentattoo unterm Auge natürlich der neue Jesus … In Acht Tage bleiben … keine Fragen offen. Waschke, Paul, Waldstätten, selbst Fabian Hinrichs oder die tolle Luisa Gaffron als Tochter des Bunkerbauers Klaus stolpern durch die Handlung wie durch einen Tatort, der nach anderthalb Stunden zu Ende ist. Hier aber nimmt das Geschehen leider sehr lange kein Ende. Recht bald steckt die Handlung fest, weil nur noch das immer gleiche Thema variiert wird (…), dafür beschleunigt sich immer hektischer der Schnitt. In der zweiten Hälfte der Serie hält es die Geschichte bei keiner Figur länger als wenige Minuten aus.
(Carolin Ströbele, DIE ZEIT, 13.2.2019)

Weil „8 Tage“ quasi mitten drin beginnt, bleiben die Figuren zunächst abstrakt. Die Identifikation resultiert nicht aus Sympathie, sondern aus Empathie. Die Taten, zu denen gerade Susanne und Uli fähig sind, sind dennoch schockierend: Sie erschießt zwei Mitglieder der Schlepperfamilie, als sich der Sohn an Leonie zu schaffen macht, er überfährt einen Russen mit einem LKW, denn zwischenzeitlich hat der nach dem ägyptischen Himmelsgott Horus benannte Asteroid seine Bahn verändert. Die amerikanischen Raketen konnten ihn zwar nicht stoppen, aber nun steuert er auf Kasachstan zu. Uli, der der russischen Zugbesatzung geholfen hat, einen Laster flottzumachen, müsste eigentlich umkehren, aber der Güterzug ist wieder losgefahren; und sein kleiner Sohn ist noch an Bord. Während es nicht schwer fällt, sich in Uli hineinzuversetzen, verkörpert Devid Striesow den Unternehmer Klaus zum Auftakt wie einen jener Kinomörder, die ihre Untaten hinter einer harmlosen Fassade verstecken und nur dem Publikum Einblicke in ihr schauerliches Innenleben gewähren. Nach und nach offenbart er jedoch immer deutlicher den Faschisten, der in ihm geschlummert hat. Auch seine Gewalttaten werden zunehmend hemmungsloser. Weil Nora im Bunker Feuer gelegt hat, um fliehen zu können, braucht Klaus neue Luftfilter. Kurzerhand ermordet er Splatterfilm-like einen widerspenstigen Nachbarn mit dessen Kettensäge (Die Einstellung mit freier Sicht auf die Gedärme des Opfers hätte sich das Regieduo auch sparen können).

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Der todkranke Ben (Thomas Prenn) feiert im grenzenlosen Rausch den Untergang. Gute Grundidee, aber die Serie ziiiieht sich!

Nicht minder aus dem Rahmen der ansonsten vergleichsweise zurückhaltenden Inszenierung fällt eine Sexorgie, selbst wenn die Bilder zu dem Anarchie-A aus dem Titelwort „Tage“ passen. Ungleich fesselnder ist die Serie jedoch, wenn es ums große Ganze geht. Marions Schwester (Alice Dwyer) ist TV-Journalistin und informiert die Öffentlichkeit über einen unerhörten Skandal: Die Lotterie, mit der die angeblich 15 Millionen deutschen Bunkerplätze vergeben werden, ist eine Farce. Angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände wird das Kriegsrecht verhängt und die Polizei der Bundeswehr unterstellt. Auch wegen solcher Entwürfe, die den denkbar größten Kontrast zu Ulis Traum von Utopia bilden, ist „8 Tage“ eine interessante Ergänzung zu den Katastrophenszenarien aus jüngeren Produktionen wie „Deep Impact“ (USA 1998) oder dem TV-Zweiteiler „Last Impact – Der Einschlag“ (2008).

Der Aufwand der TV-Serie ist natürlich nicht mit diesen Filmen vergleichbar, weshalb sich das Drehbuch vor allem auf die Zeichnung der Charaktere konzentriert. Ähnlich wie bei der Sky-Serie „Der Pass“ folgt das Konzept an einer erkennbaren Binnendramaturgie. Die Folgen beginnen ab Teil 2 mit einem Prolog, der das Vorzeichen für die jeweilige Episodenhandlung bildet. Dennoch funktioniert die Serie wie ein Fortsetzungsroman, zumal die individuellen Vorgeschichten sowie der Handlungsrahmen erst nach und nach in Form von Rückblenden erzählt werden. Folge 2 beginnt mit jenem Tag vor sechs Wochen, als die Nasa ihre Raketen startete, Folge drei 320 Tage vor dem prognostizierten Einschlag. Die Spannung resultiert wie bei einem Katastrophenfilm natürlich auch aus der Frage, wer das Desaster überleben wird. Trotzdem hat die distanzierte Perspektive von Buch und Regie zur Folge, dass die Protagonisten gewissermaßen zu Probanden werden: als habe sich eine übergeordnete Macht einen sinistren Scherz erlaubt, um zu beobachten, was passiert; wie ein Junge, der auf einen Ameisenhaufen pinkelt. Besonderes Ohrenmerk verdient allerdings die Musik von David Reichelt, der liturgische Texte so geschickt in seine Kompositionen integriert hat, dass sie wie bekannte Arien klingen; gesungen werden sie von der jungen Sopranistin Caroline Adler.

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Sky

Mit Christiane Paul, Mark Waschke, Devid Striesow, Fabian Hinrichs, Nora Waldstätten, Murathan Muslu, Lena Klenke, Claude Heinrich, Luisa Gaffron, Henry Hübchen, Alice Dwyer, Veit Stübner, David Schütter, David Bredin

Kamera: Benedict Neuenfels, Jakob Wiessner

Szenenbild: Christian M. Goldbeck

Kostüm: Max Wohlkönig

Schnitt: Stine Sonne Munch, Britta Nahler

Produktionsfirma: Neuesuper

Produktion: Simon Amberger, Korbinian Dufter, Rafael Parente

Drehbuch: Peter Kocyla, Rafael Parente, Benjamin Seiler

Regie: Michael Krummenacher, Stefan Ruzowitzky

EA: 01.03.2019 20:15 Uhr | Sky

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