Im Mittelpunkt steht jener François, den Edgar Selge sowohl in dem Monolog-Stück auf der Bühne als auch im Film spielt. Diesem Universitätsdozenten aus Paris scheint alles gleichgültig geworden zu sein, Beruf, Politik, Religion – seine Mitmenschen. François, ein Kenner der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts, ist der zynische Anti-Held, kalt, egozentrisch, abstoßend. Den Sex schildert er detailliert, wobei er von Frauen im Allgemeinen nicht viel hält und gerne abschätzig spricht. Eine Ausnahme bildet allenfalls Myriam (Alina Levshin), eine jüdische Studentin, der er im Buch mehr noch als im Film nachtrauert, weil sie ihren vor den politischen Umwälzungen geflohenen Eltern nach Israel gefolgt ist. Bezeichnend ist im Roman auch, dass François vom Tod der eigenen Eltern absolut kühl als bedeutungslose Nebensache berichtet – das ist eines der Details, die im Film keine Rolle spielen.
Islamisierte Universitäten, verschleierte Frauen, Vielehe
Aus der Perspektive des Ich-Erzählers François schildert Houellebecq, wie im Jahr 2022 in Frankreich ein als moderat und charismatisch beschriebener Kandidat der Muslimbrüder an die Macht kommt, unterstützt von den anderen Parteien, die die rechtsnationale Marie Le Pen verhindern wollen. Houellebecq verstört vor allem mit der Fiktion einer widerstandslosen Islamisierung. Zwar gibt es vor dem zweiten Wahlgang bürgerkriegsähnliche Zustände, nach der Wahl von Mohammed Ben Abbes zum Staatspräsidenten aber bleibt jedes Aufbegehren aus, wird etwa die Umwidmung von Schulen und Universitäten in islamische Einrichtungen einfach hingenommen. Sogar die Frauen, so scheint es, verschleiern sich freiwillig und akzeptieren umstandslos die Legalisierung der Vielehe – nur für Männer natürlich. Dieses Szenario für eine nahe Zukunft erscheint doch arg unwirklich. Bekanntlich hat es nach dem Erscheinen des Buches im Jahr 2015 (zufällig am Tag der Anschläge auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris) eine ganz andere, die europäisch orientierte Bewegung „En Marche“ von Emmanuel Macron an die Macht geschafft.
Reitet Houellebecq auf der Welle rechtspopulistischer Propaganda?
Das Buch ist aber zu allererst eine Abrechnung mit den französischen Intellektuellen. Houellebecq entwirft ein Szenario, in der sich die französische Gesellschaft einem moderaten Islam mangels eigener Werte opportunistisch unterwirft. Titus Selge, der Neffe von Edgar Selge, sagt treffend, das Grundthema des Romans sei „die Schlaffheit des westlichen Liberalismus“, und das sei aktueller denn je. Über diese These ließe sich natürlich streiten, gleichzeitig scheint das Houellebecq-Szenario auf der Welle der rechtspopulistischen Propaganda von einer drohenden Islamisierung zu reiten, wenn auch literarisch eloquent und voller kenntnisreicher Ausflüge in die Religions- und Geistesgeschichte. Wer sich für die Gedankenwelt des Autors interessiert, dem sei die Dankesrede Houellebecqs empfohlen, die er 2016 aus Anlass der Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises in Berlin gehalten hat (und die im Netz in vollständiger Länge zu finden ist). Nach Ansicht von „Zeit“-Autor Robin Detje breitete der Franzose darin „ein aberwitzig reaktionäres Weltbild aus, das seiner Kunst unwürdig ist“. Bei allem Unbehagen gegenüber Houellebecq: Die deutsche „Aneignung“ der „Unterwerfung“ ist dennoch sehenswert, gerade wegen der eigenständigen Akzente.
„,Unterwerfung‘ ist für mich als Produzent aus verschiedenen Gründen ein außerordentliches Projekt. Zum einen war es sehr schwierig, die Verfilmungs-Rechte von allen beteiligten Urhebern zu sichern. Der Erwerb der Romanrechte erwies sich dabei als besonders kompliziert, da Houellebecq ein internationaler Bestseller-Autor ist und er aus aller Welt Anfragen für die Verfilmungsrechte hatte. Erfreulicherweise hat ihn unser Konzept überzeugt und – nach vielen Monaten vertraglicher Verhandlungen – haben wir den Zuschlag erhalten. Zum anderen ist ,Unterwerfung‘ ein Stoff, der wie nur wenige Romane die großen Fragen unserer Zeit aufnimmt. Ein Stoff, der uns alle in Europa angeht, der das moderne Geschlechterverhältnis ebenso hinterfragt wie unser Verhältnis zu den fundamentalen und allzu selbstverständlich wirkenden Rechten & Werten unserer freiheitlichen europäischen Gesellschaften.“ (Produzent Clemens Schaeffer)
Bühnen-Monolog und Filmszenen treten in einen Dialog
So spielt Edgar Selge diesen ranzigen Männer-Typ François, der so bitterböse genau zur #MeToo-Debatte passt, auf der Bühne mit Sinn für Humor und Selbstironie, ohne ihn der Lächerlichkeit preis zu geben. Nicht von ungefähr sorgen gerade die Szenen, in denen François explizit aus seinem Sex-Leben berichtet, für (im Film auffällig oft eingespielte) Lacher im Publikum. Offenkundig trifft Selge einen besonderen Ton, der sich beim Lesen nicht so deutlich erschließt, was der Sache aber auch Peinlichkeit nimmt. Ziemlich gestellt wirkt vor allem die Szene, in der eine offenbar empörte Zuschauerin aufsteht und die Aufführung verlässt. Zuschauerreaktionen wurden jedenfalls bewusst miteinbezogen, auch Szenen von der Arbeit hinter den Kulissen. Titus Selges „Unterwerfung“ ist alles andere als ein herkömmlicher Theater-Film, der eine Bühnen-Aufführung aus verschiedenen Kameraperspektiven dokumentiert und auch mal eine Nahaufnahme des Darstellers bietet. Die Handlung schreitet im beständigen Wechsel von Theater- und Filmszenen voran, nicht in klaren, fest voneinander getrennten Blöcken, sondern ineinander fließend, in mal kürzeren, mal längeren Abschnitten. So gibt es starke filmische Momente ebenso wie eindrucksvolle Passagen von Edgar Selges Bühnen-Monolog vor einer schwarzen Wand, in der ein drehbares Kreuz als Aussparung eine zusätzliche Spielfläche bietet. Dann wieder tritt beides, die theatralische wie die filmische Inszenierung, durch schnellere Wechsel in einen Dialog. Diese lebendige Art der Montage (Schnitt: Knut Hake) verdient jedenfalls besondere Erwähnung.
Die Hamburger G20-Unruhen werden eher zufällig Teil des Films
Hinzu kommt die Vermischung von Realität und Fiktion. Denn erst einmal spielt Edgar Selge sich selbst. Er steigt in Hamburg aus dem Zug, geht zu Fuß Richtung Schauspielhaus, den Text deklamierend, den er am Abend auf der Bühne sprechen muss. Um ihn herum ist die Stadt aufgewühlt, Hubschrauber knattern am Himmel, Sirenen ertönen, Autos brennen, Demonstranten und Polizisten geraten aneinander. Dieser besondere deutsche Bezug ist eher zufällig entstanden, weil die Theaterszenen „aus terminlichen Gründen“, wie Produzent Clemens Schaeffer sagt, nur am G20-Wochenende gedreht werden konnten. „Das haben wir zunächst nur als logistisches Problem gesehen. Wie sehr die unheimliche Stimmung in der Stadt sich mit dem Stoff der Unterwerfung verbindet, konnten wir erst vor Ort erkennen. Darum sind wir nach der Vorstellung spontan losgezogen und haben Bilder von den Auseinandersetzungen auf den Straßen gedreht“, erklärt Titus Selge. Zugleich bieten die G20-Unruhen den Anlass zu einer fiktionalen Randerzählung, in der sich ein Hamburger Staatsschützer (Michael Wittenborn) im Theater wichtig macht. Und in der auch Intendantin Karin Beier ihren Kommentar zu den G20-Protesten abgeben darf: „Aber der Saal ist voll. Hamburg lässt sich nicht unterkriegen.“ Die Bilder von einer aufgewühlten Stadt mögen einigermaßen zum Thema passen, alles andere wirkt eher eitel und selbstreferenziell.
„In unserem Alltag sind wir eher unreflektierte Konsumenten und müssen funktionieren. Im Medium von Theater und Film können wir zu kritisch Zuhörenden werden. Wir können unsere Grenzen erweitern. Salopp gesagt: Je mehr wir im Wahrnehmungsmodus sind, desto weniger können wir verbocken. Unser tagtäglicher Aktivismus und Rechtfertigungsdruck ist für zwei, drei Stunden außer Betrieb. Das tut gut. Und in diesem Fall, mit diesem Autor, greifen wir einen Zeitgeist auf, für den wir uns alle schämen, gerade weil er uns so lustvoll interessiert. Wir konfrontieren uns mit unserem Opportunismus, unserer Überheblichkeit islamischen Fremden gegenüber und last not least mit unserem versteckten Machismus und geheimen patriarchalen Wünschen.“ (Edgar Selge)
Scheinbar nebensächliche Szene als Plädoyer gegen Vorurteile
In der Eingangssequenz geht das Spiel mit den verschiedenen Ebenen jedenfalls auf. Da kontrastiert die raue Hamburger Wirklichkeit mit romantischer Klaviermusik von Robert Schumann und Houellebecq’scher Ironie: „Wenn ich mit Menschen über Gott spreche, leihe ich mir im Allgemeinen als allererstes ein Buch über Astronomie“, sagt Fußgänger Selge. Es folgt noch eine Schlüssel-Passage aus dem Buch („Dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht“). Kurz darauf wird Selge von drei jungen Männern angerempelt. Zwei sind dem Anschein nach türkisch- oder arabischstämmig, der dritte ist dunkelhäutig. Ein paar Schritte weiter hält Selge unwillkürlich inne. Er sucht sein Portemonnaie, das offenbar verschwunden ist, beschuldigt das Trio des Diebstahls, das daraufhin die Beine in die Hand nimmt. Am Ende wird diese scheinbar nebensächliche Szene auf eine Weise aufgelöst, die man wohl als beiläufiges Plädoyer gegen Vorurteile verstehen darf. Außerdem tauchen die Männer auch als vermeintliche Romanfiguren in Paris auf: Sie stehen vor einem Hörsaal der Sorbonne, um auf ihre verschleierten Schwestern aufzupassen, Studentinnen von François, dem der Aufmarsch der Brüder ein wenig Angst einflößt.
Reich gedeckte Tische, Pariser Straßen und Cafés
Was bei dem Ein-Personen-Stück im Theater ausdrücklich ausgespart bleibt, ergänzt nun der ziemlich werktreue Film, der dann auch mehr französische Sinnlichkeit bereithält, viel Wein, reich gedeckte Tische und Musik von Madeleine Peyroux und Benjamin Biolay. An vielen im Roman erwähnten Schauplätzen wurden vor allem die Begegnungen des Anti-Helden mit anderen in Szene gesetzt: François, der in seiner Wohnung mit herrlichem Blick über Paris Besuch von Myriam bekommt. Der auch mit seiner Ex-Geliebten Aurélie (Catrin Striebeck) ins Bett geht. Der mit seiner Kollegin Marie-Françoise Tanneur (Bettina Stucky), dieser „klatschsüchtigen alten Hexe“, im Café sitzt. Der auf einem von Schüssen gestörten Cocktail-Empfang und auf den Pariser Straßen mit Kollege Lempereur (Florian Stetter) debattiert. Der sich bei Käse und Wein von einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter (André Jung), die aktuellen Entwicklungen erklären lässt. Der in den Südwesten flieht und in einer apokalyptischen Szene auf verlassene Straßen und mehrere Tote an einer Tankstelle stößt. Der für eine Weile innere Einkehr in einem Kloster sucht. Und der schließlich von Robert Rediger (Matthias Brandt), dem Präsidenten der Islamischen Universität Sorbonne III, umgarnt wird.
Matthias Brandt als Mephisto im finalen Höhepunkt
Während Edgar Selge auf der Bühne den präsenten Alleinunterhalter gibt, agiert er in den filmischen Spielszenen betont zurückhaltend, bilden seine Mimik und Gestik den Resonanzraum für das Spiel seiner Gegenüber. Nicht alle Szenen werden in klassischen Dialogen aufgelöst, bisweilen kommentiert François nur aus dem Off die Bilder, und manchmal spricht Edgar Selge auch direkt in die Kamera. Eine Verfremdung, die wiederum auf die Bühne verweist, auf Brechts Episches Theater. In den Filmszenen versammelt sich ein handverlesenes Ensemble, mit dem Auftritt von Matthias Brandt als finalem Höhepunkt. Der weltmännische Rediger lebt passender Weise in dem Stadtpalais, in dem Dominique Aury, die Autorin von „Geschichte der O.“, einst wohnte. Brandt spielt ihn als eleganten, geistreichen Gastgeber, der François mit erlesenem Wein und warmen Teigtaschen betört, die von Redigers erster Frau kredenzt werden. Rediger wird in der filmischen Inszenierung pointiert zum Mephisto, der während seiner Ausführungen zum Islam und zu den anderen Religionen zunehmend unheimlich und diabolisch wirkt. Edgar Selges François ist längst nur noch eine Karikatur eines Intellektuellen, vom Wein benebelt, aber beseelt von der Aussicht auf ein extrem gestiegenes Gehalt (dank der Milliarden für die Universität aus den reichen Ölstaaten) und die Annehmlichkeiten der Vielehe. Ein ziemlich deprimierendes Bild von einem Mann.