Die Hebamme – Auf Leben und Tod

Eine Offenbarung: Brigitte Hobmeier, Dagmar Hirtz, Jo Heim und ein historisches Drama, das eine Hebamme 1813 im Widerstreit zeigt mit Kirche und Schulmedizin

Foto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Foto Rainer Tittelbach

Die Heldin in „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ ist eine Reisende zwischen den Welten und den Zeiten. Zwischen den Autoritäten anno 1813, der Kirche und der Wissenschaft, bleibt Rosa Koelbl eine Fremde. Die Zeit ist noch nicht reif für die Werte, die diese Frau verkörpert. Der Film erzählt eine Geschichte. Er plottet nicht. Das Erzählte lebt durch die Erzählweise. Das Medium heißt nicht umsonst Fern-Sehen. Jo Heims Kameraarbeit ist von einer Präzision und von einer ästhetischen Raffinesse, wie man es lange nicht gesehen hat. Und Brigitte Hobmeier ist eine Offenbarung. Ein Gesicht wie aus jener Zeit. Ein sinnlicher Hochgenuss – und zugleich ein historischer Film, der etwas vermittelt über seine Zeit.

Ein Tiroler Bergdorf, 1813. Rosa Koelbl macht sich auf zu einem abgelegenen Hof. Bei einer Wöchnerin haben die Wehen eingesetzt. Mit langen Schritten und einem Gebärschemel nimmt sie die Anhöhe. Sie will nicht nur das Baby sicher zur Welt bringen, sie will auch das Leben der Mutter erhalten. Im Anmarsch ist auch der Pfarrer. Dem geht es vor allem um das Seelenheil des Kindes. Das heißt Nottaufe im Mutterleib – und das bedeutet nicht selten den Tod der Mutter. Mit Taufspritze und dem Geschick der erfahrenen Hebamme bringt Rosa die schwere Geburt für alle zu einem glücklichen Ende. Doch kaum ist das Kind da, steht der Bauer in der Tür und zitiert seine Frau aus dem ‚Wochenbett’ direkt in den Stall.

Die Hebamme – Auf Leben und TodFoto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Anno 1813, nach der Geburt muss die Mutter sofort wieder an die Arbeit. Brigitte Hobmeier. Kameramann Jo Heim hat sich an den Lichtverhältnissen in dieser Zeit orientiert.

Aberglaube und ein den Menschen verachtender Katholizismus machen Rosa Koelbl das Leben schwer in ihrer Heimat. So nimmt sie das Angebot eines Arztes aus der Stadt an, der sie in einem neu gegründeten Geburtshaus zur leitenden Hebamme machen möchte. Sie nimmt ihre kleine Schwester mit, die sich hat schwängern lassen und im Dorf als Hure beschimpft wird. Doch in der Stadt ist auch nicht alles Gold. Das Geburtshaus – obwohl kostenlos – wird von den Frauen, die zumeist aus ärmlichen Verhältnissen kommen, größtenteils gemieden. Außerdem wird auch hier wenig Wert auf einen menschlichen Umgang mit den Wöchnerinnen gelegt. Wichtiger ist die medizinische Erkenntnis. Rosa hat den Eindruck, die Gebärenden seien Versuchskaninchen im Namen der Wissenschaft. Da werden an willfährigen Weibern schon mal Kaiserschnitte aus Übungszwecken ausprobiert. Und dann ist da noch die Sache mit den schmutzigen Taufspritzen. Oder ist gar das Weihwasser unrein?

Die Heldin in „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ ist eine Reisende zwischen den Welten und den Zeiten. In ihrer Hebammenkunst, diesem uralten Frauenwissen, symbolisiert sich die Tradition. Die andere Tradition, die der frauenverachtenden Kirche (bis 1680 gab es in Österreich Hexenverbrennungen), macht dieser Frau das Leben schwer. Aber auch mit der Schulmedizin steht jene Rosa Koelbl auf dem Kriegsfuß. Und so muss sie schließlich wieder in ihr Heimatdorf zurück, wo sie als Ketzerin gebrandmarkt wird. Und die nächste Lebensstation wartet schon. Es ist nicht die eigene Gebäranstalt, zusammen mit dem geläuterten Medicus. Koelbl bleibt eine Fremde. Die Zeit ist noch nicht reif für die Werte, die diese Frau verkörpert.

Die Hebamme – Auf Leben und TodFoto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Auch der Medicus aus der Stadt (Misel Maticevic) hat mit der Kirche nicht viel im Sinn. Heims Bilder sind in Komposition, Farbe und Lichtbestimmung meisterlich. Karl Fischer

Historische Filme sind selten geworden im deutschen Fernsehen. „Die Hebamme“ ist eine doppelte Rarität. Der Film von Dagmar Hirtz nach dem Buch von Peter Probst erzählt nicht mit falschem Hochglanz von den vermaledeiten alten Zeiten, ist kein klassisches Ausstattungsstück, kein historisierender Bilderbogen. Und auch das Thema wird nicht reduziert auf seine Signalfunktion für die weibliche Zielgruppe. Dieser Film erzählt eine Geschichte. Selten genug im deutschen Fernsehen. Er plottet nicht – wie es bei historischen Stoffen die Regel ist – strategisch eine mehrheitsfähige Story zusammen, die Erfolg verspricht. „Die Hebamme“ ist ein Musterbeispiel dafür, was eine gute Filmerzählung ist: Wenn das Erzählte und die Erzählweise zu einer – in diesem Falle geradezu magischen – Einheit verschmelzen. Die Kameraarbeit von Jo Heim ist eine Offenbarung. Orientiert an den Lichtverhältnissen der damaligen Zeit, zaubert er Bilder, von denen jedes in ihrer meisterlichen Komposition, in Farbe und Lichtbestimmung als perfekte Einzelfotografie bestehen könnte. Großes leisten auch die Abteilung Ausstattung um Rudi Czettel und die Kostümbildnerin Ingrid Leibezeder. Das Prinzip: Das gut ausgewählte Detail, der kleine Ausschnitt antizipiert das Große und Ganze und gibt eine sinnliche Vorstellung von den Erfahrungswerten der Zeit.

Die Hebamme – Auf Leben und TodFoto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Weggesperrt: Die Zeit ist noch nicht reif für die Werte, die diese Frau verkörpert.

Dagmar Hirtz über Brigitte Hobmeier:
„Sie ist nicht so eine moderne, modische Schauspielerin, kein Schönchen. Ihr glaubt man sofort, dass sie aus jener Zeit kommt. Sie hat ein Gesicht, in das man sich gerne vertieft. Und als Theaterschauspielerin besitzt sie auch hinreichend Erfahrung mit historischen Kostümen. Ich wollte auf keinen Fall, dass ‚Die Hebamme’ am Ende nur ein Kostümfilm wird.“

„Die Hebamme“ sorgt noch für eine weitere Offenbarung: Hauptdarstellerin Brigitte Hobmeier. Eine Physiognomie wie aus jener Zeit, Gesichtszüge wie gemalt. „Rosa ist nicht die Heldin, die mit dem roten Faden durch den Film geht“, betont die Theaterschauspielerin, die zum ersten Mal für eine Fernsehhauptrolle vor der Kamera stand. „Sie reagiert auf das, was ihr geschieht. Nur so wird sie zur Handelnden.“ Rosa Koelbl macht, was sie tun muss, nicht weil sie eine Filmheldin ist, sondern weil sie eine Überzeugung besitzt. Ein, zwei Mal setzt sie sich verbal lautstark zur Wehr. Sonst hält sie sich äußerlich an die Sitten ihrer Zeit. Frauen haben leise zu sein. Diese Hebamme denkt sich ihr Teil. Hobmeiers Spiel entspringt nicht einem alles psychologisch motivierenden Fernsehrealismus. Immer bleibt ein Rest in ihrem Gesicht, der nicht eindeutig Auskunft gibt über ihr Innenleben. Was sieht man da? Demut? Stolz? Standhaftigkeit? Die Einsicht in die Machtverhältnisse der Zeit? Oder findet Brigitte Hobmeier einfach den adäquaten Ausdruck einer weiblichen Kämpfernatur anno 1813?

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Fernsehfilm

ORF, ZDF

Mit Brigitte Hobmeier, Misel Maticevic, Pippa Galli, August Zirner, Karl Fischer, Anna Maria Sturm, Amelie Kiefer, Maria Hofstätter, Johanna Bittenbinder

Kamera: Jo Heim

Szenenbild: Rudi Czettel

Schnitt: Nicola Undritz

Musik: Gerd Baumann, Gregor Hübner

Produktionsfirma: Roxy Film

Produktion: Annie Brunner, Andreas Richter, Ursula Woerner

Drehbuch: Peter Probst

Regie: Dagmar Hirtz

Quote: 4,68 Mio. Zuschauer (15,7% MA)

EA: 09.05.2011 20:15 Uhr | ZDF

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