Ein Tiroler Bergdorf, 1813. Rosa Koelbl macht sich auf zu einem abgelegenen Hof. Bei einer Wöchnerin haben die Wehen eingesetzt. Mit langen Schritten und einem Gebärschemel nimmt sie die Anhöhe. Sie will nicht nur das Baby sicher zur Welt bringen, sie will auch das Leben der Mutter erhalten. Im Anmarsch ist auch der Pfarrer. Dem geht es vor allem um das Seelenheil des Kindes. Das heißt Nottaufe im Mutterleib – und das bedeutet nicht selten den Tod der Mutter. Mit Taufspritze und dem Geschick der erfahrenen Hebamme bringt Rosa die schwere Geburt für alle zu einem glücklichen Ende. Doch kaum ist das Kind da, steht der Bauer in der Tür und zitiert seine Frau aus dem ‚Wochenbett’ direkt in den Stall.
Foto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Aberglaube und ein den Menschen verachtender Katholizismus machen Rosa Koelbl das Leben schwer in ihrer Heimat. So nimmt sie das Angebot eines Arztes aus der Stadt an, der sie in einem neu gegründeten Geburtshaus zur leitenden Hebamme machen möchte. Sie nimmt ihre kleine Schwester mit, die sich hat schwängern lassen und im Dorf als Hure beschimpft wird. Doch in der Stadt ist auch nicht alles Gold. Das Geburtshaus – obwohl kostenlos – wird von den Frauen, die zumeist aus ärmlichen Verhältnissen kommen, größtenteils gemieden. Außerdem wird auch hier wenig Wert auf einen menschlichen Umgang mit den Wöchnerinnen gelegt. Wichtiger ist die medizinische Erkenntnis. Rosa hat den Eindruck, die Gebärenden seien Versuchskaninchen im Namen der Wissenschaft. Da werden an willfährigen Weibern schon mal Kaiserschnitte aus Übungszwecken ausprobiert. Und dann ist da noch die Sache mit den schmutzigen Taufspritzen. Oder ist gar das Weihwasser unrein?
Die Heldin in „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ ist eine Reisende zwischen den Welten und den Zeiten. In ihrer Hebammenkunst, diesem uralten Frauenwissen, symbolisiert sich die Tradition. Die andere Tradition, die der frauenverachtenden Kirche (bis 1680 gab es in Österreich Hexenverbrennungen), macht dieser Frau das Leben schwer. Aber auch mit der Schulmedizin steht jene Rosa Koelbl auf dem Kriegsfuß. Und so muss sie schließlich wieder in ihr Heimatdorf zurück, wo sie als Ketzerin gebrandmarkt wird. Und die nächste Lebensstation wartet schon. Es ist nicht die eigene Gebäranstalt, zusammen mit dem geläuterten Medicus. Koelbl bleibt eine Fremde. Die Zeit ist noch nicht reif für die Werte, die diese Frau verkörpert.
Foto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Historische Filme sind selten geworden im deutschen Fernsehen. „Die Hebamme“ ist eine doppelte Rarität. Der Film von Dagmar Hirtz nach dem Buch von Peter Probst erzählt nicht mit falschem Hochglanz von den vermaledeiten alten Zeiten, ist kein klassisches Ausstattungsstück, kein historisierender Bilderbogen. Und auch das Thema wird nicht reduziert auf seine Signalfunktion für die weibliche Zielgruppe. Dieser Film erzählt eine Geschichte. Selten genug im deutschen Fernsehen. Er plottet nicht – wie es bei historischen Stoffen die Regel ist – strategisch eine mehrheitsfähige Story zusammen, die Erfolg verspricht. „Die Hebamme“ ist ein Musterbeispiel dafür, was eine gute Filmerzählung ist: Wenn das Erzählte und die Erzählweise zu einer – in diesem Falle geradezu magischen – Einheit verschmelzen. Die Kameraarbeit von Jo Heim ist eine Offenbarung. Orientiert an den Lichtverhältnissen der damaligen Zeit, zaubert er Bilder, von denen jedes in ihrer meisterlichen Komposition, in Farbe und Lichtbestimmung als perfekte Einzelfotografie bestehen könnte. Großes leisten auch die Abteilung Ausstattung um Rudi Czettel und die Kostümbildnerin Ingrid Leibezeder. Das Prinzip: Das gut ausgewählte Detail, der kleine Ausschnitt antizipiert das Große und Ganze und gibt eine sinnliche Vorstellung von den Erfahrungswerten der Zeit.
Foto: ZDF / ORF / Christian Hartmann
Dagmar Hirtz über Brigitte Hobmeier:
„Sie ist nicht so eine moderne, modische Schauspielerin, kein Schönchen. Ihr glaubt man sofort, dass sie aus jener Zeit kommt. Sie hat ein Gesicht, in das man sich gerne vertieft. Und als Theaterschauspielerin besitzt sie auch hinreichend Erfahrung mit historischen Kostümen. Ich wollte auf keinen Fall, dass ‚Die Hebamme’ am Ende nur ein Kostümfilm wird.“
„Die Hebamme“ sorgt noch für eine weitere Offenbarung: Hauptdarstellerin Brigitte Hobmeier. Eine Physiognomie wie aus jener Zeit, Gesichtszüge wie gemalt. „Rosa ist nicht die Heldin, die mit dem roten Faden durch den Film geht“, betont die Theaterschauspielerin, die zum ersten Mal für eine Fernsehhauptrolle vor der Kamera stand. „Sie reagiert auf das, was ihr geschieht. Nur so wird sie zur Handelnden.“ Rosa Koelbl macht, was sie tun muss, nicht weil sie eine Filmheldin ist, sondern weil sie eine Überzeugung besitzt. Ein, zwei Mal setzt sie sich verbal lautstark zur Wehr. Sonst hält sie sich äußerlich an die Sitten ihrer Zeit. Frauen haben leise zu sein. Diese Hebamme denkt sich ihr Teil. Hobmeiers Spiel entspringt nicht einem alles psychologisch motivierenden Fernsehrealismus. Immer bleibt ein Rest in ihrem Gesicht, der nicht eindeutig Auskunft gibt über ihr Innenleben. Was sieht man da? Demut? Stolz? Standhaftigkeit? Die Einsicht in die Machtverhältnisse der Zeit? Oder findet Brigitte Hobmeier einfach den adäquaten Ausdruck einer weiblichen Kämpfernatur anno 1813?