Tod eines Mädchens

Ferch, Auer, Kling, Thomas Berger. Der Profi, die Betroffenen & ein Ostseedorf

Foto: ZDF / Stefan Erhard
Foto Rainer Tittelbach

Eine 14Jährige ist ermordet worden und in einem Badeort an der Ostsee entsteht aus Trauer, Wut und Verzweiflung ein Klima, in dem sich Freunde plötzlich vieles zutrauen… Mit seinen 180 Minuten kann „Tod eines Mädchens“ neben dem Ermittlungsstrang auch stärker die Geschichten befreundeter Familien beleuchten. Zu einem Krimi-Drama aber entwickelt sich der ZDF-Zweiteiler nicht. Dafür ist die Psychologie zu dünn & krimiorientiert, und die Inszenierung doppelt zu deutlich das dramatische Geschehen. Oberflächlich betrachtet, als linear erzähltes Mörder-Ratespiel, funktioniert der Film außerordentlich gut. Situationen und Charaktere wecken Neugier, die Spannung hält sich, Auer & Ferch veredeln das Ganze.

Ausnahmezustand in einem kleinen Ort an der Ostsee. Ein 14jähriges Mädchen wurde tot an einer benachbarten Seebrücke aufgefunden. Ausgerechnet Hella Christensen (Barbara Auer), eine Nachbarin der Ermordeten und gut befreundet mit deren Eltern Hauke (Jörg Schüttauf) und Silke (Anja Kling), gehört zur eilig formierten SOKO, die der neue Kripo-Leiter in Kiel Simon Kessler (Heino Ferch) leitet, ein ausgesprochen harter Hund. Der Polizistin fällt es sichtlich schwer, gegen Freunde und Bekannte zu ermitteln; Kessler aber braucht sie dringend als Kennerin der örtlichen Gegebenheiten. Als sich der Verdacht erhärtet, dass der Täter aus der Gegend kommt, gehören bald ein Hotelier mit dem Faible für junge Mädchen und sogar der Vater der Ermordeten, der kein stichhaltiges Alibi hat, zum Kreis der Verdächtigen.

Tod eines MädchensFoto: ZDF / Stefan Erhard
Opus magnum in Sachen Provinzkrimi & Familiendrama. Da dürfen bekannte Namen nicht fehlen: Barbara Auer & Heino Ferch, Anja Kling, Jörg Schüttauf & Hinnerk Schönemann. Hinten: Anna Unterberger, Gustav Peter Wöhler und Johann von Bülow

Die Idylle ist gestört. Trauer, Wut, Verzweiflung machen sich breit. Tägliche Verrichtungen werden auf einmal zum Spießrutenlauf. Im Dorf herrscht ein Klima, in dem sich alte Freunde alles zutrauen. Der Vater der Toten schreibt Listen mit Namen von Ortsbewohnern, mit denen die Tochter ohne Argwohn mitgegangen wäre, bevor dieser von der befreundeten Polizistin ausspioniert wird und selbst am Pranger steht. Der ZDF-Zweiteiler „Tod eines Mädchens“ könnte auch „Es wird nicht mehr sein wie vorher“ heißen, in Anlehnung an die Prophezeiung des offenbar so gefühllosen Kommissar Kessler. Der muss es wissen. Denn auch er, der gnadenlose Schleifer, hat schwer zu tragen an einem alten, persönlichen Fall. Die Psychologie von Heino Ferchs Figur wird spät für den Zuschauer entschlüsselt. Bis dahin ist er der Obermacker, der seine Mitarbeiter antreibt und vor allem seine rechte Hand, die von Barbara Auer gespielte Provinzpolizistin, zu mehr Professionalität und weniger Empathie bewegt.

Mit seinen 180 Minuten kann „Tod eines Mädchens“ neben der Arbeit des ungleichen Ermittlerduos stärker auch in die Geschichten der beiden befreundeten Familien leuchten. Die Autoren Stefan Holtz und Florian Iwersen tun das weniger, um Gefühlslagen tief auszuloten als vielmehr, um Verdachtsmomente für die Krimigeschichte zu sammeln. So gerät der Vater der Ermordeten unter Verdacht, aber auch die Mutter scheint – zumindest „moralisch“ – nicht ganz ohne Schuld zu sein; und gelegentlich seltsam verhalten sich sogar Ehemann und Sohn der Polizistin. Die anderen Figuren des Ortes holen die Autoren ins Boot, wenn sie es für nötig halten. Das ist nicht immer logisch, psychologisch & kriminalistisch ohnehin nicht. Mal werden Tatverdächtige völlig aus den Augen verloren, dass man als Zuschauer am liebsten ins Geschehen eingreifen würde. Das ist die Kehrseite eines Krimis mit einem so alltagsnahen Szenario. Einerseits geht es zu wie in einem realistischen TV-Drama, was noch unterstützt wird dadurch, dass Thomas Berger auf eine übermäßige filmische Ästhetisierung verzichtet; andererseits muss dramaturgisch ganz nach den Genreregeln des Krimis gespielt werden.

Tod eines MädchensFoto: ZDF / Stefan Erhard
Auch Kessler (Heino Ferch) hat im Laufe seiner Dienstzeit nicht nur körperlich Blessuren davongetragen. Wer mehr über ihn erfahren will, muss lange warten.

Dass das Drama in „Tod eines Mädchens“ nur als Funktion des Krimiplots benutzt wird und (anders als beispielsweise in Andreas Prochaskas „Die letzte Spur – Alexandra 17 Jahre alt“) keinen nachhaltigen Eigenwert bekommt, spiegelt sich auch in der Inszenierung wider. Notfalls lassen das ZDF und Regisseur Berger den Komponisten Florian Tessloff noch mal über die Gefühlsausbrüche der Schauspieler musikalisch drüber gehen, um noch mehr Emotionalität aus den Situation herauszupressen. Die filmische Umsetzung insgesamt – was sicher auch mit dem Sujet zu tun hat – steht im Übrigen ganz in der Tradition des deutschen Spannungsfernsehfilms der 00er Jahre. Modernere Erzählformen sucht man in dem ZDF-Zweiteiler vergeblich. Chronologie ist King, Geradlinigkeit oberste Dramaturgenpflicht, selbst strukturelle Verweise, das Salz in der Spannungssuppe, halten sich in Grenzen. Und wenn der SOKO-Leiter die einheimische Polizistin anfährt, „Ich brauche Mitarbeiter, die die Menschen hier kennen, aber nicht bei jeder Gelegenheit in Tränen ausbrechen“, dann lassen die Autoren keine Zeit verstreichen und zeigen gleich in der nächsten Szene (Christensen findet das Fahrrad der Toten), dass auch sie ihre Hausaufgaben zu machen versteht.

Wer sich in der Krimi-Mythologie des Fernsehfilms auskennt, dürfte eine Reihe typischer Versatzstücke aus anderen Krimis & Thrillern (vornehmlich ZDF) unschwer wiedererkennen: „Der Tote am Strand“, „Tod einer Schülerin“, „Nichts mehr wie vorher“ (Sat 1). Und wer über den deutschen Tellerrand hinausschaut, der könnte durchaus Parallelen zwischen „Tod eines Mädchens“ und der britischen Serie „Broadchurch“ erkennen… Der Film von Thomas Berger ist nun eine Art „opus magnum“, das auf die Dramaturgie eines langen Atems setzen muss. Diese Dramaturgie bekommen die Macher gut in den Griff. Retrospektiv betrachtet stimmt die Logik der Handlung mit ihren ausgelegten Verdachtsmomenten. Überhaupt funktioniert der Film an der Oberfläche außerordentlich gut. Die Situationen und Charaktere wecken Neugier, die Spannung wird – auf Kosten der Glaubwürdigkeit zwar – 180 Minuten lang gehalten, und die Schauspieler erschaffen ein reizvoll ambivalentes Klima, dem man sich nur schwer entziehen kann. Im Rahmen des beschriebenen Regie-Konzepts veredeln insbesondere Barbara Auer und Heino Ferch ihre Rollen, die etwas komplexer angelegt sind als die der tragenden Nebenfiguren. Und der Schluss rückt ein Wiedersehen der beiden Ostseeermittler durchaus in den Bereich des Möglichen. (Text-Stand: 10.1.2015)

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Mit Heino Ferch, Barbara Auer, Anja Kling, Jörg Schüttauf, Hinnerk Schönemann, Rainer Bock, Johann von Bülow, Gustav Peter Wöhler, Peter Striebeck, Chris Veres, Anna Unterberger, Nina Petri, Annika Schrumpf

Kamera: Frank Küpper

Schnitt: Jan Henrik Pusch

Musik: Florian Tessloff Titelsong: Anna Ternheim („Dark Every Heartbeat“)

Produktionsfirma: Network Movie

Drehbuch: Stefan Holtz, Florian Iwersen

Regie: Thomas Berger

Quote: 1. Teil: 7,18 Mio. Zuschauer (21,1% MA); 2. Teil: 8,02 Mio. Zuschauer (24,7% MA); Wh.: 1. Teil: 3,82 Mio. (13,6% MA); 2. Teil: 4,14 Mio. (16,1% MA). (13,6% MA)

EA: 09.02.2015 20:15 Uhr | ZDF

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