In postapokalyptischen Filmen und Serien ist die Zivilisation wahlweise durch einen Atomkrieg verwüstet, überflutet oder einfach nur am Ende. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Überlebenden geht es um Benzin, Trinkwasser, Lebensmittel oder schlicht ums nackte Überleben. Der Clou von „Helgoland 513“ ist ein anderer: Nach einer Seuche haben sich einige hundert Überlebende auf der Felseninsel von der Außenwelt abgeschottet. Die Titelziffer bezieht sich auf die Bevölkerungszahl: Mehr als 513 Personen kann die Insel nicht versorgen. Gegen Ende wird sich zwarhe rausstellen, dass die Anzahl völlig willkürlich gewählt ist, doch sie ist Gesetz: Wird ein Baby geboren, muss jemand anderes weichen.
Über Wohl und Wehe des Kollektivs wacht ein Inselrat. An dessen Spitze steht Beatrice (Martina Gedeck). Ihre Macht stützt sich vor allem darauf, potenziellen Missmut mit Hilfe von Denunziantentum im Keim zu ersticken. Gegenentwurf ist Marek (Alexander Fehling), ein Tropenmediziner, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, einen Impfstoff gegen die Seuche zu finden. Der Arzt ist weit und breit der einzige Sympathieträger der auch optisch freudlosen Serie; die Bildgestaltung (Michael Wiesweg) ist allerdings ausgezeichnet. Eine Exkursion nach Hamburg imponiert zudem durch digital bearbeitete Aufnahmen.
Foto: Sky / Frédéric Batier
Man kann „Helgoland 513“ auch völlig anders bewerten: Jan Freitag auf DWDL
Dystopische Geschichten waren immer schon ein Kommentar zur Gegenwart. Auch Helgoland dient als Mikrokosmos. Natürlich drängt sich die Corona-Allegorie geradezu auf, und möglicherweise war die Pandemie tatsächlich das Anfangsmotiv, aber die Serie lässt sich genauso gut als Spiegelbild der Flüchtlingsdebatte betrachten: Das Boot ist voll. Im Vordergrund geht es jedoch um die Strukturen, denen sich die Gemeinde unterwirft. Auf Basis eines nicht näher erläuterten Punktesystems ist eine Rangliste entstanden. Wer unverzichtbar ist, steht oben; durch positives Verhalten lassen sich Plätze gut machen. Die Menschen am Ende der Liste müssen bei der nächsten genehmigten Geburt mit ihrer Auslöschung rechnen.
Was in der Theorie wie ein reizvolles Sozialexperiment im Stil von William Goldings Klassiker „Herr der Fliegen“ klingt, hat in der Umsetzung allerdings einige Mängel. Wirklich spannend wird die Serie erst in Folge fünf, als sich entscheidende Veränderungen ankündigen, doch die eigentliche Faszination entfaltet sich in den beiden letzten Episoden, als die Vorgeschichte nachgereicht wird. Nun erscheinen die bisherigen Ereignisse in gänzlich anderem Licht. So wird zum Beispiel verraten, wie Autokratin Beatrice, die ihre Regentschaft geschickt hinter einer Scheindemokratie verbirgt, vor dem Ausbruch der Seuche ihren Lebensunterhalt verdient und wann sie ihr Talent zur Demagogie entdeckt hat. Damals lebten auf Helgoland über tausend Menschen; mit Hilfe eines perfiden Plans konnte die Bevölkerung auf die Zielzahl 513 reduziert werden. Plötzlich wirkt die Serie nicht mehr nur wie eine Metapher für die „Festung Europa“, sondern auch wie eine nicht minder zynische Variante der rechtsextremistischen „Remigrations“-Fantasien.
Foto: Sky / Frédéric Batier
Soundtrack: Howard Carpendale („Deine Spuren im Sand“), Drafi Deutscher („Marmor, Stein und Eisen bricht“), Milva („Stark sein“), Jürgen Marcus („Ein Lied zieht hinaus in die Welt“), Jeanette („Porqué te vas?“)
Umso bedauerlicher, dass sich das insgesamt fünfköpfige Drehbuchteam rund um Robert Schwentke (Florian Wentsch und Veronica Priefer hatten die Ursprungsidee) derart viel Zeit für den Anlauf gelassen hat. Gerade den ersten vier Folgen mangelt es mitunter an Tempo, Biss und Intensität, was bei einem Hollywood-erfahrenen Regisseur wie Schwentke, der unter anderem die Teile zwei und drei der sehenswerten Science-Fiction-Trilogie „Die Bestimmung“ (2015/16) gedreht hat, durchaus verwundert. Manche Figuren und Erzählstränge sind für den Handlungskern schlicht nicht von Bedeutung; eine Reduzierung um zwei Folgen hätte der Serie nicht geschadet. Hinzu kommen darstellerische Mängel. Das betrifft zwar in erster Linie die jungen Ensemblemitglieder, aber einige der prominent besetzten Gastauftritte sind längst nicht so originell wie vermutlich erhofft, sondern zum Teil unfreiwillig komisch.
Für Samuel Finzi gilt das ausdrücklich nicht. Seine Rolle als „Graf“ von Hamburg hat großes Operettenpotenzial, doch er verleiht ihr dank der ihm eigenen subtilen Ironie eine Note, die der Serie ansonsten völlig abgeht. Der Graf versorgt die Insel im Austausch gegen frische Lebensmittel regelmäßig mit Ware, die importiert werden muss. Die Kisten enthalten zudem versteckte Lieferungen, die einen erheblichen Schatten auf den Humanismus des Doktors werfen; ohne Schuld ist Marek, die tragische Figur der Geschichte, ohnehin nicht, wie die Rückblende schließlich offenbart. (Text-Stand: 14.3.2024)