Der Rahmen dieser „anderen“ Kriegsgeschichte
Fünf Freunde feiern im Sommer 1941 Abschied in Berlin. Sie sind sicher: „Spätestens Weihnachten ist der Krieg vorbei.“ Für die beiden Brüder, Wilhelm, den Siegessicheren, und Friedhelm, den Schöngeist, ruft die Ostfront. Charlotte, stolz, dem Vaterland zu dienen, folgt ihnen gen Osten – sie wird Krankenschwester in einem Kriegslazarett. Greta plant an der Heimatfront ihren Aufstieg zum Schlagerstar und ihr jüdischer Freund Viktor sieht sich bald auf einer Odyssee zwischen Deportation und Partisanenwiderstand. In jenem Sommer mit Anfang 20 fühlen sich zumindest drei der fünf Freunde lebendig, aufgeputscht, unsterblich. Glauben sie 1941 noch an einen Blitzkrieg, an den Endsieg glauben sie schon 1943 nicht mehr. Nicht Weihnachten 1941 treffen sie sich in Berlin wieder, sondern im Mai 1945 (und nicht alle Fünf werden dabei sein). Vergessen ihre naive Kriegsbegeisterung. Im Ohr Friedhelms Prophezeiung: „Der Krieg wird nur das Schlechteste in uns zum Vorschein bringen.“
Gute Gründe für die subjektive Sicht auf die deutsche Geschichte
„Unsere Mütter, unsere Väter“ ist erzählt aus der Perspektive seiner fünf Hauptfiguren. Drehbuchautor Stefan Kolditz („Dresden“) wählt eine subjektive Innensicht auf die traumatischen Ereignisse und führt den Zuschauer so in die Abgründe der menschlichen Erfahrungs- und Empfindungswelt. Ausgegeben wurde von den Machern die „Maxime, die Geschichte auf Augenhöhe mit den handelnden Figuren, ihren Überzeugungen und ihren Widersprüchen zu erzählen“, so Redakteurin Heike Hempel. So wird der Film zu einem Porträt einer schuldhaft verstrickten Generation aus verklärten Mitläufern, die zugleich Opfer waren: Diese Generation hat ihre Jugend an den Zweiten Weltkrieg verloren. Rund 70 Jahre danach ist es legitim, auch diese, lange Zeit zu recht ausgeblendete, Seite des Krieges zu zeigen. Dieser Krieg steht noch immer zwischen den Generationen – weil er ein Tabu-Thema war.
Viele Väter haben nie über den Krieg gesprochen. Auch deshalb wohl konnten die Nachgeborenen sie nur schwer verstehen. Für den Dialog mit den Eltern oder Großeltern ist es nun für die meisten zu spät. Für „eine sensible, kritische Hommage an die Generation meiner Eltern, die nachdrücklich durch das Kriegsgeschehen geprägt wurde“, ist es dagegen nicht zu spät. Besonders dieser Aspekt der Generationsverständigung scheint das Anliegen von Produzent Nico Hofmann zu sein. Für die Kinder und Kindeskinder kann es auch darum gehen, die eigene Identität besser zu verstehen. Auch wenn die Jugend davon heute kaum mehr ein Bewusstsein hat: Der Krieg ist Teil unserer Geschichte. Heute weniger im Sinne einer kollektiven Verantwortung, vielmehr biographisch! Wenn wir die Kriegsgeneration, die das Land nach 1945 wieder aufgebaut hat, besser verstehen, ihre übertriebene Härte, ihr zwanghaftes Pflichtbewusstsein, ihre emotionale Kontrolliertheit, dann können wir, die wir mit den Eigenarten dieser Generation umgehen mussten, uns auch selbst besser verstehen.
Viele Fragen von Drehbuchautor Stefan Kolditz:
„War dieser Krieg nur ihr Krieg? Sind wir tatsächlich so anders? Unverführbar? Aufrecht? Unangreifbar? Ein Gespräch mit unseren Müttern, unseren Vätern, einer Generation, die uns viel näher ist, als wir ahnen – kann es ein solches Gespräch geben? Ist die Differenz zweier Erfahrungen überhaupt diskutierbar? Kann ein Film über fünf so unterschiedliche Menschen das bewirken? Ohne billige Anklage. Ohne falsche Selbstgerechtigkeit. Ohne moralische Überlegenheit. Ich hoffe es.“
Der Dreiteiler hält, was sein Konzept verspricht
Anders als „Dresden“ oder „Die Flucht“, als „Stauffenberg“ oder „Rommel“ zielt „Unsere Mütter, unsere Väter“ nicht auf legendäre Schlachten, Kriegsereignisse oder Jahreszahlen, setzt nicht auf den Reiz von Persönlichkeit und Macht. Das Geschichtsbuch bleibt zugeklappt in Philipp Kadelbachs Film. Es wird nicht die Feldherren-Perspektive eingenommen; der Film erzählt Kriegsgeschichte von unten. Ohne Landser-Romantik. Er begibt sich in den trostlosen bis grausamen Alltag des Krieges. Ganz tief in den Dreck. „Die meisten Menschen denken, dass Krieg vor allem aus Kämpfen besteht“, sagt der Erzähler Wilhelm im Off-Kommentar, „das stimmt nicht. Es ist das Warten – auf den nächsten Angriff, das nächste Essen, den nächsten Morgen.“ Dieser Film zieht sich gegen Ende hin, wie sich auch der Krieg hinzieht, aber dieser Film zieht sich nicht. In Anlehnung an das Prinzip „Angstlust“ könnte man hier von „Schmerzlust“ sprechen. Sie lässt einen nicht mehr los, auch wenn „äußerlich“ nicht allzu viel passiert. Im Gegensatz zur hedonistischen Angstlust zielt sie auf emotionale Erkenntnis. Am Ende dieser viereinhalb Stunden ist man reif – für die Doku (nach Folge 1 um 21.45 Uhr; nach Folge 3 um 0.45 Uhr) oder für eine Gesprächsrunde mit Freunden oder Verwandten.
Handwerklich übertrifft der Film sogar noch die Erwartungen
Von einem Dreiteiler, der 13,8 Millionen Euro gekostet hat, darf man handwerklich einiges erwarten. Die ZDF-Produktion erfüllt mit ihrem amerikanischen Look, der zupackenden Handkamera, der modernen Farbästhetik und einer präzisen, miterzählenden Ausstattung, diese Erwartungen und übertrifft sie sogar. Vor allem auch, weil das grundlegende Konzept des Films einfach stimmig ist: erlebte Geschichte, fünf Protagonisten, vier Erzählstränge, die sich spannend und sinnstiftend ineinander verknoten, nicht die üblichen Event-Verdächtigen, kein Lauterbach, kein Ferch, kein Sadler, keine Furtwängler, keine Zimmermann, sondern Klasse-twenty-thirty-somethings, frische Gesichter mit gutem Standing in Kino und Qualitäts-TV: Volker Bruch, Tom Schilling, Katharina Schüttler, Ludwig Trepte, Miriam Stein. Diese Jungdarsteller haben einen physischeren, beiläufigeren, cooleren Stil, Drama zu spielen als die Nur-Fernsehschauspieler der Generation 40 bis 60. Außerdem hat man sie sich noch nicht satt gesehen. Die Besetzung und die vorausgehende Entscheidung, fünf junge Menschen ins Zentrum zu rücken, war die wichtigste Voraussetzung für diesen stimmigen, schonungslos erzählten Film. Nahezu perfekt ist die ausgefeilte Dramaturgie, die Montage im Großen, der Schnitt im Kleinen. Da glaubt man gerne, dass die Cutter ein Jahr gut zu tun hatten. Was man da sieht, hat nichts mit Serien-Zopfdramaturgie zu tun: die Sequenzen sind emotional fein aufeinander abgestimmt und formal ist das Ganze brillant. Geschnitten wird häufig in die dramatischen Aktionen hinein, so laden sich die Ereignisse gegenseitig auf, so dynamisieren sich die Bilder, so treiben sich die Geschichten der fünf Protagonisten gegenseitig an.
Es gibt so viele Momente, die sich einbrennen im Gedächtnis…
Aber was wäre eine gekonnte Machart ohne den Wert des Erzählten?! Ohne jene Schlüsselszenen, die die optimistisch-naive Haltung der Helden nachhaltig erschüttern. Ohne die traumatischen Erfahrungen, ohne die Desillusionierung, die die Figuren durchmachen: der Jude Viktor muss seine Familie und seine Freundin verlassen, Charlotte verrät eine jüdische Krankenschwester, den Brüdern geht im Grauen des Krieges jeglicher Lebenssinn verloren und die singende Diva hat ihre Seele an die Nazis verkauft. Das Stärkste an „Unsere Mütter, unsere Vater“ ist der Mut zur Entschleunigung, sind die vielen intimen Zweier-Szenen, in denen die Figuren auf sich zurückgeworfen werden und die martialischen Kriegshandlungen verarbeiten. Ruhemomente, in denen sich auch der Zuschauer von der drastischen Darstellung der Gewalt erholen kann. Ein Stall in Polen, ein zerstörter Panzer als Schutzraum, eine von Russen beschossene Fabrikanlage – und mittendrin drei Mal zwei Menschen, körperlich am Ende, seelisch vernarbt, mehr oder weniger erklärungsbedürftig. Das sind Momente, die in Erinnerung bleiben. Wie die Szenen, in denen die Ambivalenz der Gefühle zum Ausdruck kommt: Charlys Verrat oder ihr Wiedersehen mit dem tot geglaubten heimlich geliebten Wilhelm. Oder das Bild, in dem Samuel Finzis jüdischer Vater den Arm seines Sohns Viktor leicht berührt („du hattest recht“), bevor dieser für immer die Wohnung seiner Eltern verlässt. Oder das Bild der Brüder im Schnee – halb Umarmung, halb Rauferei. Oder, oder, oder…
Das ist die Stärke dieses Films, dass er in seinen Situationen schmerzlich genau ist und deshalb stets wahrhaftig wirkt. Aber auch die Kamikaze-Egoshooter und Blutrausch-Bilder, wie man sie aus den Vietnam- und anderen Antikriegsfilmen kennt, müssen sein, genauso wie die Schützengraben- und Massenszenen im Lager, weil sie Teil des Krieges sind und sie die Psychologie einer Variante des Tötens im Krieg verdeutlichen: Rache, Wut und Ohnmacht, die eruptiv in Allmachtsgebaren umschlägt. Dann wieder so ein Ruhemoment, der ohne Tamtam den Kameraden-Mythos beerdigt: „Wie haben Sie so lange überlebt?“, fragt ein Greenhorn, der zum Endsieg an die Ostfront geschickt wurde. „Man hofft, dass es den Nebenmann erwischt. Ein guter Soldat ist meistens feige und gelegentlich mutig.“ (Text-Stand: 25.2.2013)