Einen „Jahrhundertroman“ nennen Heinrich Breloer und Horst Königstein ihren dreiteiligen Fernsehfilm über das Leben der Familie Mann. „Ein Jahrhundertereignis“, möchte man im Überschwang hinzufügen, denn dem vielfach ausgezeichneten Breloer ist erneut ein Meisterwerk gelungen. Seine drei Filme, die Arte ab heute drei Abende lang hintereinander zeigt, konzentrieren sich auf die letzten drei Lebensjahrzehnte Thomas Manns (1923 bis 1955). Fast ebensoviel Zeit hat Breloer mit dem Projekt verbracht: Schon vor über zwanzig Jahren hat er begonnen, Interviews zu führen. Auf diese Weise kommen auch Familienmitglieder und Weggefährten zu Wort, die längst verstorben sind. Zentrum des Films ist aber ist Elisabeth Mann Borgese, die Lieblingstochter von Thomas Mann und das letzte noch lebende Kind. Mit ihr hat Breloer fast alle Orte aufgesucht, an denen ihr Vater seinen Schreibtisch mit den berühmten inspirierenden „Sächelchen“ stehen hatte.
Wie schon Breloers frühere Dokudramen, darunter „Die Staatskanzlei“, „Kollege Otto“ und zuletzt „Das Todesspiel“, ist auch „Die Manns“ ein komponiertes Mosaik. Die fast 300 Filmminuten bestehen überwiegend aus rekonstruierten Spielhandlungen; ergänzt werden sie durch sein gesammeltes dokumentarisches Material (hier konnte Breloer aus einem 140 Stunden umfassenden Fundus schöpfen). In den inszenierten Passagen sind die Rollen bis hin zu den Nebenfiguren exzellent besetzt; auch namhafte Darsteller waren sich für Kurzauftritte nicht zu schade. Und so, wie Manns Tochter „Medi“ den dokumentarischen Teil dominiert, beherrscht ein fabelhafter Armin Mueller-Stahl die Spielszenen.
Der von Breloer angestrebte „magische Realismus“ ist nicht allein der virtuosen Montage von Interviews, zeitgenössischem Archivmaterial und Spielszenen zu verdanken, sondern vor allem der Präsenz Mueller-Stahls, der mit dieser Rolle seine vielen großartigen Leistungen krönt. Kein Wunder, dass neben ihm Jürgen Hentsch als Heinrich Mann verblassen muss. Eindrucksvoll auch Monica Bleibtreu, obwohl sie als Thomas‘ Gattin Katia einen vermeintlich undankbaren Part zu spielen hat. Schillerndste Figur aber ist der drogenabhängige Sohn Klaus (Sebastian Koch), der – anders als der Vater – seine homosexuellen Neigungen auslebt.
Interessanterweise sieht man Mann kaum einmal schreiben, wie sein Werk ohnehin nur am Rande Erwähnung findet. Und trotzdem prägt es den Film: weil Mann die Impressionen seiner Umgebung aufgesogen hat wie ein Schwamm. Wer die „Buddenbrooks“, „Der Tod in Venedig“ oder „Zauberberg“ kennt, wird manches Déjà vu erleben, weil Breloer und Königstein die Romane für das Drehbuch quasi „rückübersetzt“ haben. Wer sie nicht kennt, wird immerhin Zeuge einer epischen Familiensaga, die all das bereithält, was große Epen kennzeichnet: Aufstieg und Untergang, Gewalt und Leidenschaft, Sex und Drogen. Den Ruhm des Vaters mussten die Kinder bezahlen, ausnahmslos begabt zwar, aber am Maßstab des überlebensgroßen Vorbilds zum Scheitern verurteilt. Im ohnehin exzeptionellen Oeuvre Breloers kommt dieser grandiosen Arbeit der Status der „Buddenbrooks“ zu.