Reset – Wie weit willst du gehen?

Riemann, Schiller, Loibl, Kaltenegger/Kallwass, Prahl/Moore. Einen Suizid verhindern

Foto: ZDF / Key Visual
Foto Rainer Tittelbach

In der Drama-Serie „Reset – Wie weit willst du gehen?“ (ZDF / Gaumont Köln) stößt eine Mutter, die mit dem Selbstmord ihrer 15-jährigen Tochter konfrontiert wird, auf eine Agentur, die das Reisen in die Vergangenheit ermöglicht. Erzählt wird genau das, was sich betroffene Eltern in einer solchen Situation wünschen würden: die Tragödie rückgängig zu machen. Sich nicht von den Gefühlen auffressen lassen, sondern handeln. Ein realistisches Drama würde die Phasen der Trauer durchlaufen. „Reset“ zeigt den großen Schmerz und den Versuch einer Heilung mit fantastischen Mitteln. Die Serie setzt auf ein Sci-Fi-Motiv und erzählt so ein Familiendrama, das über die Rückschau und die Rückbesinnung hinaus noch an Dichte und Vielschichtigkeit gewinnt. Der Sechsteiler, der auch filmisch ganz vorzüglich ist, richtet sein Augenmerk auf psychische Erkrankungen bei Teenagern und komplexe Familienstrukturen, ohne bleiern und bedeutungsschwer zu wirken. Dafür sorgen die Sprünge durch die Zeit, aber auch die großartigen Schauspieler. Was Katja Riemann und ihre feministische Journalistin & aufopferungsvolle Mutter angeht: Da haben sich zwei gefunden.

Hinterher ist man immer schlauer – oder auch nicht. Für Floriane Bohringer (Katja Riemann) gilt dies nach dem Suizid ihrer 15-jährigen Tochter Luna (Hannah Schiller) in besonderem Maße. Sie zermartert sich ihren Kopf. Was hat sie nur falsch gemacht? Wo hat sie als Mutter versagt? Gab es Anzeichen für eine Depression, die sie übersehen hat? Hat sie tatsächlich „die psychische Gesundheit der eigenen Tochter aus den Augen verloren?“, wie ein konservativer Politiker der engagierten Journalistin und Feministin öffentlich vorhält? Oder war es die Scheidung, jene Trennung, die man Luna und ihrem Bruder Carlo (Paul Ahrens) nicht ganz ehrlich als „Beziehungspause“ verkauft und die die introvertierte Luna möglicherweise schlechter verkraftet hat, als sie es sich hat anmerken lassen. Dabei war es doch eine so vernünftige Trennung. Vater Jens (Thomas Loibl) ist mit seiner neuen Lebenspartnerin Kathi (Annika Kuhl) quasi zurückgezogen, in eine Wohnung im selben Haus, wo die Kinder von beiden Eltern stets offen empfangen wurden. Luna war mehr das Mutterkind, während Carlo beim Vater wohnte, um der pubertierenden Drama-Queen zu entgehen. Und jetzt gibt es Luna nicht mehr. Alle sind geschockt, ratlos, sie trauern, machen sich selbst oder gegenseitig Vorwürfe. Nur Floriane handelt. Und plötzlich steht ihre Tochter wieder neben ihr…

Reset – Wie weit willst du gehen?Foto: ZDF / Tina Krohn
Die 15-jährige Luna (Hannah Schiller) und ihr Freund Pascal (Alessandro Schuster). Er schlägt und würgt sie. Und sie gibt sich die Schuld. „Ich bin nichts ohne ihn … Ich kann gar nichts … Ich bin hässlich.“ Ihr Selbstwertgefühl ist völlig verloren gegangen.

In der sechsteiligen Drama-Serie „Reset – Wie weit willst du gehen?“ stößt die Heldin auf eine Agentur, die das Reisen in die Vergangenheit ermöglicht. „Tod verhindern wird als Grund akzeptiert“, sagt die Computerstimme am Smartphone. Wenig später stehen zwei Boten jenes „Plan B“-Dienstleisters auf der Matte: Sack über den Kopf, rein in einen Transporter – und dann befindet sich Floriane, genannt Flo, wieder an jenem Tag im August, der (mit)entscheidend für Lunas verhängnisvolles Schicksal war. Die toxische Beziehung zwischen ihr und ihrem gewalttätigen Freund Pascal (Alessandro Schuster) hofft die Mutter, durch entscheidende Weichenstellungen positiv beeinflussen zu können. Doch „Tod verhindern“ ist schwieriger als gedacht. Erstmal verliert Luna das Vertrauen in ihre Mutter völlig, nachdem diese Pascal angezeigt und sich Zugang zu den intimsten Handy-Daten ihrer Tochter verschafft hat. Gleichzeitig ist Flo zunehmend beunruhigt: Luna wird von ihren früheren Freundinnen gemobbt, und ausgerechnet Pascal ist für sie die einzige Verbindung zur Außenwelt. Luna lebt nur noch in ihren Ängsten und der Panik, ihren Freund nicht mehr sehen zu können. Für die blutige Lippe und die Hämatome gibt sie allein sich die Schuld. „Ich bin nichts ohne ihn“, jammert sie. Die Zeitreisende erkennt, dass sie die Dienste von „Plan B“ noch ein weiteres Mal bemühen muss. Dieser vermaledeite Turnwettbewerb, bei dem sie Vorletzte wurde, muss weg. Floriane versucht, ihre Tochter fürs Tanzen zu begeistern: Lust statt Leistungsdruck, das könnte funktionieren. Doch Lunas Depressionen sitzen tief; schon als Kind steckte sie voller Angst und Aggression. Wie gut, dass es „Plan B“ gibt.

Und wie gut, dass es diese Serie gibt, die das Augenmerk auf psychische Erkrankungen und auf komplexe Familienkonstellationen lenkt – und dabei einen zwischenmenschlich motivierten Sog entwickelt, der alles übertrifft, was Crime-Sujets und Krimi-Dramen an Handwerk und Spannung zu bieten haben. Das hat auch dramaturgische Ursachen. Denn die Autorinnen Ingrid Kaltenegger („Das Glück ist ein Vogerl“) und Mika Kallwass („Harter Brocken – Der Goldrausch“) setzen nicht auf die Methoden des Themenfilms, der die gute Botschaft dialogreich vor sich herträgt, erzählen auch kein bleiernes Familiendrama, sondern entwickeln nach der Vorlage der kanadischen Drehbuchschreiber Jean-Francois Asselin und Jacques Drolet ein raffiniertes Genrekonstrukt, mit wahrhaftigen Charakteren, die voller Leben sind und vor Lust und Selbsthass nur so strotzen. Es wird gelegentlich laut, immer dann, wenn die Panik des postpubertären Teenagers oder die Furcht der sich sorgenden Mutter die Oberhand gewinnen. Es dominieren aber – zunächst – die eher stillen Augenblicke des Schmerzes und – später – die der Hoffnung in dieser auch filmisch hervorragenden Serie: jede Einstellung ein Genuss, fast jede Szene, viele Montagen besitzen einen besonderen Reiz.

Reset – Wie weit willst du gehen?Foto: ZDF / Tina Krohn
Die Mutter kann den Suizid verhindern. Das Problem aber sitzt tiefer, Luna hat schwere Depressionen. Was tun? Sie einer psychiatrischen Klinik überantworten oder weiter zurückreisen? Neben der Geschichte ist auch die Inszenierung faszinierend: Häufig möchte man Standbild rufen! Thomas Loibl, Hannah Schiller und vor allem Katja Riemann glänzen in der ZDF-Serie.

„Reset“ erzählt aus der Perspektive, aber auch ganz aus der Psyche einer Mutter heraus – und die Serie erzählt genau das, was sich betroffene Eltern in einer solchen Situation wünschen würden: die Tragödie rückgängig zu machen. Sich nicht von den Gefühlen auffressen lassen, sondern handeln. Ein realistisches Drama würde möglicherweise die Phasen der Trauer durchlaufen. „Reset“ zeigt den großen Schmerz und den Versuch einer Heilung mit fantastischen Mitteln. Die Serie setzt auf ein Sci-Fi-Motiv und erzählt so ein Familiendrama, das über die Rückschau und die Rückbesinnung hinaus (wie es die US-Serie „This is us“ vorbildlich gemacht hat) noch an Dichte und Vielschichtigkeit gewinnt. Das Zentrum der Erzählung ist Floriane Bohringer, eine öffentliche Frau und coole Mutter, um die andere Gleichaltrige Luna beneiden. Sie wusste vor dem Suizid alles besser, danach erst recht. Sie war die Aktive, und dank „Plan B“ bleibt sie es. Die Macherin, die alle in den Schatten stellt und jeden in ihrer Familie in die Passivität drängt, spielt ihre Rolle einfach weiter.

Möglicherweise wäre ja die Umkehr dieses Musters die Rettung. Die Autorinnen jedenfalls wählen eine lebenskluge Lösung, die in der letzten Folge noch so manch eine Träne kullern lässt (auch beim Zuschauer). Es gibt im Fernsehen selten Momente, in denen sich Trauer wahrhaftig empfinden lässt, ganz aus der Situation heraus, pur, ohne filmische Hilfsmittel. Trotzdem können solche „nackten Gefühle“ peinlich wirken. In „Reset“ ist das nicht der Fall. Zu ehrlich ist das Mitgefühl mit den Hauptfiguren, zu überragend „realistisch“ ist das Spiel von Hannah Schiller oder Thomas Loibl. Und was Katja Riemann und ihre feministische Journalistin angeht: Da haben sich zwei gefunden. Diese Frau, die alles richtig machen will, die liebt, die kämpft, die Power hat, die mitfühlt, ihren Schmerz nicht verdrängt, die hilft, die sich auch schon mal übergriffig verhält und in ihrer Spontaneität ungerecht sein kann, sich danach aber auch von Herzen zu entschuldigen vermag und die bei allem Wissen um den Zustand der Welt, bei allen Rückschlägen, die sie bei ihrem sozialen Engagement für obdachlose Berlinerinnen oder bei der Rettung ihrer Tochter erfährt, sich ihren Humor bewahrt hat, diese integre Frau, durch und durch Mensch, ist für Riemann die perfekte Rolle.

Reset – Wie weit willst du gehen?Foto: ZDF / Tina Krohn
„Reset – Wie weit willst du gehen?“. Mal wieder einen Tag als Familie zusammen verbringen. Die aktive Mutter drängt alle in der Familie in die passive Rolle – und sie lassen es mit sich machen. Luna: „Warum seid ihr eigentlich nicht mehr zusammen?“ Ist die Trennung der Eltern möglicherweise ein Grund für Lunas seelisches Leid(en)? „Ich meinte nur, dass ihr gut zusammenpasst.“

Soundtrack: Brandi Carlile („My Mother“), No Doubt („Just a Girl“), M83 & Felsmann + Tiley („Solitude“), Son Lux („Plans We Made“), Whitney Houston („I Wanna Dance With Somebody“), Agnes Obel („Fuel To Fire“), Labrinth („McKay & Cassie“), Lisa Hannigan („Pistachio“), Ashley Johnson & Christ Rondinella („Take On Me“), The Staves („Nothing’s Gonna Happen „)

„Aber du weißt eben nicht alles“, rutscht es ihrer Flo schon mal raus. So kommt auch etwas Ironie ins schwere Sujet. Die freche Schnauze der Heldin, ihre launigen Momente vor der Fernsehkamera, bei denen wunderbar beiläufig Themen wie Emanzipation oder Diversität augenzwinkernd angespielt werden. Ein paar „Zurück-in-die-Zukunft“-Gags gibt es auch, die daraus resultieren, dass 2014 eben doch noch vieles anders war als 2023 (der Grat der Digitalisierung oder der Arroganz der Männer) und dass die Heldin ihr zeitreisebedingtes Mehrwissen, an dem sich auch der Zuschauer erfreuen kann, einem Politiker vorhält. Dass dieser Senator ein Lügner ist, dieses Wissen hat sie exklusiv, deshalb wird dieser Spaß ihr den Job kosten. Solange der Sex mit ihrem jungen Regisseur Milan (Dejan Bucin) gut ist, juckt sie das wenig; möglicherweise auch deshalb, weil sie weiß, dass es ja „Plan B“ gibt. So lassen sich unschöne Lebenssituationen überschreiben. Doch auch dieses Selbstoptimierungs-Programm für mehr Glück hat Grenzen, die Flo und ihre Liebsten schmerzhaft zu spüren bekommen werden. Die Tragödie rückgängig machen. Die Tochter retten. Aber um welchen Preis? Die Heldin wird ihren Lebensweg während ihrer Zeitreise(n) infrage stellen, wird andere Abzweige nehmen, nicht die große Karriere machen. Das Mutter-und-Hausfrau-Modell kann auch nicht die Lösung sein. Das Fazit klingt eher so: „Wir haben nur dieses eine Leben. Wir können nicht zurück. Wir müssen die Dinge akzeptieren wie sie sind.“

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ZDF

Mit Katja Riemann, Hannah Schiller, Thomas Loibl, Paul Ahrens, Annika Kuhl, Ursula Renneke, Dejan Bucin, Sara Fazilat, Hildegard Schroedter; Alessandro Schuster, Oscar Ortega Sánchez, Christine Schorn, Ava Bieleke, Milo Frey, Sebastian Fräsdorf

Kamera: Jieun Yi

Szenenbild: Tim Tamke

Kostüm: Tanja Wagner.

Maske: Ragna Jornitz, Britta Karbach, Anja Drewermann

Schnitt: Daniel Scheuch, Julia Oehring

Musik: Lara Frank

Redaktion: Kristl Philippi

Produktionsfirma: Gaumont

Produktion: Andreas Bareiss, Sabine de Mardt

Drehbuch: Ingrid Kaltenegger, Mika Kallwass – nach der Vorlage von Jean-Francois Asselin und Jacques Drolet

Regie: Isa Prahl, Eoin Moore

Quote: (1+2): 2,94 Mio. Zuschauer (11,4% MA); (3+4): 1,7 Mio. (6,7% MA); (5+6): 1,65 Mio. (6,5% MA)

EA: 07.03.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 11.03.2024 20:15 Uhr | ZDF

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