„Mackie Messer“ (SWR / Zeitsprung) ist der ebenso kühne wie fulminante Versuch, Brechts „Dreigroschenoper“ als großen Film im Film zu inszenieren. Joachim A. Langs ehrgeiziges Konzept bettet die Realisierung von Brechts Vision in verschiedene Rahmenhandlungen: Auf der einen Seite beschreibt er die Produktion des Films und liefert auf diese Weise das „Making of“ gleich mit, auf der anderen schildert er die künstlerischen Differenzen zwischen Brecht und dem Produzenten; und schließlich bettet er die Auseinandersetzungen in die Zeitläufte der späten 20er & frühen 30er-Jahre. Zu einem Werk von cineastischer Wucht wird das Projekt jedoch wegen der beeindruckenden optischen Opulenz & der geradezu verschwenderisch namhaften Besetzung, allen voran Lars Eidinger als überlebensgroßer Bertolt Brecht.
LKA-Mann Murot gerät in ein Horror-Dorf – und in höchste Lebensgefahr. Dieser „Tatort“ ist ein Lust-Objekt für Filmfans. Die latente Angst zaubert eine Spielwiese von kafkaesker Bedrohlichkeit. Dr. Mabuse und Edgar Wallace grüßen schwarzweiß aus der Gruft. Tukur glänzt in Film-Noir- & Musical-Ambiente – und Claudia Michelsen als sadistische Dorfärztin kommt mit der Spritze. Dieser „Tatort“ ist aus Raum, Zeit und Krimi-Konvention gefallen. Ein intellektueller Spaß, ein cineastisches Vergnügen, ein Kritiker-Film. Doch hoffentlich nicht nur! Auf jeden Fall ein TV-Stück, das einem lange in Erinnerung bleiben wird.
Wen trifft die Alzheimer-Erkrankung eigentlich mehr, wer leidet stärker darunter, dass sich ein Leben aufzulösen droht: die Kranke oder deren Ehemann, der alles versucht, die Lebensgeister seiner Frau und die Erinnerung an ihre besten gemeinsamen Jahre wach zu halten? Mit dem Mut der Verzweiflung & der Phantasie kämpft in der österreichisch-deutschen Koproduktion „Für dich dreh ich die Zeit zurück“ ein Liebender gegen die Auslöschung dieser Liebe. Um seiner Frau die Illusion von früher zu geben, dekoriert er das gemeinsame Haus um, lässt es im Sixties-Stil erstrahlen… Das ist mehr als nur nostalgisch und gar nicht so weit am Wesen der Krankheit vorbei gedacht, das ist komödiantisches, nachdenkliches Mitfühl-TV, bis in die Nebenrollen vorzüglich besetzt. Der bislang beste ARD-Freitagsfilm in diesem Jahr.
„Der Palast“ (Constantin Television) – der Titel ist Programm, und er macht deutlich, was von dem ZDF-Dreiteiler zu erwarten ist und was nicht. Wer sich ein Drama verspricht, das sich ernsthaft mit der deutsch-deutschen Geschichte auseinandersetzt, kann sich die viereinhalb Stunden sparen. Autorin Doehnert bedient sich zwar der Geschichte, doch dieses Puzzle aus historischen Versatzstücken und ostwestdeutschen Mentalitätsstereotypen bildet allenfalls den Zeithorizont für eine Erzählung, die als Familien-Melodram konzipiert ist und die sich clever Kästners Zwillingsmotivs bedient. Wer dieser Art (n)ostalgischen Fernsehens nichts abgewinnen kann, dem wird eine „Palast“-Revolte nicht schwerfallen. Wer sich jedoch dem gekonnt gemachten Trivialen hinzugeben bereit ist, wer Fern-Sehen nicht nur als Kopfarbeit sondern auch als Bauchlust versteht, als eine angenehm ziellose und emotional entlastende Form der Wahrnehmung, der dürfte Spaß haben an diesem Bilderbogen, dieser „Doppelten-Lottchen“-Variation, die in Sachen Identifikation, Spannungs-Dramaturgie & Tanz bestens funktioniert. Svenja Jung trägt den Film, sie ist sein Atem, sein Herz, sein Gesicht – und wenn sie nicht gerade ein Solo gibt, so sticht sie noch als ein Teil aus dem Ornament der Masse heraus. Bei „Der Palast“ stößt der Verstand an seine Grenzen, obsiegt das Gefühl.
Einen Film wie „Nur eine Nacht“ hat man hierzulande noch nicht gesehen: Pasquale Aleardi, Yvonne Catterfeld und 28 junge Sänger und Sängerinnen in einem Fernsehfilmmusical, erzählt über den Zeitraum von 24 Stunden, einziger Handlungsort ein leerstehendes Industriegebäude. Nicht alles ist geglückt – aber Thorsten Näters ZDF-Film ist ein mutiger Versuch, ein Genre zu beleben, das hierzulande (leider) keine Tradition besitzt. Die Musik reißt mit und dieses Gefühl ist letztlich über jede Kritik erhaben. Bei einem solchen Song-Feuerwerk obsiegt das (Musical-&-Popmusik-)Fansein. Oberstes Gebot: ein entspannter Umgang mit Kitsch!
Das Private wird politisch! Im Mittelpunkt der Tanzfilm-Komödie „Dessau Dancers“ steht eine Bewegung, die 1985 auch in der DDR durch das Filmmusical „Beat Street“ ausgelöst worden ist: Hinterhöfe werden zur Bronx, weil sich Jugendliche auf ausgebreiteten Pappkartons als Breakdancer probieren. Die Charaktere sind zwar eher unterkomplex, jedoch findet Regisseur Jan Martin Scharf („Club der roten Bänder“) dank des Drehbuchs von Ruth Toma die perfekte Balance zwischen Musical, Jugenddrama, Komödie und Romanze.
Eine junge Familie gerät durch die Parkinson-Krankheit an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Selig-Sänger Jan Plewka & Nicolette Krebitz treten an zum Musical auf Krankendrama-Kurs. Das kann sich sehen & hören lassen. Doch die Geschichte mit dem schweren Thema sperrt sich dieser ästhetischen Ausrichtung des Films. Die Gefühle des Dramas passen nicht immer mit den Emotionen des Genres zusammen. Einzeln betrachtet aber lassen sich die einfachen, nachhaltigen Songs oder das charmant beiläufige Spiel von Nicolette Krebitz goutieren.
„The Ordinaries“ ist ein dystopisches Coming-of-age-Drama, das voller cineastischer Ideen steckt und deshalb vor allem filmisch fasziniert. Nicht weniger bemerkenswert ist die Geschichte, in der eine Gesellschaft entworfen wird, die sich durch Abgrenzung und massive Ausgrenzung definiert. Sophie Linnenbaum entwirft eine Dreiklassengesellschaft und arbeitet mit Begrifflichkeiten aus der Welt des Films. Das ist originell, nachdem der erste sinnliche Zauber verflogen ist, aber auch etwas anstrengend. Der außergewöhnliche, etwas zu lange Debütfilm besticht auch durch Sinnbilder, Metaphern und sozial(kritisch)e Subtexte.
In der Kreuzberg-Komödie „Marry Me – Aber bitte auf Indisch!“ zelebriert Regisseurin Neelesha Barthel den deutsch-indischen Kulturen-Clash. Eine junge, alleinerziehende Deutsch-Inderin wird von ihrer traditionsbewussten Großmutter zur Hochzeit genötigt. Ein sympathischer Erstling mit Schwächen, an dem vier Autoren herumgeschraubt haben und der dennoch den Kontrast zwischen den Kulturen ironisch und dramaturgisch überraschend komplex ausspielt und dabei meist den richtigen Ton trifft. Überzeugend sind vor allem die Bollywood-liken Musical-Einlagen, und der uneingeschränkte „Star“ ist Maryam Zaree.