Die Affäre Cum-Ex

Wagner, Strunk, von Dohnányi, Schomburg, Loose, Munk. Wie Finanzkapitalisten die Staatskassen plünderten

22.03.2025 10:00 ZDF-Mediathek alle 8 Folgen Mediathek-Premiere
13.04.2025 22:15 ZDF Folgen 1-4 TV-Premiere
14.04.2025 22:15 ZDF Folgen 5-8 TV-Premiere
Foto: ZDF / Jens Koch / Serviceplan
Foto Thomas Gehringer

Was war noch mal „Cum-Ex“? Ein schier unglaublicher Raubzug von Investoren, Banken und Anwälten, bei dem die europäischen Steuerzahler:innen um eine dreistellige Milliarden-Summe betrogen wurden. Die bis in die Nebenrollen erstklassig und umfangreich besetzte deutsch-dänische Serie „Die Affäre Cum-Ex“ (ZDF, DR – X Filme, True Content Entertainment) rollt den Finanzskandal in einem unterhaltsamen Genre-Mix auf: als wirtschaftspolitischer Verschwörungsthriller, als tragikomisches Drama und schließlich als wahres Helden-Epos. Man versteht nicht jedes juristische Detail – macht aber nichts. Die Serie von Jan Schomburg (Drehbuch), Dustin Loose und Kaspar Munk (Regie) überzeugt durch Haltung, ausreichend Spannung, exzellentes Schauspiel, ausdrucksstarke Bilder und Sinn für Ironie. Außerdem feiert sie den Wert einer unabhängigen Justiz und einer freien Presse. Aktueller und relevanter geht es kaum.

Die öffentlich-rechtliche Koproduktion „Die Affäre Cum-Ex“ will den unterschätzten Skandal stärker ins Bewusstsein rücken. Die Hürden für die fiktionale Serie sind allerdings hoch, denn es geht um ein schwer verständliches Finanzkonstrukt und eine enorme, aber ziemlich abstrakte Schadenssumme. In der pointierten Einführung ist von 146, später von 150 Milliarden Euro die Rede. Showrunner Jan Schomburg und das Drehbuchteam sowie die Regisseure Dustin Loose und Kaspar Munk bemühen sich immer wieder, die Details und die Dimension der Affäre begreiflich zu machen. Man kann nicht alles nachvollziehen, aber wenn sich Anwälte die Paragrafen in schwindelerregenden Dialogen um die Ohren hauen, kann das dennoch sehr unterhaltsam sein. Langatmige Vorträge gibt es jedenfalls nicht, bildhafte Gleichnisse um so mehr. Das Element Wasser zum Beispiel taucht als vielgestaltige Metapher für Geld- und Überfluss auf, von einer privaten Auto-Waschanlage bis zu Eiswürfeln, in die Porträts geschnitzt werden. Hin und wieder liefern schriftliche Einblendungen in Großbuchstaben ironische Kommentare. So heißt es auch vor jeder Folge: „Diese Serie ist fiktional, aber inspiriert von wahren Ereignissen. Leider.“ Der einzige Klarname, der genannt wird, lautet: Olaf Scholz. Der Vorwurf, dass sich der Sozialdemokrat in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister dafür eingesetzt habe, dass der in Cum-Ex-Geschäfte verwickelten Warburg-Bank (in der Serie: Karges-Bank) die Rückerstattung der Steuerschuld erlassen wurde, konnte letztlich in mehreren Untersuchungsausschüssen nicht erhärtet werden. Die fiktionale Darstellung inklusive der Auszüge aus den Tagebüchern von Bankchef Olearius (in der Serie: Albert/Cornelius Obonya) entspricht jedoch den Tatsachen.

Die Affäre Cum-ExFoto: ZDF / Petro Domenigg
Hausner (von Dohnányi) & Sven Lebert (Strunk) verstehen es zunehmend besser, ihre Cum-Ex-Geschäfte an den Mann zu bringen.

Auch sonst hält sich Schomburg nahe an den realen Ereignissen, beginnend im Mai 2005 mit der Idee des Steuerfachanwalts Bernd Hausner, dass sich Investoren die Kapitalertragssteuer vom Staat zwei Mal erstatten lassen können, obwohl sie eigentlich im Zuge von Aktiengeschäften nur ein Mal abgeführt wurde. „Ist das legal?“, fragt der Kanzlei-Chef. „Absolut, zu hundert Prozent“, antwortet Hausner selbstgewiss. „Eigentlich… nicht“, entgegnen die Autoren mittels schriftlicher Einblendung. Die Figur des Bernd Hausner ist erkennbar angelehnt an den mittlerweile mehrfach verurteilten Juristen Hanno Berger und wird von Justus von Dohnányi mit großer Spielfreude als zynischer Kotzbrocken gegeben. Zitat Hausner: „Wenn hier irgendjemand im Raum ein Problem damit hat, dass wegen uns weniger Kindergärten gebaut werden, der kann ja den Raum verlassen.“ Gemeinsam mit Sven Lebert (Nils Strunk), seinem jüngeren Kollegen in einer Frankfurter Kanzlei, versucht Hausner nun, am Finanzplatz London Investoren zu finden. Das spannungsreiche Vater-Ziehsohn-Verhältnis zwischen Hausner, dem erfahrenen Anwalt mit Legendenstatus, und dem intelligenten Aufsteiger Lebert, der aus einfachen Verhältnissen stammt, ist einer der roten Fäden der Serie. Während von Dohnányi stets Vollgas gibt, ist Lebert dank des zurückhaltenden Spiels von Strunk weniger durchschaubar. In der Realität dürfte sich hinter der Figur Sven Lebert der ehemalige Partner von Hanno Berger verbergen: Kai-Uwe Steck sagte später als Kronzeuge in mehreren Cum-Ex-Prozessen aus und steht nun seit November 2024 selbst in Bonn vor Gericht.

Die Affäre Cum-ExFoto: ZDF / Frédéric Batier
Inhaltlich ist die der parallele Dänemark-Strang eine gute Ergänzung, dramaturgisch wirkt die Zweiteilung etwas unrund. Niels Jensen (David Dencik) stellt seiner Chefin Inger Brøgger (Karen-Lise Mynster) seine neue Freundin Olga (Dia Jovanovic) vor.

Es mangelt ja nicht an Wirtschaftsskandalen, und auch deren fiktionale Aufarbeitung hat in Deutschland mittlerweile eine gewisse Tradition. Das ZDF war schon an der preisgekrönten Drama-Serie „Bad Banks“ beteiligt, die vor dem Hintergrund der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 im Milieu der Investmentbanker spielte. Dem WDR ist die Komödie über den kölschen Bau-Klüngel in „Der König von Köln“ zu verdanken. Und zuletzt glänzten Matthias Brandt und Thomas Schubert in der temporeichen Netflix-Satire „King of Stonks“ über den Fall Wirecard. „Die Affäre Cum-Ex“ bietet im Vergleich zu diesen Produktionen einen Genre-Mix aus Verschwörungsthriller und tragikomischem Drama, bei dem verschiedene Perspektiven gleichwertig zu Geltung kommen. Und in der zweiten Hälfte wird, ähnlich wie im „König von Köln“, eine aufrechte Staatsanwältin zur Heldin. Der Feldzug von Lena Birkwald (Lisa Wagner) gegen die Milliarden-Betrüger in Maßanzügen macht mindestens soviel Spaß wie die Winkelzüge von Hausner, Lebert und Co. zuvor. Reihenweise weichen Selbstgefälligkeit und Siegesgewissheit aus den Gesichtern, wenn Lisa Wagner die Herren mit ausgesuchter Coolness abblitzen lässt. Die Serie würdigt mit dieser Figur die ehemalige Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die bei den Cum-Ex-Ermittlungen federführend war. Sie kommt auch in dem begleitenden, sehenswerten Dokumentarfilm „Systemfehler: Der Cum-Ex-Skandal“ (ZDF-Mediathek ab 22.03.2025; ZDF, 15.04.2025, 0:45 Uhr; 3sat, 16.04.2025, 20:15 Uhr) von Judith Lenze ausführlich zu Wort.

Die Affäre Cum-ExFoto: ZDF / Petro Domenigg
Die Entzauberung der Milliarden-Betrüger durch Lena Birkwald (Lisa Wagner) und Nicole Frahmers (Stefanie Reinsperger) macht mindestens soviel Spaß wie in den Folgen zuvor die Winkelzüge von Hausner, Lebert & Co. Hier stellen sie eine Bank auf den Kopf.

Dass es einen zweiten, in Dänemark spielenden Handlungsstrang gibt, ist der Koproduktion mit dem öffentlich-rechtlichen Sender DR geschuldet. Über den „New8“-Verbund sind außerdem noch sechs weitere europäische Anstalten beteiligt. Die deutsche und die dänische Geschichte laufen lange Zeit einfach parallel nebeneinander her, lose verbunden nur durch den illustren Syed Akram (Waj Ali), der in London den von Lebert geschickt ausgeworfenen Köder schluckt und fortan selbst gute Geschäfte mit Cum-Ex in Dänemark macht. Sehr elegant konstruiert wirkt das Nebeneinander der Handlungsstränge zwar nicht; allerdings ergänzen sie sich insofern, da in Deutschland das Vorgehen der Anwälte, Banken und Investoren sowie ab Folge vier deren Strafverfolgung erzählt werden, während in Dänemark die Arbeit der Steuerbehörde im Mittelpunkt steht. Hier kämpfen Inga Brøgger (Karen-Lise Mynster) kurz vor ihrer Pensionierung und der jüngere Kollege Niels Jensen (David Dencik) lange Zeit auf verlorenem Posten. Denn die Digitalisierung führt keineswegs zu einer schnelleren Bearbeitung von Erstattungsanträgen, sondern dazu, dass die Papier-Unterlagen aus dem Archiv einfach vernichtet werden. Und auch das Personal der Behörde wird im Zuge der politisch gewollten Entbürokratisierung radikal abgebaut – was einem mit Blick in die USA gerade ziemlich bekannt vorkommt. Die Autoren verbinden außerdem den Kampf gegen die Steuersünder in Dänemark mit einer persönlichen, emotionalen Geschichte: Der blasse Steuerbeamte Jensen verliebt sich in die aus Serbien stammende Olga Garovic (Dia Jovanovic) – eine überraschende Lovestory, die Vorurteile unterläuft. Das dänische Liebes- und Politdrama bleibt zudem spannend, weil sich Niels von seinem Freund Mikkel Sandvig (Bjarne Henriksen) dazu verleiten lässt, sich selbst am Raubzug mit einem fingierten Cum-Ex-Geschäft zu beteiligen.

Die Affäre Cum-ExFoto: ZDF / Petro Domenigg
Hoppla, uns gehört die Welt, und wer zieht wen über den Tisch? Bernd Hausner (Justus von Dohnányi) versucht mit Goldbarren sein Verhalten bei Sven Lebert (Nils Strunk) wieder gut zu machen in Episode 5 der deutsch-dänischen Serie „Die Affäre Cum-Ex“.

Die Serie ist auf beiden Seiten auch in den Nebenrollen prominent besetzt: Martin Wuttke spielt einen (natürlich zwielichtigen) Investor, Robert Hunger-Bühler einen Schweizer Rechtsanwalt, der den Cum-Ex-Verschwörern aus der Patsche helfen soll, und Stefanie Reinsperger eine Assistentin in der Kölner Staatsanwaltschaft, die zur Whistleblowerin wird. Schon in der ersten Folge bringt Thorsten Merten als Sven Leberts verhasster Prügel-Vater die Sache auf den Punkt: „Der Staat zahlt dir also doppelt so viel, wie dir eigentlich zusteht. Also in meiner Welt ist das simpler Betrug.“ Theater-Star und „Polizeiruf“-Kommissarin Lina Beckmann hat als Hamburger Steuerbeamtin zwei bemerkenswerte Kurz-Auftritte, während Fabian Hinrichs als Investigativjournalist Christoph Fromm – neben seinem dänischen Kollegen Jesper Liholt (Thomas Hwan) – eine Schlüsselrolle zukommt. Denn es waren die Recherchen eines Medien-Verbunds von 19 beteiligten Redaktionen, die die Affäre mit einer gleichzeitig erfolgten Veröffentlichung in zwölf Ländern wuchtig ins öffentliche Bewusstsein gerückt hatten. Sie bilden auch die Grundlage für die Serie, namentlich genannt wird unter anderem Fromms Alter Ego, der „Stern“-Autor Oliver Schröm. Die Serie erzählt letztlich die klassische Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse: Unbestechliche Staatsanwältinnen und Steuerbeamte gegen ein von Lobbyisten gestütztes kriminelles Netzwerk, das sich mit Hilfe gekaufter Gutachten und selbst formulierter Gesetze Milliarden ergaunerte. Das Ausmaß begreiflich zu machen, gelingt insbesondere in dieser Szene: Gegen Ende der fünften Folge sitzt Staatsanwältin Birkwald bei der EU-Justizbehörde Eurojust in Brüssel am Kopf eines gewaltigen, voll besetzten Tisches und liest ihren zahlreichen Kolleginnen und Kollegen aus Europa eine lange Liste vor. Während sich die Kamera langsam um den ovalen Tisch bewegt, trägt Lisa Wagner ungeschnitten vier Minuten lang die Namen aller Banken vor, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen zu Cum-Ex-Geschäften aufgetaucht sind, von der ABN Amro Bank aus den Niederlanden bis zur deutschen WestLB.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Justus von Dohnányi, Nils Strunk, Lisa Wagner, Karen-Lise Mynster, David Dencik, Dia Jovanovic, Waj Ali, Fabian Hinrichs, Thomas Hwan, Stefanie Reinsperger, Jörg Witte, Timo Dierkes, Cornelius Obonya, Philippe Graber, Bjarne Henriksen, Lars Brygmann, Helle Fagralid, Robert Hunger-Bühler, Thorsten Merten, Beatrice Bergner, Franz Weichenberger, Leon Ullrich, Kea Krassau, Peder Thomas Pedersen, Martin Wuttke, Lina Beckmann

Kamera: Clemens Baumeister, Laust Trier Mørk

Szenenbild: Silke Fischer

Kostüm: Esther Walz

Schnitt: Anna Nekarda, Jacob Thuesen, Claus Wehlisch

Musik: Markus Kienzl

Redaktion: Katharina Kremling, Simone Emmelius, Morten Egholm, Henriette Marienlund

Produktionsfirma: X Filme Creative Pool, True Content Entertainment, epo-Film

Produktion: Jan Schomburg, Michael Polle, Mariella Santibáñez, Ole Søndberg, Rikke Lassen, Louise Kruse

Drehbuch: Jan Schomburg, Astrid Øye, Pål Sletaune – inspiriert von den Recherchen von Oliver Schröm, Christian Salewski, Niels Fastrup, Thomas G. Svaneborg

Regie: Dustin Loose, Kaspar Munk

EA: 22.03.2025 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 13.04.+14.04.2025 22:15 Uhr | ZDF | jeweils vier Folgen

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