Im wahren Leben wäre der Vorfall bloß eine Notiz im Lokalteil wert: Amerikanische Touristin stirbt nach dem Besuch des angesagten Berliner Techno-Clubs „Reaktor“ im Krankenhaus. Todesursache war offenbar eine Ecstasy-Pille. Ermittelt wird jedoch nicht: Die Clubszene ist ein erheblicher Image-Faktor für die Stadt; die Polizei soll sich lieber um die Klein-Dealer in den Parks kümmern. Das Club-Management hat ebenfalls kein Interesse an negativen Schlagzeilen. Und so wäre das Ereignis zumindest aus Sicht der Behörden rasch wieder vergessen, hätte nicht eine Reporterin in der Klinik zufällig mitbekommen, wie ein junger Amerikaner um seine Frau trauert: Josh und Zofia haben vor einigen Monaten geheiratet. Im Verlauf ihrer Flitterwochen sind sie um die halbe Welt gereist, die deutsche Hauptstadt sollte der Höhepunkt sein, anschließend würde der berufliche Ernst des Lebens beginnen; das nächste Level.
Berlin, heißt es im Epilog, ist keine Stadt der Liebe, und deshalb kann „The Next Level“ auch keine Liebesgeschichte sein. Ein Krimi ist die Serie allerdings auch nicht, ebenso wenig ein Thriller. Trotzdem spielen diese Elemente eine Rolle, und das ist die große Kunst von Alexander Osang. Im „Spiegel“ gehört er zu den wenigen, deren Namen nicht unter, sondern über den Artikeln stehen. Früher hieß das „Edelfeder“: Thema egal, Hauptsache Osang. Seine erste Arbeit als Drehbuchautor seit der Adaption seines Romans „Die Nachrichten“ (2005) ist eine Mischung aus doppeltem Beziehungsdrama, Eltern/Töchter-Momenten und ganz viel Berlin. Rückblenden rekonstruieren den Ablauf des Abends im „Reaktor“; das ist der Krimi-Part. Für die Polit-Thriller-Ebene sorgt ein viele Millionen schwerer Immobilien-Deal, der durch die Recherche der Reporterin gefährdet wird. Dass „The Next Level“ 270 Minuten lang ununterbrochen fesselt, hat jedoch andere Gründe.
Jede gute Geschichte lebt vor allem von ihren Figuren. Für Serien dieser Art stimmt das erst recht; und Osang, der die biografischen Hintergründe der handelnden Personen angenehm beiläufig einstreut, hat gleich eine ganze Handvoll interessanter und ausnahmslos bestens besetzter Charaktere zu bieten. Lisa Vicari erweist sich wie schon als junge Polizistin in „Am Ende der Worte“ (2022) als ausgezeichnete Wahl für die zentrale Rolle. Die letzte große Story von Rosa Bernhard, Reporterin bei der „Berliner Allgemeinen“, hat zum Rücktritt eines Staatssekretärs geführt. Auch ohne Kenntnis von Osangs Anfängen bei der „Berliner Zeitung“ ist klar, um welches Traditionsblatt es sich handelt; Rosas väterlicher Chef (Thorsten Merten) ist geradezu eine Inkarnation klassischer journalistischer Werte. Die Reporterin hat ihr nächstes Level längst erreicht, zahlt dafür jedoch einen hohen Preis: zu viel Arbeit, zu viel Alkohol, zu wenig Zeit für ihren Freund. Mark (Jerry Hoffmann) arbeitet für die Wirtschaftssenatorin (Birge Schade) und ist verantwortlich für eins der größten aktuellen Bauprojekte: Gegenüber vom „Reaktor“ soll an der Spree ein Innovationszentrum entstehen.
Eigentümer des Grundstücks wie auch des Clubs ist ein Unternehmer, dessen Rolle mit „schillernd“ nur unzureichend beschrieben ist. Außerdem wird er von Jens Harzer verkörpert. Der Bühnenstar ist bei der Auswahl seiner Kino- und Fernsehrollen derart wählerisch, dass schon allein seine Mitwirkung eine Besonderheit darstellt: Bodo Brenner, einst altlinker Bürgerrechtler, war in den Nachwendejahren maßgeblich am Ostberliner Ausverkauf beteiligt, ist vor dreißig Jahren nach New York gezogen und dort reich geworden. Dass ihn und Rosa eine spezielle Beziehung verbindet, verleiht der Geschichte einen weiteren Reiz. Seine Tochter (Paula Kober) arbeitet ohne sein Wissen als „Nightmanager“ im „Reaktor“ und macht sich wegen des Todes von Zofia bittere Vorwürfe. Wie Osang all’ diese Erzählebenen zu einer schlüssigen Handlung verwoben hat, ist derart faszinierend, dass viele Menschen bestimmt gern den zugrunde liegenden Roman lesen würden (den es jedoch nicht gibt).
Regie führten Pia Strietmann und Julia Langhof. Strietmann hat zuletzt für die ARD „Herrhausen“ (2024) gedreht. Die ARD-Miniserie bot eine ähnlich reizvolle Mischung aus Wirtschaftsdrama, Zeitgeschichte und Polit-Thriller. Die Beschreibung gilt im Grunde auch für „The Next Level“, zumal gerade in Gestalt des Tycoons viel Historie mitschwingt. Im Unterschied zu vielen anderen Berlin-Serien hatte Osang (bei den Folgen drei und vier von Thomas Gerhold und den Folgen fünf und sechs von Ipek Zübert unterstützt) jedoch eher Abrechnung als Hommage im Sinn, weil Rosa die vermeintliche „Stadt der Möglichkeiten“ als große Illusion entlarvt. Dafür steht nicht zuletzt der als „Insel der Freiheit“ gepriesene Club, der dank Stroboskoplicht und im Stakkatotempo geschnittenen Sequenzen wie einer der Höllenkreise aus Dantes „Inferno“ anmutet. Die Clubmusik ist von Sam Shure, die Filmmusik stammt von Martina Eisenreich und Michael Kadelbach, deren gemeinsame Kompositionen stets preiswürdig sind.
Sehenswert ist auch die dank häufiger Perspektivwechsel sehr aufwändige optische Umsetzung (Kamera: Jakub Bejnarowicz, Simon Dat Vu). Die Außenaufnahmen haben oft keinerlei Tiefenschärfe und sind an den Rändern leicht ausgefranst, was Berlin wie einen vergessenen Ort wirken lässt. Um sich ein vollständiges Bild zu machen, begleitet Rosa am Ende Zofias Vater (Krzysztof Pieczyński) in die USA. Größer könnte der Kontrast kaum sein: New York erscheint als glitzernde Metropole, was die deutsche Hauptstadt noch heruntergekommener wirken lässt. Spätestens jetzt zeigt sich die ganze Komplexität der Handlung, als die Reporterin herausfindet, dass die Gegensätze zwischen Zofia und Josh ähnlich groß sind. Sie selbst wird ohnehin mehr und mehr Teil dieser Geschichte über Vertrauen und Verrat. Bei allem Verständnis für die ARD-Strategie, mit solchen Produktionen ein junges Publikum in die Mediathek zu locken: Dass das „Erste“ die Serie – vermutlich wegen der vielen untertitelten englischen Dialoge – erst in der Nacht ausstrahlt, ist sehr bedauerlich.