Warum ich?

Schalko, Hübner, Sawatzki, Mädel, Waldstätten, Palfrader, Schubert, Buck. In sechs Horrorkomödien durch die Gegenwart

20.06.2025 05:30 ARD-Mediathek alle sechs Folgen Streaming-Premiere
26.06.2025 21:45 One alle 6 Folgen TV-Premiere
Foto: ARD Degeto / Superfilm
Foto Thomas Gehringer

Vom Wohnzimmer-Konzert bis zum Restaurant-Besuch: In den sechs Kurzfilmen seiner Anthologie-Serie „Warum ich?“ (ARD Degeto / Superfilm) erzählt David Schalko kurzweilige Horrorkomödien, in denen zumeist alltägliche Situationen absurde und tragische Wendungen nehmen. Erneut beweist der Österreicher in dieser Inszenierung voller skurriler Typen und Dialoge seinen Sinn fürs Abgründige. Die Szenenbilder, die den Horror ahnen lassen, noch ehe er eintritt, sowie die Spielfreude des illustren Ensembles runden das Vergnügen ab. „Warum ich?“ ist anspruchsvoll, kreativ, ohne enormen Aufwand, verspielt und immer ein bisschen rätselhaft. So etwas sieht man nicht alle Tage.

Wenn eine Serie mit dem nackten Bauch von Charly Hübner und der Stimme von Andy Borg beginnt, muss man wohl das Schlimmste befürchten – bei David Schalko also in Wahrheit das Gegenteil: eine Lust am Spiel mit populären Klischees und abseitigem Humor. Der Start ist jedenfalls vielversprechend. Hübner ist in „Cowboys“, der ersten Episode von „Warum ich?“, die Country-Legende Jeff Kanter, dessen beste Zeit weit zurückliegt. Er haust in einem Wohnwagen auf dem Kundenparkplatz eines Motels, dessen Besitzer Eddi (David Bennent) seltsamerweise ebenfalls mit Cowboyhut und Ledermantel herumläuft, und trinkt sich das Leben mit viel Bier schön – aber nicht aus Verzweiflung über sein Scheitern, sondern weil er das für seine Bestimmung als Cowboy hält. „Ich bin auf Tour, weil das mein Leben ist“, behauptet Kanter in der Show von Hannes Ringlstetter. Gegen seine Schulden kämpft er mit Wohnzimmer-Konzerten an, und das nächste wird wahrlich besonders. Denn die einsame Monika (Andrea Sawatzki) hat ihre ganz eigenen Pläne. Hübner und Sawatzki müssen vorwiegend sturzbetrunken spielen, was schnell ermüdet. Dennoch ist der Auftaktfilm nicht zuletzt dank seiner unerschrockenen Pointe gleich ein großer Spaß.

Warum ich?Foto: ARD Degeto / Superfilm
Immer on the road. Jeff Kanter (Charly Hübner), der singende Cowboy, gibt Wohnzimmerkonzerte. Dann gerät er an die Falsche.

Dass Hübner in seiner Rolle als ehemaliger Country-Star gemeinsam mit dem bayerischen Kabarettisten Ringlstetter im Fernsehstudio den Kanter-Hit „Bier für Helden“ anstimmt, ist dabei ein Ausnahme-Vergnügen. Eigentlich spielen die sechs Filme, die zwischen 20 und 29 Minuten lang sind, ganz und gar nicht im Rampenlicht, sondern in scheinbar gewöhnlichen Alltagssituationen. Der Titel verweist auf die übergreifende Idee aller Geschichten, auf das mal larmoyant, mal vorwurfsvoll und stets verständnislos ausgerufene „Warum ich?“ der unterschiedlichen Figuren, die jeweils auf ganz eigene Art um sich selbst kreisen. Wie Personalchefin Saskia (Nora Waldstätten), die gerade 38 Mitarbeitern gekündigt hat und nun eine makabre Bahnfahrt erlebt („Regensburg“). Wie Familienvater Hans (Robert Palfrader), der an seinem 60. Geburtstag seinen beiden erwachsenen Kindern eröffnet, dass er wegen einer Alzheimer-Erkrankung eine Sterbebegleitung in der Schweiz gebucht hat („Lebenskerze“). Oder wie Geschäftsmann Dominik (Thomas Schubert), dem bei einer Reise durch die Nacht eine eigenwillige Lektion erteilt wird („Freunde“).

Warum ich?Foto: ARD Degeto / Superfilm
Man wird nur ein Mal sechzig! Gundi (Zoë Valks), Georg (Sammy Scheuritzel), Hans (Robert Palfrader), Gertraud (Sylvie Rohrer)

In jeder Episode sorgt Schalko mit kuriosen und bisweilen auch rätselhaften Wendungen für Überraschungen. Zwar steht jede Geschichte für sich, aber manche Figuren und Motive tauchen mehrfach auf. Dominik und sein bewaffneter Entführer (Merlin Sandmeyer) geraten in eine Verkehrskontrolle, durchgeführt von Familienvater Hans, der von Beruf Polizist ist. Später finden sich Dominik und sein neuer Bekannter in einem Zimmer des Motels wieder, auf dessen Parkplatz Country-Sänger Jeff Kanter lebt. Bjarne Mädel ist wie Robert Palfrader und David Bennent in zwei Episoden zu sehen, in denen er jeweils die Schluss-Pointen liefert. Und neben den zahlreichen Geburtstagen, die hier regelmäßig tragikomisch enden, darf sich auch die hessische Stadt Kassel über häufige Erwähnungen „freuen“, was man aber angesichts der jeweiligen Zusammenhänge besser in Anführungszeichen setzt. Anspielungen auf Film-Genres wie den Western („Cowboys“) oder dystopische Science Fiction („Mondfenster“) gehören ebenfalls dazu.

Warum ich?Foto: Degeto / Superfilm / Nicole Albiez
Personalchefin Saskia (Nora Waldstätten) hatte einen harten Tag: 38 Entlassungen. Sollte ihr dieser Job zu denken geben?

Außerdem scheint Schalkos jüngste Beschäftigung mit Franz Kafka – der Österreicher inszenierte Daniel Kehlmanns Drehbuch für die fabelhafte ARD/ORF-Serie „Kafka“ – nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben. So seltsam zeitlos erscheinen auch hier manche Szenarien, so weit entfernt von Alltagssprache klingen manche Dialoge. Das Szenenbild von Su Erdt trägt in einigen Filmen maßgeblich zur „kafkaesken“ Stimmung bei. Etwa in Monikas erstaunlich weitläufig unterkellerter Wohnung. Oder im Heim von Hans und seiner Frau Gertraud (Sylvie Rohrer): Vor einem Terrarium, in dem ein regungsloser Mini-Saurier wie hinter einem großen Schaufenster hockt, versammeln sich mit Sohn Georg (Sammy Scheuritzel) und Tochter Gundi (Zoë Valks) zwei ebenfalls ausgesprochen seltsame Typen. Überdies hat Katharina Thalbach einen Gastauftritt als etwas gehässige, aber fröhliche Tante Fritzi. Auch die Reise der Personalchefin in einem alten Zugabteil, einschließlich des unheimlichen Stopps sowie der doppelbödigen Dialoge mit einer Ordensfrau (Bärbel Schwarz), einem Zugkellner (Marcus Richter) und einem vermeintlichen Psychologen (Bjarne Mädel), könnte ebenso gut in einer anderen Matrix stattfinden.

Warum ich?Foto: ARD Degeto / Superfilm
Am Ende kommen die bösen Geschichten geballt in einer Folge. Ein Abend im Casa Carmen mit einem unerwarteten Gast.

Dort befindet sich die abseits im Wald lebende Familie in der besonders skurrilen fünften Episode „Mondfenster“ ohnehin. Während die Gallier einst fürchteten, der Himmel falle ihnen auf den Kopf, behauptet der Vater (Detlev Buck), wegen schwindender Gravitation würden bald alle Menschen von der Erde purzeln. Jedenfalls erzählen das Papa und Mama (Sarah Bauerett) ihrem heranwachsenden Sohn, der übrigens von Daniel Kehlmanns Sohn Oscar gespielt wird. In seiner Rolle in „Mondfenster“ schießt er massenweise Vögel vom Himmel, weil er sie für Drohnen hält. Der Kurzfilm ist mehr als eine Satire auf Reichsbürger oder andere Anhänger von Verschwörungsideen, denn Schalko gelingt mit dem Besuch von zwei Außerirdischen (Lukas Vogelsang, Stefko Hanushevsky) – hier fühlt man sich an Kafkas „Prozess“ erinnert – eine skurrile, aber wirkungsvolle Wendung hin zu einer familiären Tragikomödie.

Solcherlei gibt es dann noch einmal gehäuft in der abschließenden Episode „Casa Carmen“, für die Schalko ein üppiges Ensemble versammelt hat, unter anderem Stefanie Dvorak, Samuel Koch, Aaron Altaras, Lisa Hagmeister und Nadeshda Brennicke. Denn im Restaurant von Fernando (Oscar Ortega Sánchez) treibt der Autor und Regisseur das Spiel mit der menschlichen Ichbezogenheit auf die Spitze. An den Tischen fliegen die Fetzen, ein Ehepaar streitet sich, ein hochbegabter Zehnjähriger demütigt seine Mutter, in einer fünfköpfigen Familie wird eine Tochter von ihrem Vater gnadenlos aussortiert und ein weiblicher Stammgast im Rollstuhl triezt die Kellner. Auch das Personal trägt untereinander Konkurrenzkämpfe aus. Es gibt Anspielungen auf Rassismus, #MeToo und übertriebene politische Korrektheit. Es scheint so, als hätte der Autor Ideen für noch ein paar Episoden mehr gehabt.

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ARD Degeto

Mit Charly Hübner, Andrea Sawatzki, Nora Waldstätten, Robert Palfrader, Thomas Schubert, Bjarne Mädel, Merlin Sandmeyer, Oscar Kehlmann, Detlev Buck, Sarah Bauerett, Marcus Richter, Bärbel Schwarz, Sammy Scheuritzel, Zoë Valks, Sylvie Rohrer, Katharina Thalbach, Hannes Ringlstetter, David Bennent, Lukas Vogelsang, Stefko Hanushevsky, Oscar Ortega Sánchez, Stefanie Dvorak, Lisa Hagmeister, Lionel Hesse, Andreas Anke, Tina Pfurr, Samuel Koch, Raphael von Bargen, Nadeshda Brennicke, Laura Julie Bollmann, Simon Kirsch, Aaron Altaras, Mervan Ürkmez, Jona Mora

Kamera: Martin Gschlacht

Szenenbild: Su Erdt

Kostüm: Alfred Mayerhofer

Schnitt: Karina Ressler, Felix Leitner

Musik: Kyrre Kvam

Redaktion: Carolin Haasis, Sandra Moll

Produktionsfirma: Superfilm

Produktion: John Lueftner, David Schalko, Katharina Theissen

Drehbuch: David Schalko

Regie: David Schalko

EA: 20.06.2025 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 26.06.2025 21:45 Uhr | One

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