Morden auf Öd – Ein Inselkrimi. Zwei Episoden 2025

Max Hubacher, Paula Kalenberg, Holger Karsten Schmidt, Richard Huber. Öd ist nicht öd

Foto: RTL / Manju Sawhney
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Das Letzte, was das deutsche Fernsehen braucht, sind weitere Krimis. Bei „Morden auf Öd“ (307 production) drückt der Kritiker gern mal ein Auge zu. Die ersten beiden Episoden sind das Beste, was RTL (und vorab RTL+) bisher unter dem Label „Tödlicher Dienst-Tag“ anbietet. Eine sympathische Kommissarin vom Festland in einem vorgestrig anmutenden Nordsee-Biotop vs. ein etwas jüngerer, einsilbig introvertierter, anfangs schwer einzuschätzender Insulaner, das ist eine vielversprechende Setzung, spätestens, wenn man die Backstorys beider Figuren kennt. Top auch der Cast: Paula Kalenberg ist für jeden Film eine Bereicherung, und der Schweizer Max Hubacher trägt viel zur anregenden ambivalenten Tonlage der beiden Filme von Grimme-Preisträger Richard Huber bei. Und dramaturgisch ist die Handschrift von Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt unübersehbar, dem es mit seinem Krimi-Thriller-Mix, einem gewissen Informationsvorsprung für den Zuschauer und mit leichtem ironischem Augenzwinkern einmal mehr gelingt, (zweimal) neunzig Minuten lang zu fesseln und intelligent zu unterhalten.

Das Revier: eine vom Festland, ein Jungspund, zwei Brüder, die die Kriminalitätsrate vermeintlich gering halten wollen
Nur wer auf Öd geboren ist, hält es hier aus. Maja Stein (Paula Kalenberg) ist denn auch wenig angetan von ihrer neuen Polizeidienststelle. Weshalb ausgerechnet diese Insel eine weitere Planstelle bekommt, ahnt niemand. Oder vielleicht doch? Schon seltsam, dass Revierleiter Rolf Benz (Detlev Buck), sein Bruder Jürgen (Steffen Münster) und Jungspund Klaus Hansen (Max Hubacher) ein angespültes Boot mit einem Toten sofort wieder zurück aufs Meer schieben. Als das Boot erneut an den Strand treibt, verhindert Stein die abermalige Rückführung auf See – und wundert sich auch später über die laxe Rechtsauffassung ihrer neuen Kollegen. Steckt dahinter tatsächlich nur der Wunsch, die 250.000 Euro Preisgeld für das Revier mit der niedrigsten Kriminalitätsrate einzuheimsen? Als der Tote wenig später als ein einschlägig bekannter Drogenschmuggler identifiziert wird und es eine weitere männliche Leiche gibt, deren Fingerabdrücke nicht datenbankmäßig erfasst sind, dürfte es zumindest schon mal nichts mehr werden mit dem Preisgeld. Möglicherweise aber stecken sogar auch die Benz-Brüder in der Sache mit drin‘. Und was ist von dem jungen Kollegen zu halten? Der macht auf still und introvertiert, verfolgt aber seine eigene – persönliche – Agenda. Das erkennt auch Stein. Selbst die ist keineswegs so unbedarft und naiv, wie sie sich gibt. Von wegen, neue Planstelle!

Morden auf Öd – Ein Inselkrimi. Zwei Episoden 2025Foto: RTL / Manju Sawhney
Verhaltene Freude oder Öder Wesensart? Aufgeregtheit vor der neuen Herausforderung oder Columbo-likes Kalkül? Top-Quartett: Steffen Münster, Detlev Buck, Max Hubacher und Paula Kalenberg in „Morden auf Öd – Ein Insel-Krimi:  Tag der Abrechnung“

Typisch Holger Karsten Schmidt: Krimis mit Thrill, Informationsvorsprung für den Zuschauer, ein Schuss Ironie
Der RTL-Krimi-Dienstag hat nach solidem Beginn mit den Reihen „Dünentod“ (seit 2023), „Behringer und die Toten“ (seit 2024) und „Alpentod“ (2025) nun endlich ein Format, das nicht die öffentlich-rechtlichen Gebrauchskrimi-Pfade weiter austritt, sondern deutlich mehr individuelle Handschrift und dramaturgische Raffinesse ins handelsübliche Mordsspiel bringt. Zwar kombiniert und variiert der renommierte Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt (aktuell 71 Produktionen in der t.tv-Datenbank) in „Morden auf Öd“ bewährte narrative und dramaturgische Muster, auf die er seit über zwei Jahrzehnten erfolgreich zurückgreift, die aber funktionieren in seinen Arbeiten seit jeher eine Klasse besser als in vergleichbaren Krimis. Das Markenzeichen seiner mal mehr oder weniger von Genre-Ironie getragenen Krimis und Thriller ist der weitgehende Verzicht auf einen Whodunit – sprich: das Mörderraten. In seinen Geschichten weiß der Zuschauer in der Regel mehr als die Polizei. Und so sind es denn auch nur selten klassische Ermittlerkrimis. Immer wieder wird auch die Perspektive der Täter, der an der Tat Beteiligten oder der Tatverdächtigen eingenommen. Das hat zur Folge, dass man nicht an den Lippen der Kommissare kleben muss, sondern sich selbst ein Bild machen kann von den Ereignissen. Das erhöht den aktiven Anteil des Zuschauers am Filmgeschehen und damit auch die Spannung, vorausgesetzt, man weiß nicht zu viel und nicht zu wenig.

Die Geschichten sind so gebaut, dass nie Langeweile aufkommt, nicht zuletzt, weil auch die Backstorys stimmen
In der ersten Episode von „Morden auf Öd“ setzt Schmidt dieses dramaturgische Prinzip vorbildlich um. Die erste halbe Stunde von „Tag der Abrechnung“ schwebt man im Ungewissen – was zunächst Interesse, später Neugier weckt. Was sucht die Neue im Haus ihres jungen Kollegen? Was führen die Brüder im Schilde? Was versteckt sich hinter Hansens Pokerface? Dass hier jeder jedem hinterher schnüffelt, sorgt beim Zuschauen für einen durchweg hohen Aufmerksamkeitspegel. Als sich ein weiteres Brüderpaar (Kalle Perlmutter, Klaus Tange) im mörderischen Schmuggelspiel anmeldet, sieht man als Zuschauer schon etwas klarer, aber was genau in jener Nacht passiert ist, in der Klaus Hansen – es ist die erste Szene des Films – von Schüssen aus dem Schlaf gerissen wurde, das wird erst nach etwa einer Filmstunde nachgereicht. Dies ist die ideale Basis für das Thriller-Schlussdrittel, in dem die Guten parallel in Lebensgefahr schweben. Ein Schiff, ein Haus, die Nacht, dazu ein grimmiges Wie-du-mir-so-ich-dir-Finale mit ironischer Spitze und „Wetterleuchten“ am Horizont und einer markanten Rettung, die sogar genderpolitisch überzeugt. Zwischendurch besitzt die Geschichte auch stimmige Drama-Anteile: So erfährt der Zuschauer von der tragischen Vergangenheit Hansens, und auch die Gegenwart hält weitere Schicksalsschläge für ihn bereit. Da hilft oft nur das Meer anschreien.

Morden auf Öd – Ein Inselkrimi. Zwei Episoden 2025Foto: RTL / Manju Sawhney
Klasse-Duo mit Zukunft: zwei gut geschriebene Charaktere, wunderbar nuanciert gespielt von Paula Kalenberg & Max Hubacher

Wenn ein Sprengstoffexperte das friedliche Öd in Schutt und Asche zu legen droht, bleibt weniger Zeit für Jokes
Die zweite Episode, „Die Heimsuchung“, benötigt keine Reihen-Exposition mehr, kommt deshalb (noch) schneller zur Sache. Gleich in der ersten Szene detoniert eine Autobombe. Das Opfer ist der Bestatter im Ort. Bald ist klar, dass der Mann gezielt von einem Sprengsatz getötet wurde. Zwei weitere Bewohner des Eilands, Eva Holm (Franziska Hartmann), die einen Gnadenhof unterhält, und Markus Brenner (Sebastian Zimmler), der bei der Feuerwehr arbeitet, sind in hellster Aufregung. Was hinter ihrer – fast schon Todesangst – steckt, wird auch hier wieder lange Zeit nicht verraten, die emotionale Bedrohung der beiden bestimmt aber entscheidend die Krimi-Handlung, die von einem eher harmlosen Geplänkel zwischen Stein und Hansen beziehungs- und tonlagentechnisch angenehm konterkariert wird. Dass eine der beiden Episodenhauptrollen von der Ausnahme-Schauspielerin Franziska Hartmann verkörpert wird, mag zunächst überraschen, doch spätestens, wenn man sieht, was ihr die Figur und die Situationen, in die diese gestoßen wird, abverlangen, versteht man diese hochkarätige Besetzung. Insgesamt gibt es in dieser Episode weniger Raum für komische Momente. Wenn ein Sprengstoffexperte das friedliche Öd in Schutt und Asche zu legen droht, bleibt wenig Zeit für Jokes und Spielchen. Dennoch: Ein bisschen Spaß muss sein. Und so beginnt der Film nach der schon mal vorweggenommenen Explosion (damit auch ja kein RTL-Zuschauer wegzappt) mit einem feuchtfröhlichen Disko-Schwof in der Dorfkneipe, an dessen Ende sich Stein nicht mehr erinnert. Die launige Auflösung gibt es am Ende des Films.

Die Inszenierung trifft den Ton der Vorlage, ordnet sich den Geschichten unter und erzielt so einen perfekten Erzählfluss
Das Letzte, was das deutsche Fernsehen braucht, sind weitere Krimis. Es spricht für „Mord auf Öd“, dass selbst ein Kritiker, der (nicht nur) in der aktuellen Weltlage den Krimi-Overkill geradezu obszön findet, seine Grundeinstellung für zwei Mal neunzig Minuten vergessen kann. Gutes Fernsehen – egal welches Genre – ist auch ein Wert an sich. Neben dem Herzstück der beiden Filme, den Drehbüchern, überzeugt auch die Inszenierung von Richard Huber (t.tv-Datenbank) auf der ganzen Linie. Kongenial ordnen er und die anderen Gewerke die Filmsprache der Geschichte unter und sind darauf bedacht, aus den vielen, oft sehr kurzen Szenen, den parallelen Handlungssträngen eine flüssige, temporeiche Erzählung zu machen. In Stadtkrimis ist das oft leichter, dank der Fülle der Reize, der Perspektiven, der bewegten Objekte. In einem Inselkrimi gehört Reduktion quasi zur vorfilmischen Realität. Öd ist öd. In weiter Landschaft lässt sich Tempo – wenn es kein Baller-Western oder Killer-Thriller ist – nicht ohne Weiteres glaubhaft inszenieren, dafür lässt sich umso besser mit Entschleunigung, mit Totalen, mit Tempo- und Einstellungsgrößenwechseln (auch zwischen zwei Szenen) arbeiten. Und was das Spiel der Schauspieler angeht, trifft ein Satz aus „Die Heimsuchung“ besonders auf „Tag der Abrechnung“ zu: „Geduld, das ist überhaupt das ganze Geheimnis des Lebens.“ Diese Botschaft beherzigen vor allem die großartigen Schauspieler: ein Blick zum Horizont, Sinnieren im Angesicht der Gischt, eine entspannte Haltung, die bei den verwerflichen Charakteren etwas Ätzendes haben kann, oder ein väterlich bedächtig geäußerter Rat, der eine böse Drohung ist.

Morden auf Öd – Ein Inselkrimi. Zwei Episoden 2025Foto: RTL / Manju Sawhney
Ein Sprengstoffexperte auf Öd. Eva Holm (Franziska Hartmann) und Markus Brenner (Sebastian Zimmler) bangen um ihr Leben.

Paula Kalenberg ist für jeden Film eine Bereicherung, und Max Hubacher trägt viel zur ambivalenten Tonlage bei
Eine Krimi-Reihe steht und fällt nicht zuletzt mit der Stimmigkeit der Hauptcharaktere und deren Besetzung. Eine sympathische Kommissarin vom Festland in einem vorgestrig anmutenden Nordsee-Biotop vs. ein etwas jüngerer, zurückhaltender, anfangs schwer einzuschätzender Kollege, ein Insulaner durch und durch: eine vielversprechende Setzung, spätestens, wenn man die Backstorys beider Figuren kennt. Und besetzungstechnisch ist Paula Kalenberg (38) – ob Krimi („Letzte Spur Berlin“), Komödie („Zitronenherzen“), Comedy („Last X-mas“), Dramedy („Eine Sommerliebe zu dritt“) oder Drama („Käthe und ich“) – für jeden Film eine Bereicherung, und sie spielt ihre Maja Stein für eine Kommissarin erfrischend anders, mit der ihr eigenen Natürlichkeit; anfangs agiert die Figur bewusst naiv, später tough, straight und treffsicher nicht nur bei ihren Pointen („Und Sie sind klüger als Sie aussehen“). Der Schweizer Max Hubacher (31) überraschte zwar bereits als Jugendlicher mit der Hauptrolle in Markus Imbodens „Der Verdingbub“ (2001), ist hierzulande aber erst so richtig mit dem Ingo-Thiel-Krimi „Wo ist meine Schwester?“ und der Hauptrolle in dem Ausnahme-Drama „Ramstein – Das durchstoßene Herz“ aufgefallen. Wie er seiner Rolle des Klaus Hansen durch dessen Nachdenklichkeit völlig unprätentiös eine geheimnisvolle Aura verleiht, wie er mit Leichenbittermiene der Kollegin Öder Quatsch erzählt, wie er nicht Sympathien erheischen will, weder bei der attraktiven Kollegin noch beim Zuschauer, das trägt maßgeblich mit zu der teilweise anregenden ambivalenten Grundstimmung der Filme bei. Und dass er – wie die Kollegin – nicht auf den Mund gefallen ist, dafür sorgen die gewohnt guten Dialoge von Holger Karsten Schmidt. Er: „Ganz schön mutig für eine vom Festland“. Sie: „Ganz schön charmant für einen von der Insel.“ Fazit: Ganz schön überzeugend für eine Krimi-Reihe von RTL.

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1 Antwort

  1. Ich frag mich ja immer, warum keine norddeutschen Schauspieler die norddeutsch-kargen Inseltypen darstellen.
    Gut, Sprachmelodie und Ausdruck realistisch rüberzubringen gehört zum Können des Schauspielers, aber mit diesem Schweizer bin ich ja noch nicht ganz grün.
    Ich erinnere nur mal an Simon Schwarz, geboren in Wien, der bei Mörder auf Amrum einen Amrumer darstellen sollte. Passte gar nicht gut.
    (Zufall, dass beide Geschichten von HKSchmidt sind)

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Mit Max Hubacher, Paula Kalenberg, (1) Detlev Buck, Steffen Münster, Kalle Perlmutter, Klaus Tange, (2) Franziska Hartmann, Sebastian Zimmler, Sophie Lutz, Florian Anderer. Nebenrollen: Lars Rudolph, Meral Perin, Johanna Polley, Harald Burmeister

Kamera: Hendrik A. Kley

Szenenbild: Tamo Kunz

Kostüm: Gurli Thermann

Schnitt: Claudia Wolscht, Guido Krajewski

Musik: Sven Rossenbach, Florian Van Volxem

Soundtrack: (1) Beyoncé („Alligator Tears“), (2) One Way („You Can Do It“ feat. Al Hudson), Ronan Keating („Life Is A Rollercoaster“)

Redaktion: Greta Gilles, Nico Grein

Produktionsfirma: 307 production

Produktion: Simone Höller

Drehbuch: Holger Karsten Schmidt

Regie: Richard Huber

Quote: (1): 2,41 Mio. Zuschauer (10,9% MA); (2): 2,68 Mio. (11,8% MA)

EA: 08.04.2025 10:00 Uhr | RTL+

weitere EA: 08.04.2025 10 Uhr | RTL+ / 08.+15.04.2025 20:15 Uhr | RTL

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