Marzahn – Mon Amour

Triebel, Bormann, Kaufmann, Clara Zoe My-Linh von Arnim. Kiezgeschichten mit Herz & Hornhaut

14.03.2025 10:00 ARD-Mediathek Mediathek-Premiere
21.03.2025 23:50 ARD TV-Premiere
Foto: Degeto / UFA / Oliver Vaccaro
Foto Martina Kalweit

Auf der Basis von Katja Oskamps autobiografisch inspiriertem Roman „Marzahn Mon Amour“ wirft die gleichnamige Verfilmung (UFA Fiction) einen Blick ins Erdgeschoss der Ostberliner Platte. Die ARD-Miniserie ist weniger Kiezporträt, denn ein Reigen an kleinen Kammerspielen. Sechs Episoden begleiten Frisch-Single Kathi in ihr neues Leben als Fußpflegerin. In der „Beauty Oase“ heißt Leben zuerst mal schnöder Alltag, Kampf um die Existenz und den Lebensgeschichten anderer lauschen. Aus diesen Zutaten bindet die Serie einen Strauß an kleinen Dramen, zeigt aber auch, dass zwischen den Schiebetüren der „Oase“ Glitzer, Glück und Hoffnung aufblitzen. Kitschig? Manchmal. Vor allem aber berührt „Marzahn – Mon Amour“ wie eine warme Hand auf schlecht durchbluteter Haut.

„Ich trug etwas Bitteres vor mir her“, sagt die Erzählstimme im Intro über das Seelenleben der frisch verlassenen Kathi Grabowski. Jördis Triebel in der Titelrolle ist das Bittere nicht anzusehen. Während die Kamera an geputzten Balkonfassaden von Marzahn entlangfährt, geht die End-Vierzigerin beherzt ihren Weg. Es ist der Pfad aller Desillusionierung. Ehemann Heiko (Holger Bülow) ist weg, Tochter Lilli (Maja Bons) geht nach Australien. Kathi muss jetzt einfach nur aushalten und Geld verdienen. Die Möglichkeiten in Marzahn sind begrenzt. Aber Kathi lebt gern hier. Die Totale zeigt, warum: Da verschachteln sich Plattenbauten wie ein säuberlich angeordnetes Häuserpuzzle aus dem Holzbaukasten. Balkone sind bunt und frisch gestrichen, das breite Pflaster frisch gefegt. Wohnungssuchende Berlins, kommt nach Marzahn, scheinen die künstlich anmutenden Bilder zu rufen.

Marzahn – Mon AmourFoto: Degeto / UFA / Oliver Vaccaro
Endlich! Kathi (Jördis Triebel) feiert ihr neues Single-Leben. Ihre Tochter Lilly (Maja Bons) verkraftet die Trennung weniger gut.

Drinnen wird’s schon enger. Unangenehm nah fährt die Kamera an Hühneraugen, Zehennägel und Krampfadern heran. Der Kosmetiksalon von Jenny Chan (Yvonne Yung Hee Bormann) macht alle Menschen gleich. Egal, ob Ex-Stasi-Bonze, bescheidenes Rentnerpaar, quirlige Alte, trockener Alkoholiker oder frustriertes Mutter/Tochter-Gespann: Alle genießen Kathis Berührungen und ihr offenes Ohr. Kleine Tricks bewahren die Begegnungen im Salon vor zu viel Seifigkeit. Die Behandlung des störrischen IM-Opas (Hermann Beyer) inszeniert Regisseurin Clara Zoe My-Linh von Arnim („Die Zweiflers“) als vergnügliches Machtspiel, in dessen Verlauf Kathi zeigt, was man mit einem elektrisch verstellbaren Behandlungsstuhl alles machen kann. Gern mal knallen ihre Einweg-Handschuhe auch wie warnende Signaltöne ans Ohr der Kundschaft. Kehrt die Kamera dann zu Kathis Augen zurück, wird klar: Die Frau ist ein Engel.

Soundtrack: Lola Young („Messie“), The Paper Kites („Paint“), Eva Weißenborn („Für mich soll’s rote Rosen regnen“), Black Pumas („Fire“), Elliott Smith („Between the Bars“), The Cars („Drive“), The B-52’s („Dance this mess around“), Stereolab („Changer“), Supertramp („School“), Carrie Underwood („Before He Cheats“), Annie Lennox, No more I love You’s“)

Nach „Familienfest“ (Krankenschwester), „Warten auf’n Bus“ (Busfahrerin), „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ (Fabrikarbeiterin) und „Micha denkt groß“ (Masseurin mit Zusatzausbildung Aerobic) überzeugt Jördis Triebel erneut als Zupackende. Dem Klischee von der rotzigen DDR-Malocherin längst entwachsen, zieht sie sich mit dem weißen Kittel einfach das Beste aller Arbeitswelten über. Man schaut ihr genauso gern zu wie dem betagten Ensemble, das sich allein mit der Nahaufnahme auf alte Füße „nackt“ macht.

Marzahn – Mon AmourFoto: Degeto / UFA / Oliver Vaccaro
Oben: Die lebensfrohe Frau Baumüller (Eva Weißenborn) erzählt Kathi (Jördis Triebel) Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Und die hört ihr gern zu. Unten: Genauso wie dem liebenswerten Ehepaar Henke (Ursula Werner und Carl Heinz Choynski), das wenig später in den Erinnerungen an ihre 50-jährige Ehe schwelgt. Solche Geschichten gehen auch dem Zuschauer zu Herzen.

Das Visuelle, noch mehr das Akustische, setzt in „Marzahn Mon Amour“ leise Akzente hinzu. Neben einem interessanten Pop-Soundtrack reduziert sich die musikalische Begleitung auf verhaltene Töne aus der Quetschkommode, A-Capella-Gesängen und gesummten Melodien. Interessant ist der Wechsel von Außen- und Innenaufnahmen. Die Geschichten der Alten auf dem Behandlungsstuhl werden, sobald sich das Grundgefühl ihrer Seelen herausschält, durch Miniaturen im Außen gedoppelt. Da klettert ein Junge aufs Fußballtor, umarmt seinen Ball und schaut in den Himmel. Das Glück wohnt auch in Marzahn. Oder einem Kind fällt beim Balanceakt auf Beton die Eiskugel herunter. Vom Pech verfolgt. Draußen springen Skater auf dem Pflaster, tanzen Mädchen auf dem Parkdeck, suchen junge Rapper vergeblich nach einem Ort, wo ihnen beim Video-Dreh kein Rollator durchs Bild rollt. Das ist komisch und bitter zugleich. Die Alten finden im Draußen nicht mehr statt.

„Marzahn Mon Amour“ ist ruhig erzählt und auf den ersten Blick so unspannend wie das Leben eben ist (Buch: Leona Stahlmann, Niklas Hoffmann, Antonia Rothe-Liermann). Unter dieser Oberfläche erzählen kurze Rückblenden wie nebenbei deutsch-deutsche Geschichte(n). Die drei Frauen aus der „Wellness Oase“ tanzen im Mittelpunkt und sie tanzen in den entscheidenden Momenten tatsächlich. Zum Finale spielt von Arnim mit Standbildern und Slow-Mo, variiert das schwer auszuhaltende Gefühl des Stillstands, zeigt die Ruhe vor dem Sturm, umkreist das Trio und endet bei Kathis Stimme aus dem Off. „Das Bittere ist verschwunden und mit ihm der letzte Rest jugendlicher Arroganz“ zieht sie Bilanz und blickt direkt in die Kamera. Wer Respekt vor der Lebensleistung und den Geschichten alter Menschen kitschig findet, muss Marzahn nicht lieben. Schade ist, wie respektlos die ARD eine ältere Zuschauerschaft mit IQ über Krankenhausserien-Durchschnitt verprellt. Statt zur Hauptsendezeit läuft „Marzahn Mon Amour“ um 23.50 Uhr. Kann man auch gleich sein lassen.

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Serie & Mehrteiler

ARD Degeto

Mit Jördis Triebel, Yvonne Yung Hee Bormann, Deborah Kaufmann, Maja Bons, Hermann Beyer, Ursula Werner, Carl Heinz Choinsky, Jörg Malchow, Monika Lennartz, Eva Weißenborn, Paul Jumin Hoffmann

Kamera: Falko Lachmund

Szenenbild: Theresa Bischof, Max-Josef Schönborn

Kostüm: Freya Herrmann

Schnitt: Raffaéllo Lupperger, Yvonne Tetzlaff

Musik: Kat Frankie

Redaktion: Carolin Haasis, Christoph Pellander

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Tobias Krisa-Yamamoto, Sandra Moll

Drehbuch: Leona Stahlmann, Niklas Hoffmann, Antonia Rothe-Liermann – nach Katja Oskamps Buch „Marzahn – mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin“

Regie: Clara Zoe My-Linh von Arnim

EA: 14.03.2025 20:15 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 21.03.2025 23:50 Uhr I ARD

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