„Der Laden“ ist eine Familiengeschichte in drei Akten, über drei Generationen erzählt, aus der Perspektive des Schriftstellers Esau Matt. Der alte Mann erinnert sich an das Jahr 1919, als seine Familie, der liebenswerte, lebenskluge Großvater, die Anderthalbmeter-Oma, der Vater, der vom Farmerleben in Amerika träumt, und die Mutter, die zwar einen Laden, aber nicht Buch führen kann, mit Sack und Pack ins Niederlausitzer Dorf Bossdom einfahren. Er erinnert sich, wie die Familie versucht, einen Kaufmannsladen zu betreiben, wie das Kindermädchen allen den Kopf verdreht – und er erinnert sich auch an die Dramen aus der Nachbarschaft, an Prügelstrafe, Liebesleid und Selbstmord. 1927 in Spremberg erfährt Esau schmerzlich den Abschied von der Kindheit: der Gymnasiast erlebt seine erste Liebe und die ersten Nazis. 1946 gehört das vertraute Bossdomer Milieu endgültig der Vergangenheit an. Der Krieg hat alle verändert. Esau war Soldat, ist desertiert, wurde zum Tode verurteilt, ein Zufall rettete ihm das Leben. Der Laden ist jetzt eine Konsum-Verkaufsstelle, der Großvater ein bösartiger Greis geworden, das Geld ist knapper denn je. Dafür waren die Frauen noch nie so schön und mannstoll. Das bekommt auch Esau zu spüren, der nach einem Bürgermeister-Intermezzo als Lokalredakteur arbeitet und endlich das Schreiben für sich entdeckt.
Foto: MDR / Conny Klein
Der Text ist aus der Erinnerung geschrieben. Als Ergänzung einige Stimmen anderer Fernsehkritiker:
„Man muss sich also vorstellen, dass ein alter Esau Matt am Ende seiner Zeit im Familienalbum zurückblättert und die alten Geschichten aus Bossdom erzählt. So gesehen erschließen sich auch die goldstichigen Bilder als künstlerische Absicht des Regisseurs. Baier und sein Kameramann Gernot Roll (‚Heimat’) schaffen sich einen Realismus der Erinnerung. Ihr Film funktioniert nach dem Prinzip des Gedächtnisses: Die guten Erinnerungen leuchten, die schlechten verschwinden im Nebel.“ (Frank Junghänel, Berliner Zeitung)
Nikolaus von Festenberg über Strittmatters „Der Laden“:
„Doch ‚Der Laden’ ist zeitgeschichtlich kein Ladenhüter. Es geht in ihm um die Wiederentdeckung des Eigensinns, der Beschränkungen durch die Natur, der Gewalt der unterdrückten Träume, der Verstrickungen einer Familie. Strittmatter erkundet das wirkliche Leben in seiner ganzen Fülle, eine harte, wenige Illusionen belassende Arbeit… Heimat, unüberwindbar und undurchschaubar, klebt wie Lehm an den Füßen. Sie nährt und würgt zugleich, ihren Zauber bricht kein Fortschritt. Strittmatter verwickelt Menschen, Natur und Gegenstände zu unentwirrbaren Knäueln. Alles ist in Bewegung, beseelt von eigenartigen Energien.“ (Der Spiegel)„Es ist schon überwältigend, mit wie viel Sorgfalt, ästhetischer Bravour und dramaturgischer Ökonomie Jo Baier Strittmatters Kosmos inszeniert. Wie es ihm gelingt, poetisierendes Erzählen mit Elementen des Komischen, des Tragischen, des Rührenden und auch Verletzenden zu verbinden, ohne je sentimental oder pittoresk zu werden.“ (Sybille Simon-Zülch, Süddeutsche Zeitung)
Foto: MDR / Conny Klein
Der ostdeutsche Volksschriftsteller Erwin Strittmatter, geliebt in der DDR und im Westen lange Zeit als „deftiger Heimatdichter“ (Reich-Ranicki) belächelt, konnte zumindest postum gesamtdeutsche Anerkennung finden. Maßgeblich dazu beigetragen hat vier Jahre nach seinem Tod die Verfilmung seines Romans „Der Laden“ durch Jo Baier und Ko-Autor Ulrich Plenzdorf. Der Dreiteiler konzentriert sich zwar auf die dramatischen Spitzen der Geschichte, versucht gar nicht erst, ein filmisches Pendant zu Strittmatters anekdotischem, sprunghaftem, detailverliebtem Erzählen zu suchen. Dennoch entwickelt der Film eine ganz eigene Kraft, die zumindest viel mit dem stofflichen Kosmos und dem behutsamen Umgang mit Raum und Zeit, Mensch und Umwelt, die den Schriftsteller auszeichnen, zu tun hat: Man lässt sich von Minute zu Minute des fast fünfstündigen Films mehr gefangen nehmen von dieser poetischen, fremden Welt, die dem heutigen Fernsehzuschauer viel weniger vertraut ist als fiktionalisierter und genrehaft aufbereiteter Mord und Todschlag. Über diesen rezeptionsästhetischen Aspekt hinaus ist allerdings der dritte Teil auch der beste – weil er am dichtesten ist und es auch zeitgeschichtlich (über die „magische Verflochtenheit von Landschaft und Menschen“ hinaus) am meisten in ihm zu entdecken gibt. Gemeint sind dabei nicht die politischen Verhältnisse, sondern die kleinen Dinge des Alltags aus der Sicht der „kleinen Leute“: das Zusammenleben der Generationen, die Spannungen der Geschlechter, Geburt, Tod, Verrat. Politik bleibt bei Baier wie Strittmatter außen vor. Nicht umsonst lässt er die Geschichte(n) aus der Perspektive eines Kindes, eines Jugendlichen und eines wenig von den politischen Zusammenhängen Wissenden „erzählen“. Sein Blick ist rein, er weiß wenig von der deutschen Schuld.