Vier junge Menschen, die ihren Weg suchen und das KaDeWe groß machen wollen
Ein Warenhaus im Spiegel der 1920er Jahre. Schauplatz ist die Hauptstadt, eine pulsierende Metropole, nach Kriegsende mit 78 Prozent der Berliner Bevölkerung eine „Stadt der Frauen“. Das KaDeWe soll deshalb ein Kaufhaus für diese Zielgruppe werden. Luxus und ein neuer Geist werden das Traditionshaus wieder erfolgreich machen und in neuem Glanz erstrahlen lassen. Davon überzeugt sind Harry (Joel Basman), der traumatisierte Kriegsheimkehrer und Erbe der Kaufhausdynastie Jandorf, und seine Schwester Fritzi (Lia von Blarer). Sie ist die treibende Kraft, bleibt aber im Hintergrund; als Frau hat sie offiziell in der Führungsetage nichts verloren. Ohne die kriegsbedingte Männerdürre hätten Mutter Cordula (Victoria Trauttmansdorff) und Vater Adolf (Jörg Pose) Fritzi längst unter die Haube gebracht. Da der Noch-Herr des Kaufhauses Harrys kostspieligen Visionen mit Skepsis begegnet, stellt er ihm den zuverlässigen Buchhalter Georg Karg (Damian Thüne) als gleichberechtigten Geschäftsführer an die Seite. Der Inflation mit Innovation und Investitionen begegnen ist nicht sein Credo. Dennoch raufen sich die drei zusammen. Und bald sind sie zu viert, denn das KaDeWe braucht auch ein Gesicht, ein schönes Gesicht: Die Verkäuferin Hedi (Valerie Stoll) wird diese Aufgabe nach ersten wirtschaftlichen Rückschlägen übernehmen. Und Fritzi erträumt sich eine weitere Rolle für diese anmutige junge Frau aus armseligen Verhältnissen.
Foto: Degeto / rbb / Dávid Lukács
Reise ins Utopia der Liebe, der Sehnsucht: eine Glückssuche nicht ohne Risiko
Der narrative Rahmen der historischen Serie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“ ist rasch abgesteckt. Die Weimarer Republik verspricht politisch, sozial und wirtschaftlich revolutionäre Monate, Hungerjahre, den Kampf mit der Inflation, den unaufhaltsamen Aufstieg der NSDAP, eine Radikalisierung der Straße, einen immer offener zu Tage tretenden Antisemitismus, Arisierung, Enteignung, Exil. Die Beschreibung der Historie ist aber nur die halbe Wahrheit dieser ästhetischen Ausnahme-Produktion. Denn der Sechsteiler von Julia von Heinz („Katharina Luther“) gibt über die historischen Gewissheiten hinaus ein Versprechen auf mehr. Hier wird nicht das historisch Große auf das menschlich Kleine heruntergebrochen, hier strahlt die Geschichte eines vierblättrigen Kleeblatts magisch in alle Richtungen des Zeitgeists. Die Charaktere sind der Atem, das Herzstück der Erzählung. Die Historie ist nicht dazu da, den Zuschauer*innen die Leviten zu lesen. Kein gebetsmühlenhaftes „Wehret den Anfängen“ ritualisiert die Bilder; keine Braunhemden-Staffage, keine Riesenhakenkreuze, ein kleines Parteiabzeichen am Revers tut es auch. Stattdessen erzählt die ARD-Miniserie von einer Reise ins Utopia der Liebe, der Sehnsucht, der Hoffnung, eine Suche nach dem Glück, die das Risiko nicht scheut. Vor hundert Jahren mehr als heute. Und doch, so fein hin getuscht wie der animierte Vor- und Abspann lassen sich Bezüge zur Gegenwart herstellen.
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Sex, Drugs, Leidenschaft: „Ich bin verliebt, mit Kopf und Mund und weiter abwärts“
Neben dem glamourösen Kaufhaus des Westens ist der Nachtclub „Eldorado“ der zweite titelgebende Schauplatz, der Typisches vom künstlerischen Zeitgeist des Zwanziger-Jahre-Berlins einfängt. Cabaret, Travestie, Revuen mit nackten Tatsachen und lustvollen Ansagen, was politische & sexuelle Präferenzen angeht. Die Nacht gehört dem Schrillen, den Ausschweifungen, den Trieben. Der vom Krieg beschädigte Harry lässt sich hier von seiner Herzens-Domina Erica (Christine Grant) auspeitschen, es wird gesoffen, gekokst und der gleichgeschlechtlichen Liebe gefrönt. „Die neue Frau“, wie sie von Fritzi und den Kolleginnen der lesbischen Szene-Zeitschrift „Die Freundin“ (später „Die liebende Freundin“) postuliert wird, lässt sich nicht vom Mann dominieren, trägt mit Vorliebe Hosenanzug, flache Schuhe und signalisiert mit dieser Mode, dass sie es nicht nötig habe, es auf einen männlichen Ernährer abzusehen. Hedi, das Hübschchen, das sich die Jandorf-Tochter ausgeguckt hat, kann sich dieses neue Frauenbild nicht leisten. Der Vater (Martin Ontrop) kriegsversehrt, die Schwester (Neele Buchholz) mit Down-Syndrom und sie die Einzige, die Geld nach Hause bringt. Da gibt man sich schon mal her als lebende Wichsvorlage, ja, sie findet es sogar „lustig“, wenn sie für ein Gratis-Abendessen die Männlichkeit in der Hand hat. Dennoch ist es mehr als ihre „Straßenschläue“, die sie in die Arme von Fritzi treibt. Und es ist, wie sich zeigen wird, auch mehr als nur Schwärmen für eine bisher unbekannte Art der Vergnügung. „Ich bin verliebt, mit Kopf und Mund und weiter abwärts; ich kann an nichts mehr anderes denken.“ Später wird sie noch deutlicher: „Ich will nie wieder jemand küssen oder anfassen, den ich nicht begehre.“ Schlechte Karten für ihren Verlobten Rüdiger (Tonio Schneider). Doch wer weiß, wozu seine Karriere bei den Braunhemden noch mal gut sein wird…
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Elke Lasker-Schüler und die Momente einer wahrhaftigen, beflügelnden Intimität
Vorerst aber dürfen die jungen Frauen ihre Liebe genießen. Da diese Liebe das emotionale Zentrum der Geschichte von „Eldorado – KaDeWe“ ist, und die Einzigartigkeit dieser Liebe auch sichtbarer Entsprechungen bedarf, setzt Julia von Heinz, dieses romantisch-lesbische Erwachen sehr direkt in Szene. Indem sie Liebesgedichte von Elke Lasker-Schüler („Wir wollen wie zwei Kinder sein, Du hältst mich in dein Leben ein und lehrst mich, so wie Du zu lachen“) über diese erotischen Passagen legt, die Kamera sehr nah an die sich umarmenden, liebenden Körper herangeht, die Einstellungen harmonisch sanft, aber rasch geschnitten werden, und immer wieder zärtliche Küsse die Körper bedecken, gelingen ihr Momente wahrhaftiger, ja beflügelnder Intimität. Eine hohe Kunst im technischen Abbildmedium Film. Kein bisschen Gefühlskitsch und keine Chance für den „männlichen Blick“. In der zweiten gezeigten Liebesnacht lesen sich die beiden lachend zum Orgasmus, indem sie während des Liebesspiels eifrig aus dem „Ratgeber für die moderne Frau“ zitieren, die Mama Jandorf und die von ihr beauftragte Psychiaterin der „kranken“ Fritzi zur Lektüre verordnet haben. „Die besten Ehefrauen wissen wenig von sexuellen Ausschweifungen. Die Liebe für das Heim, die Kinder und die häuslichen Pflichten sind die wenigen Leidenschaften, die sie haben.“
„Jetzt ist unsere Zeit“: Faschismus, Antisemitismus und das Prinzip Hoffnung
Die Umstände würden es nahelegen, aus dieser Liebesgeschichte ein Melodram zu machen. So geschehen unlängst in der ARD-Serie „Ein Hauch von Amerika“: Weil sich die Gesellschaft gegen die Liebenden stellt, müssen sie sich in Heimlichkeiten flüchten. Julia von Heinz wählt eine andere Tonlage. Die 1920er Jahre ließen den Frauen zunächst einen großen Handlungs-Spielraum, machten aus Berlin das neue Paris, ließen Liebe, Kunst und Mode in diverserem Licht erstrahlen. Im Schutz der Großstadt konnten Frauen den Ton angeben, und es blühte eine lesbische Subkultur. In diesen Kreisen bewegen sich die Heldinnen – bis das Ausleben ihrer Liebe schwieriger wird. Noch sind die Gründe für die Einweisung in die Psychiatrie oder eine Vernunftsehe familiärer oder überlebensstrategischer Natur. Doch bald dreht sich auch der politische Wind. Die Geschichte von „Eldorado KaDeWe“ erzählt von den sich verändernden gesellschaftlichen Umständen, aber sie verzichtet nicht auf ein überzeitliches Prinzip Hoffnung. „Jetzt ist unsere Zeit“, der Untertitel signalisiert diesen Optimismus. Ob sich aus der Utopie der Freunde – Harry Jansdorf & Georg Karg sind reale, teilweise fiktionalisierte Figuren, Hedi & Fritzi sind hingegen erfunden – ein glücklicher Lebensweg ergeben wird, das verraten die Inserts am Ende, die auch wissenswerte politische Informationen enthalten.
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Eine latente Lesart: die Parallelen zwischen den 1920er und den 2020er Jahren
„Jetzt ist unsere Zeit“ ist aber auch ein Appell an die Gegenwart, an das vornehmlich jüngere Publikum. „Wahrscheinlich war das Leben schon immer so, gut und schlecht“, sinniert Hedi, einst süßes Ladenmädchen, dann KaDeWe-Model und jetzt nachdenkliche junge Mutter, in der Schlussszene auf dem Dach des Luxustempels. „Deshalb finde ich’s gemein, wenn man über seine Zeit schimpft. Es ist die einzige Zeit, in der wir leben – und: Sie gehört uns.“ Mag das aus dem Kontext gerissen etwas naiv klingen – am Ende der viereinhalb Stunden ist es ein zutiefst menschliches, subjektives Statement, das dem gefühlten Denken der Figur Hedi genauestens entspricht. Dass die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts Parallelen zur aktuellen Dekade aufweisen, gehört seit dem Jahreswechsel 2019/20 und spätestens seit der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ zum historischen Allgemeinwissen. Und so ging es von Heinz nicht um die Reproduktion der 1920er Jahre, sondern auch darum, „was sie mit den 2020er Jahren gemeinsam haben“, betont sie im Presseheft-Interview. „Antisemitismus, LGBTQIA*- und Frauenfragen, Obdachlosigkeit und eine fragile Demokratie beschäftigen uns auch heute.“
Wunderbarer V-Effekt: Die historischen Helden schlendern durch das Berlin 2020
Mit einer ungewöhnlichen filmischen Methode gelingt ihr das In-Bezug-Setzen von Gestern und Heute grandios: So lässt sie in den Bildern die Zeiten verschwimmen und ein ganzes Jahrhundert verschwinden, indem sie in den Außenaufnahmen ihre Helden der „Roaring Twenties“ in das Berlin der Neuzeit versetzt – mit zeitgenössischen Autos, dem realen Ku’damm, dem heutigen Gewusel am Wittenbergplatz, mit S-Bahnen, Bussen und dem KaDeWe, wie es der Berlin-Tourist von heute kennt. Neben der narrativen Unterstreichung der Epochen-Parallelen erfüllt diese Methode anfangs die typische Funktion eines Brecht‘schen V-Effekts. Ein weiteres Beispiel ist das eingeschnittene Plakat des legendären Rosa-von-Praunheim-Films „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971). An solche Verfremdungen gewöhnt man sich als Zuschauer*in zwar, die Straßenszenen bleiben aber verblüffend erfrischend, weil sie die Geschichte nicht nur aus dem historischen Gewand reißen und jeglichen Ausstattungseindruck beim Betrachter verhindern, sondern weil sie Lebendigkeit und Echtheit offenbaren und den Erzählfluss beschleunigen.
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Man spürt als Zuschauer, dass von Heinz diese Geschichte(n) unbedingt erzählen will
Was man in jeder Minute des Films spüren kann, ist eine Überzeugung, eine innere Haltung, ein engagierter Nachdruck bei gleichzeitigem Verzicht auf vordergründige Botschaften und vor allem immer: ein Streben nach Wahrhaftigkeit. Bei Fernsehproduktionen, so gut sie auch handwerklich häufig gemacht sein mögen, hat man nur selten den Eindruck, dass ihre Geschichten unbedingt erzählt sein wollen. Bei „Eldorado KaDeWe“ ist das anders. Dabei fließen das Erzählte und die Erzählweise nahtlos ineinander, so wie die beiden Liebenden miteinander verschmelzen; die beschriebenen Szenen des Liebesakts geben anschaulich Zeugnis davon. Die Serie kann als ein künstlerisches Plädoyer für den empfindsamen, empathischen Menschen gelesen werden, das gilt sowohl für die Geschichte als auch für die Rezeption. Alles ist wohl überlegt und wohl gewählt: das Sujet, die Zeit, die Orte, die Dramaturgie. Da stimmt aber auch jede Einstellung, jeder Bildausschnitt, und die Montage ergeht sich nicht in oberflächlicher Addition („und dann und dann“), sondern sie ist ein atmosphärischer, bisweilen assoziativer Fluss aus dem Kern, den Charakteren, heraus.
Neue Wege: kein Krimi-Plot, kein Abhaken von Themen, die Charaktere machen‘s
Der Erzählfluss freilich wird erleichtert durch die übersichtliche Handlung, die keine Unzahl an Sub-Plots mitschleifen muss, das überschaubare Personal, die leicht poetisch verdichtete Sprache mit ihren klaren knappen Dialogen (siehe Kasten). Reduktion und Konzentration aufs Wesentliche sind für gewöhnlich nicht die Stärke deutscher historischer Mehrteiler. Ob die drei „Charité“- oder „Ku’damm“-Staffeln, ob „Tannbach“, „Die wunderbaren Jahre“, selbst für „Babylon Berlin“ gilt es zumindest tendenziell: Wenn es historisch wird, gibt es offensichtlich hierzulande die Verpflichtung, alles, was einem die Zeit beschert, ins Drehbuch zu packen. Diese Mehrteiler, so bemerkenswert sie im Rahmen deutscher Serienproduktion auch sind, werden vom Horizont der erzählten Zeit bestimmt (wie man ihn heute sieht!). Viel zu viel muss rein – und noch ein bisschen mehr. Julia von Heinz und ihr Autorenteam haken keine Themen ab, verzichten auf Krimielemente und konzentrieren sich auf die vier Hauptfiguren. Sie machen es anders als die Anderen. Neue Wege auch auf der Produktionsebene: Sowohl MOOVIE als auch UFA Fiction hatten vor einigen Jahren ein „KaDeWe“-Projekt in der Planung. Sie taten gut daran, die Kräfte zu bündeln. Das Ergebnis ist die aufregendste deutsche Serie seit langem. Da treffen sich Kino-Arthaus-Ästhetik und ein kluger subjektiver (weiblicher) Blick mit der Dringlichkeit des modernen Serienerzählens.
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Die Sprache der Serie ist klar, reduziert, mal sachlich, mal poetisch verdichtet.
Ein paar Beispiele:
Eine Frau als Taxifahrerin?! wundert sich Kriegsheimkehrer Harry. Replikt: „Haben Sie schon mal einen toten Mann Autofahren sehen.“
Wo bleibt bei flachen Schuhen die Erotik? fragt Harry. Replik: „Finden Sie es erotisch, wenn eine Frau nicht vernünftig laufen kann?“
Fritzis Bewerbungsgespräch: „Und ich bin lesbisch.“ Berlin-Aufkäufer Tietze, ihr künftiger Chef: „Das heißt, Sie würden nicht ausfallen wegen Schwangerschaft.“
„Lieber sterbe ich in der Hoffnung auf Liebe, als ein Arrangement zu treffen“.
„Immer wenn ein Jude ein Gleichnis erzählt, endet es damit, dass wir verloren sind.“
„Wir wollen nicht sein, wie man uns haben will.“
Fritzi zur nicht so begeisterten Hedi: „Aus dir ist das süßeste Wesen geschlüpft.“
Markante Dialogwechsel. Hedi: „Man kann sich seine Herkunft nicht aussuchen.“ Fritzi. „Seine Zeit auch nicht.“ Harry: „Ich geh weg.“ Fritzi: „Ich bleib hier.“
Harry: „Im Vergleich zum Universum sind wir wirklich kleine Ameisen.“ Hedi: „Aber jede Ameise hat eine Aufgabe.“ Harry: „Was wohl meine ist?“