Es gibt kein Copyright auf die Wirklichkeit, aber es ist schon seltsam, dass das ZDF im Zusammenhang mit dem Zweiteiler „Lillys Verschwinden“ völlig unerwähnt lässt, welches Ereignis der Handlung zugrunde liegt: Im Mai 2007 ist die knapp vierjährige Maddie McCann während des Urlaubs in einer portugiesischen Ferienanlage spurlos verschwunden. Die Eltern waren mit befreundeten Ehepaaren im Restaurant der Anlage essen und haben alle dreißig Minuten nach ihren Kindern gesehen. Um 22.00 lag Maddie nicht mehr in ihrem Bett. Eine großangelegte Suchaktion blieb erfolglos. Der Fall machte weltweit Schlagzeilen, weil die McCanns auch dank der finanziellen Unterstützung durch Prominente eine internationale Suchkampagne starteten. Zwischendurch gerieten sie allerdings selbst in Verdacht.
Foto: ZDF / Pep Bonet
Thomas Berger, Schöpfer der ZDF-Reihe „Kommissarin Lucas“ und ein Garant für erstklassige Krimis, hat seit 2014 vier „Nordholm“-Krimis mit Heino Ferch als verschlossenem Kommissar gedreht, alle zweiteilig und keine Minute zu lang. Für „Lillys Verschwinden“, ebenfalls eine Mischung aus Krimi und Familiendrama, gilt das trotz der emotionalen Komplexität der Erzählung nur bedingt. Obwohl die Handlung einige Wendungen nimmt, wirkt die Umsetzung mit ihren vielen Autofahrten, Vernehmungen und Krisengesprächen schematisch. Eher unnötig scheinen auch einige Elemente, die dem Geschehen zusätzliche Dramatik verleihen sollen, obwohl die Ereignisse doch wahrlich tragisch genug sind. Bergers Drehbuch hält sich, was die äußeren Umstände betrifft, eng an den authentischen Kriminalfall: Robert und Anna Bischoff (Ferch, Jessica Schwarz) machen gemeinsam mit ihrer Freundin Johanna (Natalia Wörner) Urlaub auf einer nicht näher benannten spanischen Ferieninsel (gedreht wurde auf Mallorca). Dort haben sie Sara und Niklas Grote (Petra Schmidt-Schaller, Felix Klare) kennengelernt. Abends treffen sich die fünf Erwachsenen in Sichtweite des Apartments auf der Terrasse eines Tapas-Lokals. Gegen 22.00 Uhr stellt Anna fest, dass Lilly verschwunden ist.
Zusätzlich kompliziert wird die Geschichte, weil alle Beteiligten noch andere Sorgen haben: Anna und Robert befinden sich in einer schweren Krise, weshalb er schon seit geraumer Zeit seinen Beruf vernachlässigt. Johanna hat in die gemeinsam betriebene sportmedizinische Praxis viel Geld gesteckt und sucht nun nach Investoren, damit sie nicht auf ihren Schulden sitzenbleibt. Sara und Niklas sind ungewollt kinderlos, deshalb glauben Lillys Eltern zwischenzeitlich, die beiden hätten das Mädchen entführen lassen. Dass Niklas beim letzten Kontrollgang Anna geküsst hat, was sie sich gern gefallen ließ, verbessert das Verhältnis der Paare auch nicht gerade, obwohl der Anwalt eigens eine Kollegin (Miriam Maertens) aus seiner Kanzlei einfliegen lässt, um die Bischoffs zu unterstützen.
Foto: ZDF / Pep Bonet
Natürlich sorgen die Nebenschauplätze für zusätzliche Spannungen, aber im Grunde ist der Handlungskern gerade auch dank der ausgezeichneten und oftmals suggestiven Bildgestaltung (Hannes Hubach) sowie der Thrillermusik (Christoph Zirngibl) spannend genug. Deshalb wirken die Seitenstränge mitunter wie ein Vorwand, um 180 Minuten zu rechtfertigen; und die prominente Besetzung dieser wichtigen Rollen. Die interessantere Figur wird allerdings von Andreas Lust verkörpert, zumal sich Berger clever zunutze macht, dass die Filmografie des Österreichers mit Schurken gespickt ist: Nachbar Maiwald, ein deutscher Künstler, der schon lange auf der Insel lebt, erweist sich als äußerst hilfsbereit, macht sich gerade dadurch verdächtig und wird zur tragischen Figur des Films. Eine Journalistin (Regula Grauwiller), deren Methoden ohnehin recht fragwürdig sind, hat mit Lillys Eltern zwar einen Exklusivvertrag geschlossen, aber als sie mitbekommt, dass die Polizei auch gegen die beiden ermittelt, wechselt sie prompt die Seiten; plötzlich finden sich die Bischoffs auf der Titelseite der Inselzeitung wieder.
Das Duo von der Guardia Civil funktioniert nach dem schlichten „Good cop, bad cop“-Schema, ist darstellerisch jedoch sehr interessant, zumal Mona Pirzad ihre Rolle mit viel Energie und Impulsivität versieht: Isabell Navarro ist die treibende Kraft hinter dem Verdacht gegen die Bischoffs. Sie glaubt, Anna habe die Kinder sediert, damit die Eltern in Ruhe essen gehen können; dabei habe sie sich in der Dosierung vertan und später mit dem Gatten die Leiche beseitigt. Der Kollege (Mohamed Achour) hält das für absurd, weshalb sie dieser Spur hinter seinem Rücken nachgeht. Tatsächlich verstricken sich Robert und Anna in einer intensiv umgesetzten und wirkungsvoll montierten Befragungsszene in Widersprüche. Sehenswert ist „Lillys Verschwinden“ daher vor allem aus Sicht des Elternpaars: Ihre kleine Tochter ist einem fremden Land verschwunden, doch der Polizei fällt nichts Besseres ein, als sie selbst zu verdächtigen. Sehr nachvollziehbar schildert Berger, wie die beiden immer wieder Hoffnung schöpfen und dann doch enttäuscht werden. Theoretisch käme natürlich hinzu, dass sie die Sprache nicht sprechen, aber Verständigungs-Probleme gibt es nicht: Alle Einheimischen können perfekt deutsch und sprechen auch untereinander kein Spanisch.
Foto: ZDF / Pep Bonet
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Na ja, so 4/10. Totale McCann-Inspiration. 60–80 Minuten gab es Action, der Rest wurde künstlich in die Länge gezogen. Nicht die beste schauspielerische Leistung. Ehrlich gesagt, habe ich mich manchmal dabei ertappt, wie ich den Film vorgespult habe …
Um ehrlich zu sein? Wer lässt schon ein fünfjähriges Kind nachts im Ausland unbeaufsichtigt???
Es mag starke Parallelen zum McCann Fall geben, dennoch sagt der Regisseur Thomas Berger, es habe mit einem privaten Ereignis von ihm zu tun. Deshalb wurde wahrscheinlich auch nicht explizit auf den Maddie Fall als Grundlage/Hintergrund aufmerksam gemacht. Schauspielerisch ziemlich mittelmäßig. Es war ganz spannend, ja. Aber Schwarz und auch Ferch sind definitiv überbewertet. Aber es wird Leute geben, denen das reicht.. 4/10 Sterne aufgrund der pittoresken Ortschaften Mallorcas.