“Ich wollte eine Frau, die die Leidenschaft einer Sophia Loren, die Ausdruckskraft einer Anna Magnani und die aufopfernde Liebe einer Mutter Teresa, doch vor allem die Sturheit eines anatolischen Esels besitzt”, sagt Buket Alakus. Für die Hauptrolle in ihrem Langfilm-Debüt “Anam – Meine Mutter” brauchte die türkische Regisseurin eine wirklich ganz besondere Schauspielerin, eine Frau, der es der Zuschauer abnimmt, dass sie sich aus den Zwängen ihrer türkischen Tradition zu befreien vermag. Die also in der Rolle der aufopfernden Mutter ebenso glaubwürdig ist wie in der der sich emanzipierenden Mittvierzigerin.
Anam ist eine Türkin, für die bisher der Wille ihres Mannes Gesetz war. Doch als sie eines Tages ihren Mann in flagranti mit einer ihrer Putzkolleginnen erwischt, bricht für sie eine Welt zusammen. Ihr Mann, der sie schon seit längerer Zeit betrügt, verlässt sie. Wenig später der nächste Schock: ihr Sohn Deniz ist mit einer Drogenvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden. Während der Sohn für den Vater “gestorben” ist, versucht die Mutter zu retten, was zu retten ist. So kümmert sie sich um Deniz’ drogensüchtige Freundin. Auch wenn es ihr alles andere als leicht fällt und sie dafür mit der konservativen Verwandtschaft brechen muss.
Am Anfang ist Anam Ehefrau, Putzfrau und Mutter. Am Ende ist sie nur noch eines davon – und sie ist vor allem eine Frau, die auf eigenen Beinen stehen kann und sich nicht länger von ihrem Mann die Welt erklären lassen muss. Doch bis dahin ist es ein dorniger Weg für jemanden, der bislang völlig in der eigenen, was die Geschlechterrollen angeht, rückständigen Kultur gelebt hat. “Ich will, dass meine Freundin kämpft, aber ich will auch, dass sie Spaß hat”, sagt ihre deutsche Freundin aus der Putzkolonne. Und so weicht eines Tages das Kopftuch der Lebenslust. Das spürt auch der sympathische Polizist (zurückhaltend: Leonard Lansink), der Anam, die endlich den Führerschein machen will, Fahrstunden gibt.
“Anam” ist eine Emanzipations-Geschichte voller menschlicher Dramen, doch Buket Alakus erzählt sie im Wechselspiel von Tragik, Lust und (Frauen-)Power. In ihr spiegeln sich stärker die Visionen der Filmemacherin, die in einer metaphorisch-poetischen Erzählweise ihren Ausdruck finden, als die Wirklichkeit türkischer Gastfamilien. Kraftvoll verkörpert Nursel Köse, die hier ihre erste Hauptrolle spielt, die Utopie des mehrfach preisgekrönten Films: eine Türkin, die kämpfen kann. “Was mich besonders glücklich gemacht hat”, so Alakus, “war die Tatsache, dass alle Zuschauer aus allen Nationen Anam, obwohl sie eine türkische Putzfrau ist, als Heldin akzeptiert und geliebt haben.” (Text-Stand: 25.7.2003)