(tit.) Vergleicht man die Fiction-Premieren der öffentlich-rechtlichen Sender, der deutschen und der internationalen Streamer im ersten Halbjahr 2025 mit dem gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr, lässt sich ein leichter quantitativer Rückgang ausmachen. Angesichts des reichhaltigen Mediathekenangebots an sehenswerten älteren Produktionen, die durch cleveres Wiederholen im Programm von ARD und ZDF in der Regel nach kleinen Auszeiten immer wieder online zur Verfügung stehen, ist das zu verkraften. Schmerzlicher sind da schon die Qualitätseinbußen (ist natürlich auch Geschmackssache). Den Serien-Leuchttürmen der ersten Jahreshälfte 2024, „Die Zweiflers“ (ARD), „Kafka“ (ARD), „Sexuell verfügbar“ (ARD), „Oh Hell“ (Magenta TV), „Oderbruch“ (ARD) oder „Reset – Wie weit willst du gehen“ (ZDF), stehen dieses Jahr „Krank Berlin“ (Apple TV+), „Parallel Me“ (Paramount+), „Die Affäre Cum-Ex“ (ZDF), „The Next Level“ (ARD) und „Das zweite Attentat“ (ARD) gegenüber. Wie schon die letzten Jahre wird insgesamt vermehrt in kleinere, preiswertere Nischen-Formate investiert. Kein schlechter Schachzug; schließlich verzeichnen ja selbst die sogenannten Premium-Serien im linearen Fernsehen nur wenig Erfolg beim breiten Publikum. Und so sind es Produktionen wie David Schalkos absurd-düstere, top besetzte Anthologieserie „Warum ich?“ (ARD), das alltagsnahe Milieu-Schmankerl „Marzahn – Mon Amour“ (ARD) mit Jördis Triebel, die angenehm ernsthafte Jungmänner-Dramedy „Softies“ (RTL+), ein Storytellers-Nachwuchsprojekt, das schwarzhumorige „Drunter und Drüber – Chaos auf dem Friedhof“ (Prime Video) mit Julia Jentsch und Nicolas Ofczarek oder „Messiah Superstar“ (Joyn), eine launig selbstreferentielle Mockumentary mit Florian Lukas als abgehalftertes One-Hit-Wonder, die in Erinnerung bleiben werden. Eine Streaming-Plattform fand endlich auch der (über)ambitionierte Neo-Noir-Arthouse-Thriller „Nachts im Paradies“ (Magenta TV) mit Jürgen Vogel und Lea Drinda. Und das ZDF setzt im Stream vor allem auf diverse Young-Adult-Programme wie „Crystal Wall“, „Tschappel“, „Like a Loser“ oder die Genre-Variation „Club der Dinosaurier“. Im Sommer folgt noch „Nighties“, eine überaus heitere Comedy über das Nachtschichtpersonal eines etwas heruntergekommenen Münchener Hotels in Bahnhofsnähe.

Eine Serien-Alternative, auf die sich vor allem die ARD wieder besonnen hat, ist der gute alte Zweiteiler. Das absolute Highlight der ersten beiden Quartale ist „Spuren“ (ARD/SWR) mit Nina Kunzendorf & Tilman Strauß, ein ebenso sachliches wie spannendes Soko-Krimi-Drama, bei dem der Fall auf die Mikrostrukturen des Ermittelns heruntergebrochen wird. Drei weitere grundsolide Zweiteiler sind „Die Augenzeugen“ (ARD), „Mord auf dem Inka-Pfad“ (ARD) und „Lillys Verschwinden“ (ZDF). Da diese Produktionen ihren Stoff weder überdehnen noch ältere Zuschauer mit zu vielen Nebenplots überfordern, stimmen bei diesen Mini-Serien dann auch im linearen Fernsehen die Einschaltquoten. Die Spitzenwerte halten jedoch nach wie vor die Krimi-Reihen, die im Normalfall ein Jahr nach der Ausstrahlung in den Mediatheken abgerufen werden können. Die absoluten Ausnahmeproduktionen waren für mich bisher in diesem Jahr der Kölner „Tatort – Colonius“ (ARD/WDR), der Abgang von Axel Milberg im „Tatort – Borowski und das Haupt der Medusa“ (ARD/NDR) und der zwanzigste und bisher beste „Polizeiruf 110“ mit Claudia Michelsen: „Widerfahrnis“. Nicht zu vergessen im leichteren Fach die Donnerstagsreihe „Nord bei Nordwest“, die dank ständiger Wiederholungen (fast) vollständig in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Das ZDF hält bei den Krimis viel Bewährtes, aber auch sehr Sehenswertes zum Streamen bereit. Mein Favorit: die relativ neue Reihe „Katharina Tempel“ mit Ausnahme-Schauspielerin Franziska Hartmann; die dritte Episode „Was wir begehren“ ist leider nicht mehr in der Arte-Mediathek zu finden. Da heißt es, warten bis zum Herbst, wenn das Krimi-Drama über ZDF.de (die „ZDF-Mediathek“ ist passé) gestreamt werden kann.
Das größte Trauerspiel 2025 ist bisher der Umgang der ARD mit dem Einzelstück, also mit dem, was unter der Formatbezeichnung „Fernsehfilm“ jahrzehntelang als „Königsdisziplin“ des Fernsehens galt. Keine einzige Drama-Premiere, keine einzige Komödie (ohne ORF-Beteiligung) bisher. Selbst im Dramödien-Bereich gibt es außer „Die Beste zum Schluss“ nichts zu empfehlen – weil es eben auch nichts gibt. Alle Degeto-Produktionen am Freitag sind Reihen. Eine funktionierende Fiction-Koordination scheint es in der ARD nicht (mehr) zu geben. Jeder Sender macht seine Krimi-Reihen und will/wollte natürlich eine eigene Serie verantworten. Da bleibt nicht mehr viel übrig für andere Formate. Und so kommt es, dass eben keine einzige Komödie produziert wurde. Erfreulicherweise waren die beiden Tragikomödien mit Adele Neuhauser, „Faltenfrei“ (2021) und „Ungeschminkt“ (2024) in den vergangenen Jahren erfolgreich, sodass nun eine dritte BR/ORF-Produktion mit ihr in der Entstehung ist. Das oft zu Recht gefeierte föderale System, in den aktuellen Fernsehumbruchszeiten versagt es. Das ZDF in Mainz beweist programmplanerisch da schon sehr viel mehr Weitblick – und kommt auch in diesem Jahr im Sommer mit einem sehenswerten Komödien-Angebot. Besonders klug ist es, alle Sechse auf einen Streich am 19. Juni als Stream zur Verfügung zu stellen, bevor diese Filme gegen Ende des Sommers im ZDF zu sehen sind. Die beiden besten Komödien dieses Labels sind für mich die romantische Coming-of-Age-Comedy „Für immer Freibad“ und „Ein ganz großes Ding“, Jan Husmanns neuester Streich. Der hatte bereits mit „Die Bachmanns“ eine sehr unterhaltsame Beziehungskomödie im April im Programm. Aber auch alle anderen Sommerkomödien sind sehenswert. Wenig zu lachen gibt es bei den Streamern. Versuchte es Netflix 2024 noch mit zwei Komödien, „Spieleabend“ oder „Liebeskümmerer“, zieht der Streamer-Primus in diesem Frühjahr mit „Delicious“ und „Exterritorial“ die (Horror-)Drama- & Thriller-Karte. Außerdem hat Netflix die österreichisch-deutsche Koproduktion „Totenfrau“ mit Anna Maria Mühe in die zweite Staffel geschickt. Spannend ja – doch innovativ war gestern! Und RTL+ setzt bei der Fiktion auf das Prinzip seines Free-TV-Ablegers. Mehr desselben – sprich: Krimi-Reihen à la ZDF. Mit „Morden auf Öd“ von Holger Karsten Schmidt ist zumindest eine im Programm, die auch Kritiker überzeugte.

Wie gesagt, die ARD überließ in der ersten Jahreshälfte reihenungebundene 90-Minüter – bis auf das Near-Future-Drama „Helix“ und das Doku-Nischen-Drama „Stammheim“ – vollständig dem ZDF: „Rosenthal“, „Ewig Dein“ und ganz besonders „Sterben für Beginner“ sind zumindest drei Produktionen, mit denen sich das Zweite sehen lassen kann. Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass es mal so kommen könnte! Erste Recherchen machen wenig Hoffnung, dass das Ausbluten des Fernsehfilms im ARD-Herbstprogramm gestoppt werden könnte. Außer einem neuen „Harrich“ und der von der NSU-Mordserie inspirierte Polizeifilm „Die Nichte des Polizisten“, eine Gabriela-Sperl-Produktion, ist in Sachen 90-Minüter auch weiterhin von der ARD nicht viel zu erwarten. Und bei den Serien? Auch da dürften beim Streamen Produktionen wie „Miss Sophie – Same Procedure As Every Year“ (Prime Video), die Adaptionen des US-Hits „Euphoria“ (RTL+) und der französischen Ausnahmeserie „Call My Agent“ (Disney+) oder „Ku’damm 77“ (ZDF) größeres Interesse wecken als ARD-Prestige-Projekte wie „Ludwig II.0“ oder „Sternstunde der Mörder“ nach Pavel Kohouts Roman. (Genaue Starttermine stehen bei all diesen Produktionen noch nicht fest.)