Schon das Konzept dieses Films ist derart ehrgeizig, dass es zumindest in der jüngeren Vergangenheit seinesgleichen sucht; und das nicht nur im deutschsprachigen Raum. „Mackie Messer“ ist die kühne Kombination gleich mehrerer Ebenen, die bereits jede für sich eine bedeutende Herausforderung darstellen: Brechts 1928 uraufgeführtes Bühnenstück „Die Dreigroschenoper“ war gerade auch dank der Lieder von Kurt Weill ein derart fulminanter Welterfolg, dass es umgehend verfilmt werden sollte. Alsbald zeigte sich jedoch, dass Brecht für die Leinwand eine deutlich radikalere Version vorschwebte: Der Film sollte ein „Attentat auf die bürgerliche Ideologie“ werden. Weil sich die künstlerischen Differenzen nicht überbrücken ließen, kam es zu einem Prozess, den Brecht von vornherein verlieren wollte, um so zu zeigen, wie sich die Filmindustrie über seine Interessen als Autor hinwegsetzt. Dies ist die Ebene, auf der sich Joachim A. Lang (Buch und Regie) an die historischen Fakten hält. Die zweite ist eine Art Spekulation auf der Grundlage von Tatsachen, denn sie ist die Umsetzung von Brechts nie Wirklichkeit gewordener Vision, die aber immerhin als Exposé existiert. Die dritte Ebene schließlich erzählt von den Zeitläuften der späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre, als braune Horden beginnen, Theatervorführungen zu stören; und spätestens jetzt ist klar, dass sich die aktuellen Bezüge nicht allein auf die Kapitalismuskritik in der „Dreigroschenoper“ oder Brechts Erkenntnisse über Kultur als Ware beschränken.
Trotzdem ist „Mackie Messer“ alles andere als ein Dokudrama, selbst wenn Lang immer wieder zeitgenössische Schwarzaufnahmen einstreut und dabei einen verblüffenden Effekt erzielt, als er bei einem Arbeiterumzug eine Fahne rot koloriert. Das ästhetische Konzept ist ohnehin interessant: Der Film-im-Film ist laut und knallbunt, die Darsteller agieren wie auf der Bühne und grimassieren nach Leibeskräften. Die Auseinandersetzungen zwischen Brecht und den Geldgebern sind dagegen deutlich farbloser, die Bilder fast grau. Aber die große Kunstfertigkeit der Produktion liegt in der Art, wie Lang die verschiedenen Handlungsebenen miteinander verknüpft: Während Brecht noch seine Vision schildert, wird sie bereits lebendig; dann unterbricht Lang die Illusion, weil Brecht Regieanweisungen gibt, was diese Ebene wie ein „Making of“ wirken lässt. Die filmische Liebe zum Detail zeigt sich nicht zuletzt in den Übergängen, wenn sich beispielsweise eine Zigarre in den Lauf deines Revolvers verwandelt, sowie in verblüffenden Effekten, wenn eine Gruppe von Bettlern geisterhaft durch die aus allen Rohren feuernde Polizistenkette hindurchgeht oder wenn sich eine viktorianische Gangsterbande unversehens in eine Gruppe heutiger Geschäftsleute verwandelt.
„Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ ist indes mehr als der Versuch einer Rekonstruktion oder eines Reenactments – letztlich ist es ein Kinoessay über Formen und Bedingungen von Kunstproduktion. Im Mittelpunkt steht auch nicht die damalige Probenarbeit oder die Aufführungsgeschichte der ‚Dreigroschenoper‘ sondern der letztlich scheiternde Versuch, die Oper von Brecht und Weill den Vorstellungen des Dichters entsprechend fürs Kino zu adaptieren. (…) Das alles berührt überzeitliche Fragen von wahrhaftigem Kunstwollen, Künstlerautonomie und den Aufgaben von Kunst – und natürlich auch Fragen einer Überführung von literarischen oder theatralen Vorlagen ins Medium Film. Wobei Brechts Kunsttheorie und der legendäre Verfremdungseffekt organisch in die Inszenierung eingeschlossen ist. Alles, was Brecht im Film sagt, beruht auf Zitaten aus dessen Werk und Leben. Des Dichters Forderung, „zu zeigen, dass man zeigt“, wird vom Regisseur Lang angemessen ernst genommen, wenn nicht nur das Kulissenhafte und die bunte Auskostümiertheit der Szenen betont werden, sondern Brecht selbst die Handlung respektive Dreharbeiten immer wieder unterbricht, um zu kommentieren, Einwände zu erheben und sich auseinanderzusetzen, etwa mit der Filmgesellschaft, die 1930 immerhin 800 000 Reichsmark ins Projekt investiert hatte. (epd film zum Kinostart, 13.9.2018)
Lang leitet beim SWR das Ressort Sonderprojekte, Musik und Theater. Sein Arbeitsspektrum ist von imposanter Breite; einerseits hat er diverse Dokumentationen und Dokudramen betreut oder selbst realisiert (darunter „Jud Süß – Ein Film als Verbrechen?“, 2001), andererseits hat er mit dem „Tigerentenclub“ eine der bekanntesten Marken des deutschen Kinderfernsehens erfunden. Sein bislang künstlerisch wichtigstes Projekt war jedoch „George“, ein Dokumentarfilm über Heinrich George mit dessen Sohn Götz in der Doppelrolle als Vater und Sohn; ähnlich wie „Mackie Messer“ war auch dieser 2014 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Film über den Pakt eines Künstlers mit dem Teufel keine Rekonstruktion der Wirklichkeit, sondern ein Spiel mit der Realität. Dass Lang irgendwann bei Brecht landen würde, war nur eine Frage der Zeit. Er hat über die Bühnenstücke des Dramatikers in den audiovisuellen Medien promoviert, sieben Jahre lang das von ihm selbst entwickelte Brechtfestival in Augsburg geleitet und 2005 den Dokumentarfilm „Brecht – Die Kunst zu leben“ gedreht. All’ das sind perfekte Voraussetzungen für „Mackie Messer“, aber natürlich keine Garantie für eine künstlerisch herausragende Arbeit. Zu einem Werk von großer cineastischer Wucht wird das Projekt, weil Lang für eine beeindruckende optische Opulenz gesorgt hat; dank der vorzüglichen Kameraarbeit von David Slama sieht der Film vermutlich deutlich teurer aus, als er tatsächlich war. Ähnlich verschwenderisch wie die Ausstattung ist die prominente Besetzung, wobei auch hier ein zusätzlicher Reiz in der Kombination der verschiedenen Ebenen liegt: weil beispielsweise Hannah Herzsprung nicht nur die Polly in der verfilmten „Dreigroschenoper“, sondern auch deren Darstellerin Carola Neher verkörpert; und Britta Hammelstein, eine der Überraschungen des Films, nicht nur die Seeräuber-Jenny, sondern auch Lotte Lenya. Die Frauenrollen sind ohnehin markant, darunter Peri Baumeister als Brechts Koautorin Elisabeth Hauptmann oder Meike Droste als Brecht-Gattin Helene Weigel, die später das künstlerische Erbe ihres Mannes verwaltete.
Die treibenden Figuren des Films sind jedoch allesamt Männer. Tobias Moretti spielt den ehrgeizigen Gangster Macheath (alias Mackie Messer), der am Ende nach kühnem Zeitsprung eine Größe in der heutigen Finanzwelt wird, und Joachim Król seinen Gegenspieler Peachum, Chef der Londoner Bettelmafia. Mackie will Peachums Tochter Olly heiraten. Weil das der überwiegend angeheiterten Gattin Peachums (Claudia Michelsen) nicht gefällt, macht der Bettlerkönig dem Polizeichef (Christian Redl) ein Angebot, dass der nicht ablehnen kann. Über dem bemerkenswerten Ensemble thront Lars Eidinger als Bertolt Brecht, und wer sonst hätte diese überlebensgroße Figur verkörpern können; wer sonst wäre in der Lage, die komplexen provokanten Dialoge, in denen Lang ausschließlich authentische Brecht-Zitate verarbeitet hat, so wiederzugeben, dass sie in der Tat gesprochen (und nicht geschrieben) klingen? Natürlich bezieht sich der Anspruch, bei aller Fiktion so authentisch wie möglich zu bleiben, auch auf die unter der Leitung von HK Gruber eingespielten Lieder. Wer den Stil des in einer Gastrolle als Moritatensänger mitwirkenden Max Raabe mag, wird an den akustischen Darbietungen seine Freude haben, aber ansonsten sind sie nicht allein wegen des geradezu manisch gerollten „R“ etwas gewöhnungsbedürftig. Davon abgesehen: „Brechts Dreigroschenfilm“ ist ein Leuchtturm der deutschen Filmkunst. (Text-Stand: 12.9.2018)