Was ist nur aus dieser Miki (Laura Tonke) geworden? fragt sich Ben (Florian Stetter), der seine Jugendliebe ewig nicht gesehen und doch nie vergessen hat. Eine solche Frage hat sich Heini (Merlin Sandmeyer), Mikis aktuellem Lover, nie gestellt. Er kennt seine Miki so, wie sie heute ist und findet sie mehr als in Ordnung: großes Herz, ihre Freiheit liebend, dennoch eine gute Mutter, vielleicht ein Bisschen viel „Party“ für ihr Alter; aber kann denn Liebe Sünde sein?! Wie dem auch sei, diese Frau ist an einem Tiefpunkt angekommen. Ihr lockerer Lebenswandel hat sie in eine prekäre Lage gebracht. Ein ehrenwerter Geschäftsmann (Hanno Koffler) bezichtigt sie der Vergewaltigung. Sie habe ihn gegen seinen Willen mithilfe eines Strap-Ons penetriert. Es kommt zur Anklage und Ben, der die Anwaltskanzlei seines Vaters übernommen hat, vertritt die Frau, die er zwar nicht versteht, aber immer noch ungemein anziehend findet. Miki hat sich nach Jahren aus ihrem Familienkäfig befreit, sie will neu durchstarten, anders leben, unabhängig, freier, lustvoller. Noch stockt der große Aufbruch. Sie muss sich als Regisseurin trivialer Filmchen durchschlagen, eckt ständig bei ihren Mitmenschen an, und ihr Vater (Klaus Huhle), der sich mal wieder bei ihr eingenistet hat, macht ihr das Leben auch nicht leichter. Und jetzt noch die Sache mit der Vergewaltigung. Die könnte ihr sogar das Sorgerecht kosten.
„Sexuell verfügbar“ erzählt von einer Frau, Anfang 40, die nach einer konventionellen, bürgerlichen Lebensphase die 1000 Imperative, die ihr als weibliches Wesen von der Gesellschaft mitgegeben wurden, versucht hinter sich zu lassen und sich „männlicher“ zu geben. Sie nimmt sich einen Lover, der ihr als Hausmann, Koch, Papi für ihre Kids (Cleo Albertine und Maxime Paustein) und als Sex-Spielzeug ohne Widerworte zu Diensten ist. Bei Männern spricht man häufig von „schwanzgesteuert“. Das trifft ein Stück weit auch auf Miki zu, nachdem sie beschlossen hat, das fordernd-draufgängerische Wesen, das die Gesellschaft bei Männern feiert, für sich zu übernehmen, symbolisiert durch einen „Pimmel zum Umschnallen“, der von nun an immer dabei ist, mal offen, leger über der Hose getragen, mal in der Tasche, woraus man ihr im Vergewaltigungsprozess einen Strick drehen möchte (das Mitführen der Tatwaffe ließe auf Vorsatz schließen). Diese Miki ist offenbar zu gutgläubig und zu unbedarft für diese Welt, in der Männer wie jener August von Modersohn das Sagen haben. Dass sie es mit ihrem polyamourösen Lebensstil möglicherweise in den letzten zwei Jahren übertrieben hat – dieser Gedanke mag ihr auch durch den Kopf gehen. Vor dem Prozess jedenfalls stellt sie ihr bisheriges Leben auf den Prüfstand, ihre Ehe, das sogenannte „Angekommen-Sein“. Sie erinnert sich an die Sprüche ihrer Mutter („Warum lächelst du nicht“ / „Iss‘ nicht so viel“) oder an die Wünsche ihres Mannes („Ich will noch ein Kind“). Und was ist jetzt? Ihr Leben, ihre Wohnung – ein einziges Chaos. Und Ben? „Zieh dir was Anständiges an vor Gericht“, redet er ihr ins Gewissen, um sie später zu loben, weil sie sich der Richterin gegenüber so demütig, brav und unterwürfig gegeben hat.
Soundtrack: Frank Zappa („Bobby Brown“), Angèle & Roméo Elvis („Tout oublier“), Meghan Trainor („Dear Future Husband“), Stromae („Tous Les Memes“), Bob Dylan („Just Lika a Woman“), Lil Nas X & Jack Harlow („Industrie Baby“), Son Lux („Easy“), Malakoff Kowalski („Andere Leute“), Billie Eilish & Khalid („lovely“), Anuuk („Shu Bruder“), Genesis („Jesus He Knows Me“), Nneka („Heartbeat“), KCIDY („Les gens heureux dansent“)
Der aktuelle Stand der Dinge: Diese Frau ist überfordert, sie ist verwirrt und unentschlossen. Bei der Aussicht auf Gefängnis, kein Wunder. Und was wird dann aus den Kindern? Immer wieder bekommt sie Ratschläge von anderen, von Bens Schwester (Svenja Jung), die glaubt, dass Miki ihrem Bruder gar nicht guttut, oder auch von „höherer“ Stelle. So reden ihr beispielsweise Travestie-Ikone Lilo Wanders, die Rapperin Lady Bitch Ray oder Podcaster-Comedian Ines Anioli ins frauenbewegte Gewissen. Mit blauäugigen Wünschen wie „Ich will einfach ich selbst sein“ kommt Miki nicht weiter. Und was ist mit der Liebe? Das Thema sei durch für sie. „Es gibt nur Abhängigkeiten, Kinder, Angst und Geld“, glaubt sie – und sieht sich gefangen in der Dialektik zweier Lebensentwürfe, die wohl beide nicht absolut glücklich machen, aber für angenehme Momente sorgen könnten. Da bei „Sexuell verfügbar“ ohnehin niemand mit einem klassischen RomCom-Happyend rechnet, seien diese beiden Varianten an dieser Stelle bereits gespoilert: auf der einen Seite die romantische Liebe auf Zeit, die Erfüllung, angereichert mit bürgerlichen Bequemlichkeiten, und auf der anderen Seite der bewusste Verzicht auf die große Liebe, wodurch allerdings die Freiheit, Sehnsucht und Hoffnung erhalten blieben. Miki muss sich entscheiden.
So schwankend und launenhaft die Hauptfigur, so sprunghaft erzählen Caroline Rosales, Bestseller-Vorlagengeberin und kreativer Kopf der Serie, Ko-Autor Timon Karl Kaleyta und Regisseurin Ulrike Kofler diese Geschichte einer Frau, die anders als andere nach dem Glück sucht, die nicht mit dem großen Wort von der „Selbstermächtigung“ daherkommt, sondern die einfach IHR Leben leben will. Immer wieder geht es zurück in Mikis Biografie: Im Vollbild-Format meldet sich die Kindheit („Miki, zieh den Bauch ein“), im Kino-Format werden Momente aus der „Muttertier“-Phase präsentiert, beispielsweise eine köstliche Szene, in der Eva Löbau als Mikis schlechtes Gewissen sie auf dem Spielplatz böse mit ihrem Nur-Mami-Dasein konfrontiert. Und wir sehen die 41-Jährige heute, wie sie sich in ihrem Job mit einem Dummschwätzer-Chef (urkomisch: Oliver Polak), schwanzfixierten Rappern oder zwei Pornoproduzenten (Aaron Alta-ras & Leo Altaras) herumschlagen muss, die von „starken Frauen mit Titten“ und „unabhängigen Schlampen“ schwafeln. „Sexuell verfügbar“ bietet eine atemberaubende, aber nie atemlose Revue weiblicher Erfahrungen, immer wieder und gleich zu Beginn als Diskurs-Collage weiblicher Rollenbilder, aufregend angereichert mit historischem Doku-Material im Vintage-Look. Dass die gesamte Serie bei allem Chaos der Geschichte einen sehr stimmigen Erzählrhythmus besitzt, dürfte wohl auch damit zu tun haben, dass Regisseurin Kofler seit 20 Jahren eine sehr renommierte Cutterin ist.
Diese Serie bleibt in ihren Bildern und ihren Narrativen unberechenbar. Die Macherinnen unterlaufen dabei Sehgewohnheiten, zeigen Genre-Mustern den Stinkefinger und sind so direkt, offen, die Frauenfrage und das Sex-Ding sprichwörtlich am Schwanz packend, wie man es in der TV-Fiktion hierzulande so noch nicht gesehen hat. Laura Tonke ist zum Niederknien. Ihr Gespür für (komisches) Timing, ihre wunderbaren Gesichtsausdrücke und diese Selbstverständlichkeit, mit der sie Schambesetztes spielt, machen sie nicht nur für die von ihr schwärmende Caroline Rosales zur Idealbesetzung. Und der Österreicher Merlin Sandmeyer („schoarf“) als tiefenentspannter Toyboy, der erst ein geschlechtsspezifisches Rollenklischee bricht, bevor seine Figur einer Revision unterzogen wird, ist zum Wegwerfen komisch. So wie der Playboy alter Schule die Blondine, so scheint auch Miki ihr Pupperl Heini unterschätzt zu haben. (Text-Stand 12.2.2024)