Viele dürften die „Dalli Dalli“-Bilder aus der Kindheit noch im Kopf haben: die Wabenwand, der kleine, freundliche, immer etwas eilig wirkende Quiz-Moderator Hans Rosenthal (1925-1987) mit seinem „Das war spitze“-Sprung, die dreiköpfige Jury im Hintergrund und die stets aufmerksame Assistentin Monika Sundermann an der „Rateuhr“. Und wer sich aus Altersgründen nicht selbst daran erinnern kann, dem wird mit einigen Szenen aus dem Archiv zu Beginn des Fernsehfilms „Rosenthal“ nachgeholfen. „Dalli Dalli“ war in den 1970er Jahren an jedem Donnerstag ein Straßenfeger mit bis zu 20 Millionen Zuschauern. Allerdings konkurrierten zu dieser Zeit auch nur drei öffentlich-rechtliche TV-Programme um die Publikumsgunst. Wenn Hauptdarsteller Florian Lukas nahtlos im fiktionalen Szenario übernimmt, versetzt das sorgfältig nachgebildete TV-Studio zurück in diese verblichene Ära des deutschen Unterhaltungsfernsehens.
Foto: ZDF / Ella Knorz
In der nächsten Szene gewinnt die historische Darstellung schmerzhaft satirische Züge auf die noch ganz schön piefigen 1970er Jahre. Eine Journalistin und ein Fotograf der Fernsehzeitschrift Hörzu sind zu Gast im Hause Rosenthal und interviewen Traudl (Silke Bodenbender) während des Zubereitens des vom Gatten geschätzten Kartoffel-Gurken-Salats. Spitzen zum Geschlechterverhältnis gehören jedenfalls zu dem Zeitbild dazu, das in diesem Film entworfen wird. Katharina Marie Schubert zum Beispiel hat zwei hinreißende Kurz-Auftritte als eindrucksvoll frisierte ZDF-Sekretärin Helga, die sich ihrem Chef Horst Hummel (Hans-Jochen Wagner) auf eigene Art zu widersetzen weiß. Dass es nach 1968 einen emanzipatorischen Aufbruch gibt, dafür steht allerdings eher die leider etwas humorlos gezeichnete Figur der Rebecca Grodzinski (Maya Sara Unger). Sie tritt auch als kritische Stimme einer jungen jüdischen Generation auf, die von einem Prominenten wie Hans Rosenthal fordert, nicht länger zu den deutschen Verbrechen zu schweigen. Rebeccas Oma (Inge Maux), die die Shoah im KZ überlebte, himmelt den Showmaster dagegen vorbehaltlos an.
„Rosenthal“ ist jedenfalls mehr als ein gefälliges Biopic, mit dem sich das ZDF vorbehaltlos selbst feiert. Im Gegenteil: Wagner spielt den selbstgefälligen Unterhaltungschef Hummel als ziemlich gnadenlose Karikatur eines duckmäuserischen und anbiedernden TV-Managers. Auch beruht die dramaturgische Konstruktion des Films auf einer ZDF-Entscheidung aus dem Jahr 1978, die dem Sender alles andere als zum Ruhm gereicht. Erstmals konnte der Zentralrat der Juden die Bundesregierung dazu bewegen, am Jahrestag der Pogrome vom 9. November 1938 ein offizielles Gedenken abzuhalten. Auch Hans Rosenthal ist zu der Gedenkfeier in der Kölner Synagoge eingeladen, soll aber am selben Tag die 75. Jubiläumsausgabe von „Dalli Dalli“ in München moderieren. Sein Wunsch, die Sendung wegen „gewisser historischer Ereignisse“ zu verschieben, trifft beim ZDF auf wenig Gegenliebe. „Die Menschen wollen Spaß haben, wollen nach vorne schauen, nicht immer zurück“, sagt Hummel in bester deutscher Verdrängungstradition. Der Unterhaltungschef und weitere Filmfiguren wie der Programmplaner Gerling (Bernd Grawert) und der junge Redakteur Werner Dorfner (Niklas Hummel) verweisen allerdings nicht auf reale ZDF-Personen, insofern vermeidet die kritische Aufarbeitung persönliche Anklagen. In der ergänzenden Dokumentation „Hans Rosenthal – zwei Leben in Deutschland“ (ZDF-Mediathek ab 22. März sowie im TV: ZDF, 7. April, 21.45 Uhr) wird immerhin aus einem Brief zitiert, in dem der damalige Programmdirektor (und spätere Intendant) Hans-Dieter Stolte begründete, warum der Sender die „Dalli Dalli“-Sendung nicht verschieben wollte.
Foto: ZDF / Ella Knorz
Das klug konstruierte „Rosenthal“-Drehbuch steuert am Ende auf die Sendung am 9. November 1978 zu und erfasst gleichzeitig in dem überschaubaren zeitlichen Rahmen eines Jahres wesentliche Grundzüge und innere Konflikte der Hauptfigur. Hinzu kommen einige Rückblenden, die wichtige Lebensstationen im Nationalsozialismus schildern. Man sieht den jungen Rosenthal (Claude Albert Heinrich) bei der Musterung und im Waisenhaus mit seinem kleinen Bruder Gert (Rinit Selmani), der 1942 deportiert und mutmaßlich bei Riga ermordet wurde. Hans muss sich in Berlin verstecken und findet in einer Gartenlaube von Ida Jauch (Rike Eckermann) Zuflucht, einer Bekannten seiner damals bereits verstorbenen Mutter. Die Rückblenden sind keine isolierten biografischen Informationen, sondern ergänzen sinnvoll die Handlung in den Jahren 1977/78.
Florian Lukas bewältigt souverän die vielschichtige Titelrolle, in der er vor allem darin gefordert ist, die unausgesprochenen inneren Kämpfe seiner Figur zum Ausdruck zu bringen. Haffner und Krää zeichnen Hans Rosenthal insgesamt wohlwollend als perfektionistischen, bisweilen etwas ungeduldigen Fernsehprofi, als in der Öffentlichkeit stets höflichen Prominenten, als warmherzigen Familienmenschen, als kreativen, jederzeit für Spiele zu begeisternden Kopf – und als engagiertes Mitglied der jüdischen Gemeinde in Berlin. Rosenthal, der am 2. April 100 Jahre alt geworden wäre, ringt mit seinem Pflichtbewusstsein gegenüber dem ZDF und dem Unbehagen, am 9. November „Dalli Dalli“ zu moderieren, als sei dies ein ganz normales Datum. In diesem Zwiespalt stellt sich für ihn verstärkt die Frage, ob es noch richtig ist, über die eigene Lebensgeschichte zu schweigen. Insofern macht es auch Sinn, dass sich der Film einige Zeit für das Privatleben nimmt. Streckenweise wirkt die Inszenierung zwar wie die brave Homestory einer Bilderbuch-Familie, doch auch bei den Rosenthals können unbefangene Fragen betretenes Schweigen auslösen: „Wie sind Sie denn eigentlich durch die Nazizeit gekommen?“, will die neue Freundin (Josefine Keller) von Rosenthals Sohn Gert (Julius Gause) wissen. Bezeichnend, dass Hans Rosenthal, statt zu antworten, alle zu trauter Harmonie und einem gemeinsamen Spiel im „Dalli klick“-Stil vor die Dia-Leinwand bittet.
Foto: ZDF / Ella Knorz
Sein Leben lang hat der Rundfunkprofi in Hörfunk und Fernsehen mit zahlreichen Spiel-Ideen die deutsche Nachkriegs-Gesellschaft unterhalten – als Überlebender der Shoah unter den noch zahlreich lebenden Tätern und Mitläufern. „Rosenthal – klingt das nicht irgendwie jüdisch?“, fragt die Touristin am Strand der Nordsee-Insel Föhr, nachdem sie gerade begeistert den dort mit seiner Familie urlaubenden Fernseh-Prominenten entdeckt und begrüßt hatte. „Ist er ja auch – aber: Er ist einer von den Guten, ist ein guter Jid, der Rosenthal“, antwortet ihr Mann. Die bittere Botschaft lautet wohl: Mehr als dass die Antisemiten ihm nicht mehr übel nehmen, überlebt zu haben, hat der beliebte jüdische Showmaster nicht erreicht. Es ist Hans‘ große Liebe Traudl, die anfangs als biedere Hausfrau vorgestellt wurde und nun zu ihrem Mann die klügsten Sätze des Films sagt: „Du hast überlebt, das ist dein Glück, nicht deine Schuld.“ Und: „Du musst dich nicht mehr verstecken.“
Oliver Haffner (Idee und Regie) und Gernot Krää (Drehbuch) erzählen treffend von diesem verdrucksten gesellschaftlichen Klima, in dem über die tabuisierte Vergangenheit und über jüdisches Leben in Deutschland gar nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde – trotz der Eichmann- und Auschwitz-Prozesse in den 1960er Jahren und trotz zahlreicher bereits existierender Dokumentationen, von denen das ZDF nach der „Dalli Dalli“-Ausstrahlung am 9. November 1978 auch einige in sein TV-Programm hob, sozusagen als Kompromiss zur Weigerung, die Quizshow mit Rosenthal zu verschieben. Für enorme Resonanz und eine breite gesellschaftliche Debatte sorgte erst die US-Serie „Holocaust“, die wenig später, im Januar 1979, in den dritten Programmen der ARD ausgestrahlt wurde.