In der beliebten Rubrik „Was macht eigentlich…?“ tauchen hin und wieder Popstars auf, die irgendwann mal dank eines einzigen Hits einen Sommer lang berühmt waren. Thomas Janowski zum Beispiel war Mitte der Neunziger als „Messiah“ mit seinem äußerst tanzbaren Song „XTC“ wochenlang in den europäischen Charts. Anschließend kam nicht mehr viel, zumal er seit einer ebenso leidenschaftlichen wie kurzlebigen Liaison mit einer noch etwas bekannteren Kollegin musikalisch nichts mehr auf die Reihe kriegt. Heute fristet „Messiah“ ein eher tristes Dasein. Das Lokal seiner Mutter, ausgestattet mit allerlei Devotionalien des einstigen Ruhms, könnte inklusive eigener Bühne für den „Star“ eine Pilgerstätte für seine Fans sein, aber genau genommen erinnert sich kaum noch jemand an den Sänger.
Foto: Joyn / Sat 1
„Messiah“ hat es nie gegeben, und die Doku, die ein (unsichtbares) Filmteam über Janowski dreht, ist ebenfalls eine Erfindung. „Messiah Superstar“ ist eine „Mockumentary“, eine täuschend echte Dokumentation im Stil von „Stromberg“, inklusive all’ jener für dieses Genre unverzichtbaren typischen Elemente: kurze Seitenblicke in die Kamera, Interviews, viele Momente des Fremdschämens sowie desavouierende Einblendungen („ehemalige Legende“). Florian Lukas bringt in der Rolle einen Typus zur Perfektion, den er schon in den drei Staffeln der Sky-Serie „Die Wespe“ als abgewrackter Darts-Champion verkörpert hat: Janowski hält sich immer noch für den Größten, lässt dauernd Namen von Superstars fallen, deren Weg er angeblich mal gekreuzt hat („Mein guter Freund Sting“), und ist überzeugt, dass sich seine Karriere nur eine vorübergehende Auszeit genommen hat.
Die acht Folgen à 25 Minuten sind durch ein israelisches Vorbild inspiriert, aber konsequent auf hiesige Verhältnisse übertragen worden; letztlich hat sich Autor Sebastian Colley nur der Grundidee bedient, dass ein einstiges „One Hit Wonder“ heute ein Lokal führt. Ein echter Mehrwert sind gerade die vielen amüsanten Auftritte von echten Stars wie Sabrina Setlur als jene Frau, die Janowski einst das Herz gebrochen hat. Großen Spaß macht auch Oli P. als inbrünstig verhasster Kollege. Am witzigsten ist jedoch eine für Janowski äußerst schmerzhafte Begegnung mit Vanessa Mai im Tonstudio; die Sängerin zeigt hier nicht zum ersten Mal, dass sie auch eine talentierte Schauspielerin ist.
Foto: Joyn / Sat 1
Dank der ernsthaften Hingabe, mit der Lukas seine Rolle verkörpert, darf sich der Ex-Star aller Großmäuligkeit zum Trotz eines gewissen Mitgefühls sicher sein, weil er an den Frosch erinnert, der in die Milch gefallen ist: Wenn er bloß lange genug strampelt, wird sie schon irgendwann zu Butter. Im Grunde ist Janowski eine tragische Figur, zumal wirklich alles schiefgeht, was er sich vornimmt; auch gesanglich. Erfrischend offen gesteht der Hauptdarsteller, in jungen Jahren eine kurze, „aber völlig vergebliche“ Gesangsausbildung erlebt zu haben. Sympathischer sind allerdings die Figuren, die sein Umfeld bilden, allen voran neben der Mutter (Johanna Gastdorf) die Küchenhilfe Nadine (Banafshe Hourmazdi) und sein Freizeitmanager Leon (Jonas Nay). Aus unerfindlichen Gründen glaubt der Toningenieur ebenso unerschütterlich wie Janowski selbst an eine mögliche Auferstehung von Messiah. Seine zunächst noch unausgesprochene Zuneigung zu Nadine, die nach dem plötzlichen Tod des Kochs zur Küchenchefin befördert wird, bereichert die Serie um ein romantisches Element.
Foto: Joyn / Sat 1
Soundtrack: Roy Orbison („The Great Pretender“), Florian Lukas („XTC”, „Back Sexy”), Chumbawamba („Tubthumping”), Ace of Base („All That She Wants”), Red Hot Chili Peppers („Under The Bridge”), Lou Bega („Mambo No. 5”), Oli P. („Flugzeuge im Bauch”, „Back For Good”), The Verve („Bitter Sweet Symphony”), No Doubt („Don’t Speak”), Dido („Thank You”), Take That („Back For Good”)
Die Handlung trägt sich größtenteils im vollmundig mit dem Etikett „gehobene Erlebnisgastronomie“ versehenen, aber im tristen Wedding angesiedelten Restaurant „Esstasy“ zu. Aufgrund der flotten Umsetzung durch den Serien-erfahrenen Felix Stienz („Merz gegen Merz“, „Frau Jordan stellt gleich“) ist das Tempo durchgehend hoch, zumal die Drehbücher für viel Abwechslung sorgen; Colley hat gemeinsam mit Stienz mehrere Grimme-Preise für die Comedy-Reihe „Kroymann“ bekommen und ist außerdem Schöpfer der vielfach geehrten Netflix-Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“. Die offensichtlichste Liebe zum Detail galt jedoch der Vergangenheit: Die Videos aus den Neunzigern, ein Werbespot für Alkopop oder die gelegentlichen Rückblenden, jeweils im Format 4 zu 3 gefilmt, sind ein Genuss und dienen selbstredend auch der Entlarvung von Janowskis Erzählungen. Kostüm- und Szenenbild hatten garantiert große Freude an den entsprechenden Rekonstruktionen, selbst wenn sie etwa als Fotografie oder Cover von Musikzeitschriften mitunter bloß einen Moment im Bild sind. Viele, oft nur kurz angespielte Hits aus den Neunzigern sorgen für das passende Zeitkolorit. Messiahs Songs wurden von Jen Bender und Raphael Schalz-Bender geschrieben; wer den Elektropop ihrer Band Grossstadtgeflüster noch nicht kannte, diese Art von Musik jedoch mag, darf sich über eine echte Entdeckung freuen. Das Beste an der Serie ist jedoch ihr „all age“-Effekt: Sie funktioniert auch dann, wenn man seine Jugend zehn oder zwanzig Jahre früher erlebt hat.