Für 28 junge Menschen ist es die große Chance, für einen Star die letzte. Das Casting zu einer Musikshow soll einem ausgebrannten Musikproduzenten helfen, selbst wieder das alte Feuer zu spüren. Jener Marc Simon erkennt die enorme Begeisterungsfähigkeit und die Leidenschaft bei diesem bunten Haufen ebenso hoffnungsvoller wie vom Leben desillusionierter Gesangstalente. Er sieht aber auch die Selbstzweifel und Ängste – er thematisiert sie und will sie kreativ genutzt sehen. „Ich will euch! Der Song, das ist nur das Gefäß. Ihr seid diejenigen, die es füllen müsst.“ Für den abgehalfterten Star soll dieses Projekt eine Reise zu seinen musikalischen Wurzeln werden. Dieser Jungbrunnen könnte ihm aber auch dabei helfen, seine große Liebe zurückzugewinnen und jene Ina, Profi-Sängerin und Marcs Ex-Frau, davon zu überzeugen, dass er nicht mehr dieses selbstverliebte Arschloch ist. Als sich Probleme mit dem Sponsor ergeben, ändert sich der Zeitplan dramatisch: den jungen Leuten und den beiden Profis bleiben nur ein Tag und eine Nacht, um die Show vor dem Aus zu bewahren.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Die Darstellernamen wollen einfach nicht enden. Einen solchen Vorspann hat man noch nicht gesehen. Einen Film wie „Nur eine Nacht“ auch nicht, jedenfalls hierzulande und dann noch als TV-Produktion. Ein Fernsehfilmmusical, erzählt über den Zeitraum von 24 Stunden, einziger Handlungsort ein leerstehendes Industriegebäude, so etwas hat keine Tradition in Deutschland. Die Schlagerfilme der 50er und 60er Jahre entstammen einem anderen Zeitgeist und in Filmen wie „Verrückt ist auch normal“, „Die Spätzünder“ oder „Die Mongolettes“ wird die Musik allenfalls im Rahmen einer Komödie zum Anwalt einer sozialen Minderheit erhoben. Der Film von Thorsten Näter gewinnt dagegen all seinen Sinngehalt aus der Kraft, aus der Leidenschaft der Musik. „Es geht um Hingabe“ – immer wieder fordert der Maestro (ideal besetzt: Pasquale Aleardi) individuellen Ausdruck; er will keine Imitatoren und er pfeift auf tolle Technik. Beim Stichwort „Hingabe“ muss spätestens auch Liebe ins Spiel kommen: eine alte, die wieder aufzuleben imstande sein könnte (Yvonne Catterfeld spielt Ina, sie gibt ihren Namen, hält sich ansonsten aber angenehm zurück) und eine zarte neue, erste Liebe, die Unschuld in zwei Personen, im Dunkel eines Proberaums, dann im Licht der Bühne.
Serien wie „Glee“ und „Dance Academy“ oder auch die Casting-Shows sind offensichtlich die aktuellen Taktgeber für „Nur eine Nacht“ gewesen. Diese universale Lust am Singen, die sich auch im Karaoke-Boom spiegelt, die große emotionale Wirkung von Musik, der Rhythmus als Lebenselixier, die Allgegenwart und ständige Verfügbarkeit der Pop- und Rockgeschichte via YouTube oder diverser Musikbörsen – das dürfte die Produzenten und das ZDF dazu veranlasst haben, es nun doch einmal zu probieren mit einem deutschen Fernsehfilm-Musical. Es gibt einiges, was sich gegen diesen Film sagen ließe: (1) da ist die simple Backstage-Handlung, die so alt ist wie das Broadway-Musical; (2) die Botschaft von den Träumen und den Ängsten als Motor für die künstlerische Arbeit, die – werden sie ständig ausgesprochen – etwas Banales, „DSDS“-haftes bekommen; (3) da öffnet die Musik emotionale Räume und wird in der nächsten Szene durch simple Dialoge und Klischeesituationen ihres Zaubers beraubt; (4) die jungen Leute entsprechen Rollen-Typen, die soziale Herkunft wirkt dagegen wenig authentisch; (5) Gleiches gilt für die Botschaft „Mach dein eigenes Ding“ bei gleichzeitiger Verwendung von Fremdsongs: inkonsequent wie bei den Casting-Shows!
Foto: ZDF / Georges Pauly
Aber irgendwann ist die Faszination dann doch größer, das Bauchgefühl überstimmt die Kopf-Bedenken – und plötzlich weiß man vor allem den Mut zu schätzen, sich diesem Genre mit Fernsehfilm-Budget „hingegeben“ zu haben, anstatt die nächste sichere Krimi-Nummer zu schieben. Allerdings erkennt man auch schon frühzeitig die sorgfältige Arbeit innerhalb der Musiknummern, die ja immer mehr als nur Show-Einlage sind: da stimmen die narrativen Gegenschnitte, kaum einmal ein emotional falscher Gesichtsausdruck einer flüchtig beobachteten Nebenfigur während der Performance. Früh zeigt sich auch, dass „Nur eine Nacht“ auf das kollektive Gefühl bei Protagonisten wie Zuschauern setzt und die individuelle Geschichte in den Hintergrund rückt. Der Film lebt von der Musik, von seinen Songs, die eine Schneise schlagen durch die Rock- und Popgeschichte der letzten Jahrzehnte: von „Endless Love“ und „Lass es Liebe sein“ über Paul Simons „Call me Al“ und „Proud Mary“ bis zu Queens Art-Pop-Klassiker „Bohemian Rhapsody“ und dem mitreißenden finalen „Don’t stop me now“, präsentiert als Flash-Mob in der Wandelhalle des Hamburger Hauptbahnhofs.
Die Musik reißt mit und plötzlich sieht man immer mehr Positives in Thorsten Näters Musical-Film: die großartige Arbeit des Sänger-Castings, das ja auch ein Schauspieler-Casting sein musste; die außergewöhnliche Leistung der Montage im Großen wie im Kleinen; die gelegentlich feinen Übergänge, wenn man sich in einem Gespräch plötzlich ansingt; die comic-haft überzeichneten Rückblenden, die Einblick ins gestörte Familienleben der Protagonisten liefern; die kluge, leicht gebrochene Happy-End-Variante, die nicht auf die simple Erfolg-ist-sexy-Botschaft setzt. Und auch echte Rührung ist ein gutes Argument für diesen Film. Natürlich sollte man für „Nur eine Nacht“ Musical- oder zumindest Popmusikfan sein. Ein entspannter Umgang mit Kitschmomenten ist oberstes Gebot. Wäre dieses Sujet nicht auch mal etwas für eine deutsche Serie? Der „DSDS“-Zug ist durch. Jetzt könnte man ein bisschen tiefer in die Geschichten, die Träume, die Sehnsüchte, die Ängste der jungen Leute, gehen. Hier, in den 90 Minuten, werden sie ja nur angerissen. (Text-Stand: 8.5.2013)