Brecht

Schilling, Klaußner, Neuhauser, Emde, Becht, Breloer. Bett & Bühne, Privates & Politik

Foto: WDR / Artwork / Stefan Falke
Foto Thomas Gehringer

Wer war Bertolt Brecht? Heinrich Breloer kehrt mit einem Lebensthema zu seinen Fernseh-Wurzeln zurück, zum Genre Dokudrama, das er entscheidend geprägt hat. Mit seiner akribischen Recherche, ungeheuren Materialfülle und sorgfältigen Verknüpfung von Spiel & Realität ist der Zweiteiler „Brecht“ (WDR, BR, SWR, Arte / Bavaria Fiction) den meisten TV-Dokudramen der Gegenwart meilenweit voraus. Breloer rückt der ambivalenten Jahrhundertfigur Bertolt Brecht differenziert zu Leibe, stellt ihn weder auf einen Sockel, noch klagt er ihn an. Mit Tom Schilling und Burghart Klaußner ist die Titelrolle vorzüglich besetzt, doch der Zweiteiler ist gerade auch ein Fest der Schauspielerinnen (Adele Neuhauser, Lou Strenger, Mala Emde, Friederike Becht). Denn der Autor und Regisseur verbindet in seiner biografischen Dokufiktion Liebe und Theater, das Private und das Politische. Brecht und die Frauen, ein nahezu unerschöpfliches Thema – kein Ruhmesblatt für den großen Dichter.

Mit dem Zweiteiler „Brecht“ schließt sich ein Kreis: Seinen ersten Dokumentarfilm drehte Heinrich Breloer vor mehr als 40 Jahren ebenfalls über Bertolt Brecht. In „Bi und Bidi in Augsburg“ erzählten er und sein Co-Autor Horst Königstein die Geschichte von Brechts Jugendliebe. Das damals geführte Interview mit Paula Banholzer hat der 77 Jahre alte Breloer nun für sein Alterswerk wieder hervorgeholt. Man sieht eine weißhaarige, etwas schüchterne alte Dame, die allen Grund zu einigem Ärger über Brecht gehabt hätte, aber das Äußerste ist ihr sanfter Ausruf: „Oh, der Lügner, der Lügner.“ Brecht hatte in seinem Tagebuch notiert, er habe ihr das Schwimmen gelehrt. Mala Emde stellt in den Spielszenen die religiöse Paula Banholzer dar, um die Brecht 1917 hartnäckig warb. Als sie schwanger wird, wird sie vom Vater fortgeschickt, muss das uneheliche Kind in eine Pflegefamilie im Allgäu geben, und auch der junge Brecht, der zum Dichterruhm drängt und bald schon mit der Opernsängerin Marianne Zoff (Friederike Becht) liiert ist, verliert nach und nach das Interesse. In der Literatur hat die Beziehung Spuren hinterlassen, zum Beispiel mit diesem kurzen, schönen Liebesgedicht von Brecht: „Bidi in Peking / Im Allgäu: Bi / Guten, sagt er / Morgen, sagt sie“.

BrechtFoto: WDR / Nik Konietzny
Der Jahrmarkt in Augsburg, „Plärrer“ genannt. Brecht (Tom Schilling) mit seiner Freundin, der Schülerin Paula Banholzer (Mala Emde), selig auf der Schiffschaukel. Brecht und die Frauen = eine unendliche Geschichte!

Ein Mann, „der alles kann“ – und der sich alles erlaubt
Vier Jahrzehnte und zahlreiche Auszeichnungen später hat Breloer den Blick geweitet – auf beide Ehen (mit Marianne Zoff und Helene Weigel) und verschiedene Affären Brechts, eingebettet in ein umfassendes, wenn auch nicht lückenloses biographisches Dokudrama mit einem überwiegenden Anteil an Spielszenen. Breloer verbindet Bett und Bühne, die Liebe und das Theater, das Private und das Politische. Brecht, der charmante Verführer und produktive Dichter, der egomanische Liebhaber, überzeugte Kommunist und ehrgeizige Theater-Prinzipal, ist ein „Menschenfresser“ (Lion Feuchtwanger), einer, „der alles kann“ (Marianne Zoff). Ein Mann mit der „Aura eines Kindes“, der, „ohne es zu wollen, Blicke, Gefühle, Tastversuche an sich zog“ (Barbara Bronnen, die Tochter von Brechts Berliner Freund Arnold Bronnen). Ein Mann, der wunderschöne Liebesgedichte schrieb – und unfassbar rüde mit seinen Geliebten umsprang. Ein Dramatiker, der in den 1920ern das Theater erneuerte und auch in den 1950ern in der DDR Maßstäbe setzte. Brecht wird weder auf einen Sockel gestellt noch angeklagt. Breloer schildert seine Rolle während des Aufstands im Juni 1953, ohne ein Urteil zu sprechen. Er überlässt es dem Publikum, sich aus den vielen Facetten ein Bild von diesem Menschen zu machen. „Haben Sie das Gefühl, Sie haben ihn gekannt?“, fragt er ziemlich am Ende des Zweiteilers die wunderbare Regine Lutz, die hier eine Ausnahme ist: eine von Brechts Schauspielerinnen im Berliner Ensemble, aber keine Geliebte. „Er hat mich gekannt, und zwar sehr gut. Ihn konnte man nicht kennen“, antwortet sie. Man möchte zustimmen, nicht weil Breloer gescheitert wäre, sondern weil er dieser ambivalenten Jahrhundert-Figur Bertolt Brecht derart differenziert zu Leibe gerückt ist.

BrechtFoto: WDR / Nik Konietzny
Elisabeth Hauptmann (Leonie Benesch), Brechts Sekretärin, erliegt dem Charme des Meisters (Tom Schilling) und wird seine Geliebte. Sie hat auch vorzügliche Ideen.

Zahlreiche Interviews, Archivbilder, O-Töne, Fotos und andere Dokumente
Der erste Teil („Die Liebe dauert oder dauert nicht“) reicht vom Augsburger Sommer 1917 bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Der zweite Teil („Das Einfache, das schwer zu machen ist“) beginnt mit Brechts Verhör vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe und seiner Rückkehr nach Europa 1947 und endet mit seinem Tod am 14. August 1956 in Ost-Berlin. Die Zeit des Exils, die Brecht über mehrere Stationen in die USA geführt hatte, bleibt bis auf wenige Rückblenden im zweiten Teil außen vor. „Wir haben es ausgespart, weil es so gut wie kein dokumentarisches Material darüber gab und weil Breloer seine Interviewpartner nicht nach Brechts Exil gefragt hatte“, wird die Produzentin Corinna Eich in der „Augsburger Allgemeinen“ zitiert. Auch so halten die beiden Teile, was der Name Heinrich Breloer verspricht: eine ungeheure Detail- und Materialfülle und eine sorgfältige Verknüpfung von Spiel und Realität. Brecht selbst ist schon im Vorspann im O-Ton zu hören, Archivaufnahmen zeigen ihn vor dem antikommunistischen US-Komitee und bei der Verleihung des Stalin-Preises 1955 in Moskau. Hinzu kommen Auszüge aus seinem Tagebuch, kurze Film-Ausschnitte, Fotos und Dokumente. Breloer führte in den vergangenen Jahrzehnten überdies zahlreiche Interviews: mit Banholzer, mit Brechts jüngerem Bruder Walter, mit Brechts Sekretärin, Co-Autorin und Geliebten Elisabeth Hauptmann, mit der Schauspielerin Regine Lutz, mit Brechts Meisterschüler Martin Pohl, der vom DDR-Regime als angeblicher Spion inhaftiert wurde, und mit mehreren Assistenten Brechts am Berliner Ensemble.

BrechtFoto: WDR / Michael Praun
Helene Weigel (Adele Neuhauser) ist die Mutter des Theaters am Schiffbauerdamm. Darüber sind sich die Zeitzeugen in Breloers „Brecht“ einig. Burghart Klaußner

Schilling als lässiges Genie, Klaußner als Theater-Macher mit klaren Ansagen
In den Spielszenen ist die Titelrolle mit Tom Schilling und Burghart Klaußner exzellent doppelbesetzt, auch wenn der Altersunterschied von 32 Jahren zwischen beiden Schauspielern doch auffällig größer ist als der Zeitsprung zwischen Teil eins und zwei. Schilling gibt den jungen Brecht als lässiges Genie, das mit den Händen in den Hosentaschen, mit Wortwitz und musikalischem Talent die Frauen und die Welt erobert. Tom Schilling an der Gitarre – auch das ein Vergnügen. Klaußner überzeugt mit seiner immensen Erfahrung als Theater-Regisseur mit klaren Ansagen besonders in den verschiedenen Bühnenproben, die Breloer vor allem im zweiten Teil inszeniert hat und die in Werkstatt-Atmosphäre wie kleine Lehrstücke zu Brechts Theaterverständnis funktionieren: „Der Hofmeister“, „Die Gewehre der Frau Carrar“, „Der kaukasische Kreidekreis“ und schließlich „Das Leben des Galilei“. Breloers Inszenierungen von Theater-Aufführungen sind dagegen nicht sonderlich mitreißend, sieht man von einem imposanten Gesangs-Solo von Friederike Becht als „Carmen“ ab.

Helene Weigel ist „der Pfeiler, auf dem das ganze Theater ruhte“
Der Zweiteiler ist gerade auch ein Fest der Schauspielerinnen: Lou Strenger ist die junge, selbstbewusste Helene Weigel und beeindruckt am Ende des ersten Teils mit ihrem Vortrag von Brechts „Lob des Kommunismus“, vorzüglich ins Licht gerückt von Breloers ständigem Kameramann Gernot Roll. Adele Neuhauser hat mit der Weigel im zweiten Teil die größere Rolle – als jene Frau, die von Brecht immer wieder betrogen wird, aber mit ihm denselben Traum vom eigenen Theater am Schiffbauerdamm realisiert. „Die Weigel hat das Berliner Ensemble gemacht, sie hat Brecht gemacht“, erinnert sich der 2008 verstorbene Schauspieler Erwin Geschonneck. Sie war „der Pfeiler, auf dem das ganze Theater ruhte“. Was die in Deutschland als „Tatort“-Kommissarin bekannte Österreicherin Neuhauser kann, sieht man nicht zuletzt in einer der eindrucksvollsten Spielszenen: Breloer spielt einen Weigel-O-Ton aus dem Jahr 1969 ein, in dem sie „über diese unertragbaren Weibergeschichten mit diesen blöden Frauenzimmern“ spricht, und lässt dann in einem fließenden Übergang Adele Neuhauser das damals auf Band aufgenommene Gespräch mit Brecht-Chronist Werner Hecht zu Ende sprechen. Fast trotzig lässt sie die Weigel sagen: „Es war eine große Liebesbeziehung.“

BrechtFoto: WDR / Stefan Falke
Sommer 1928. Premiere der „Dreigroschenoper“ im Theater am Schiffbauerdamm. Der Schauspieler Harald Paulsen (Ole Eisfeld) singt als Mackie Messer zusammen mit Tiger Brown den „Kanonen Song“, einen Gassenhauer, der das Premieren-Eis bricht und die Zuschauer zu Beifallsstürmen hinreißt. Das Stück wird, vor allem durch die Songs von Kurt Weill, ein Welterfolg. „Und der Haifisch, der hat Zähne …“

Egon Monk – die direkte Verbindung von Brecht zum Fernsehspiel
„Brecht“ bedeutet nach dem rein fiktionalen Kinodebüt „Buddenbrooks“ (2008) Breloers Rückkehr zum Fernsehen und zu der Arbeitsweise, mit der er und Horst Königstein die Entwicklung des Genres Dokudrama maßgeblich beeinflusst haben und das in dem Dreiteiler „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ (2001) ihren glanzvollen Höhepunkt fand. Die Methode ist als „offene Form“ in die Fernseh-Historie eingegangen, mit der Breloer/Königstein – ähnlich wie Brecht im Theater – ihre Figuren aus dem gewohnten Rahmen heraustreten ließen, um ihr Publikum zu irritieren und „etwas Drittes, Neues“ in Gang zu setzen, wie Breloer sagt. „Auf die Illusion des Dabeiseins beim Spiel folgt die dokumentarische Realität.“ Durch diese Wechselwirkung könne ein Nachdenken über die fremde Lebensgeschichte möglich werden, „die ich dann etwas distanzierter beobachten kann“. Damit ziehe eine andere Art von Realismus in die Geschichte ein. Nebenbei: Der 2013 verstorbene Königstein war beim NDR angestellt, wo Egon Monk bis 1968 die Fernsehspiel-Abteilung leitete – jener Egon Monk, der bis zu seinem Weggang aus der DDR 1953 Assistent von Bertolt Brecht am Deutschen Theater war und der deshalb auch im zweiten Teil von „Brecht“ zu einem wichtigen Zeitzeugen und Protagonisten wird (gespielt von Franz Dinda).

Keine rein fiktionale Dramaturgie in einem Fluss
Grundsätzlich sei angemerkt: Eine Kritik, die etwa die Spielszenen gesondert betrachten oder die Dramaturgie mit einer rein fiktionalen Inszenierung vergleichen würde, greift zu kurz. Referenzpunkte sind vielmehr die im Fernsehen mittlerweile ja nicht seltenen Dokudramen über prominente Figuren der Zeitgeschichte. Die sind aber von der Breloerschen Qualität in der Regel weit entfernt, sowohl in der Recherche und dokumentarischen Grundlage als auch in der Verknüpfung von Interviews, Dokumenten und Archivbildern mit Spielszenen. Gegen eine filmisch furiose, fiktionale Aneignung von Zeitgeschichte wie etwa in Dominik Grafs RAF-„Tatort – Der rote Schatten“ wirkt „Brecht“ wiederum wie exzellentes, aber eher konventionelles Bildungsfernsehen. Breloer bleibt eben der Wirklichkeit verpflichtet, will verschiedene Sichtweisen anbieten, aber nichts hinzu erfinden, will auch keine Story in einem geschmeidigen Fluss erzählen, sondern den Fluss unterbrechen, erläuternd, ergänzend, irritierend, inne haltend oder auch den Film vorantreibend.

BrechtFoto: WDR / Nik Konietzny
Der reife Bertolt Brecht (Burghart Klaußner). Er hört Galileis Selbstanklage, wie sie Charles Laughton 1947 für ihn in New York auf eine Schallplatte gesprochen hat.

Im Film wie im Leben: Eine Geliebte folgt auf die nächste
Weitgehend chronologisch erzählt Breloer Brechts Lebensweg, was allerdings zwangsläufig eine fatale Nebenwirkung hat: Es scheint so, als hake der Film eine Geliebte nach der anderen ab, denn Brecht war in der Liebe ebenso erfolgreich wie rücksichtslos. Und da sich am Ende doch alles um Brecht dreht, bleiben die Frauen mehr oder weniger Nebenfiguren. Etwa die von Ruth Berlau (Trine Dyrholm), einer dänischen Schauspielerin und Fotografin, die nicht nur im Exil eine wichtige Stütze für Brecht war. Das kommt auch, aber doch weniger zur Geltung als die tragische Liebesgeschichte. Ihr gemeinsamer Sohn Michel starb im September 1944 wenige Tage nach der Geburt. Im Film sieht man die Berlau zunehmend als bemitleidenswerte Frau, die wegen Brechts verweigerter Liebe verzweifelt. Anders liegt der Fall bei Elisabeth Hauptmann (Leonie Benesch): In Breloers Inszenierung entsteht die „Dreigroschenoper“ in einem Funken sprühenden Dialog zwischen Brecht und Hauptmann am Klavier. Ihr kreatives Mitwirken an der Entstehung – Brecht beteiligte sie mit 12,5 Prozent an den Tantiemen – wird auf diese Weise gewürdigt. Spätestens da wird nachvollziehbar, dass es nicht allein ein Zugeständnis an den Primetime-Sendeplatz bedeuten muss, wenn Breloer dem munteren Liebesleben Brechts so viel Platz einräumt. Darüber hinaus verleiht die unvermeidliche Assoziation zur #MeToo-Debatte dem Film eine zusätzliche Aktualität. Dazu Breloer: „Die Interviews und die Filme sind weit vor dieser Debatte entstanden; die Fragen und der Blick darauf waren aber auch schon vorher vorhanden. Die Filme sind allerdings unterwegs zu Bertolt Brecht, um ihn aus seiner Zeit und seinen Möglichkeiten heraus zu verstehen, so nah wie möglich an ihn heranzukommen und zu zeigen, was dabei zu sehen ist. Das moralische Urteil über das Gezeigte überlasse ich den Zuschauerinnen und Zuschauern.“

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Mit Tom Schilling, Burghart Klaußner, Adele Neuhauser, Lou Strenger, Mala Emde, Friederike Becht, Leonie Benesch, Franz Hartwig, Ernst Stötzner, Franz Dinda, Maria Dragus, Laura de Boer, Anna Hermann, Anatole Taubman, Götz Schubert

Kamera: Gernot Roll

Szenenbild: Christoph Kanter

Kostümbild: Ute Paffendorf

Schnitt: Claudia Wolscht

Musik: Hans P. Schröer

Redaktion: Barbara Buhl, Cornelia Ackers, Sandra Maria Dumovic, Christian Granderath, Andreas Schreitmüller

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Corinna Eich, Jan S. Kaiser

Drehbuch: Heinrich Breloer

Regie: Heinrich Breloer

Quote: 1,87 Mio. Zuschauer (7,1% MA)

EA: 22.03.2019 20:15 Uhr | Arte

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