Bruder – Schwarze Macht

Sibel Kekilli, Yasin Boynuince, Randa Chahoud. Geschwister wie Feuer & Wasser

Foto: ZDF / Gordon Timpen
Foto Volker Bergmeister

Gerade erst hat Sibel Kekilli die Rolle als „Tatort“-Ermittlerin aufgegeben, jetzt kehrt sie als Polizistin auf den Bildschirm zurück. In der vierteiligen Drama-Serie „Bruder – Schwarze Macht“ spielt sie eine Deutsch-Türkin, die sich zwischen zwei Kulturen mit unterschiedlichen Ansprüchen zu zerreiben droht. Während sie gut integriert ist, droht ihr jüngerer Bruder in die Salafisten-Szene abzurutschen. Sie will den Prozess der Radikalisierung stoppen. Brisant, packend, kontrovers, in der Figurenzeichung teilweise etwas holzschnittartig geraten.

Sibel, Deutsch-Türkin, Polizeibeamtin, verheiratet und Mutter, ist beruflich und privat bestens integriert. Der Job verlangt ihr einiges ab, vor allem ihr zu Selbstjustiz neigender Kollege André (Friedrich Mücke) setzt ihr arg zu, als sie ihn nach einem Gewaltausbruch gegen einen Beschuldigten anzeigt. Doch bei ihrer Tochter und ihrem Mann Kurt (Bjarne Mädel) findet sie Halt und Geborgenheit. Sibels Bruder Melih (Yasin Boynuince) tut sich deutlich schwerer, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Mit seinem besten Freund Tobi (Rouven Israel) hängt er meist in einem dubiosen Handyladen rum. Über Tobi kommt er bald in Kontakt mit der Salafistenszene. Der charismatische Imam Abu Nour und der Geschäftsmann Baris (Tim Seyfi) radikalisieren die beiden jungen Männer. Als Sibel durch den Verfassungsschutz über die Verbindung ihres Bruders zu radikal-salafistischen Kreisen informiert wird, will sie ihn da herausholen. Doch Melih taucht ab und bereitet mit Gleichgesinnten einen Anschlag vor. Um ihn zu aufzuhalten, riskiert Sibel alles – ihren Beruf, ihre Familie, ihr Leben.

Bruder – Schwarze MachtFoto: ZDF / Gordon Timpen
Die Kommissarin Sibel (Sibel Kekilli) will ihren Bruder Melih (Yasin Boynuince) daran hindern, weiterhin Unsinn zu machen.

Es ist ein brisantes und hochaktuelles Thema, dem sich das Autorentrio Ipek Zübert, Andreas Dirr und Raid Sabbah angenommen hat. Was bewegt junge Männer, sich zu radikalisieren und IS-Kämpfer zu werden? Daraus könnte man ein Belehrungsstück machen: Wir sagen euch wie es ist. Oder aber ein Lehrstück, das nicht versucht platte Erklärungen zu liefern, sondern sich mit Gründen auseinandersetzt und Strukturen beschreibt, ohne daraus den Anspruch abzuleiten, dass es deshalb so ist wie es ist. Die Autoren, die nach der Idee von Sabbah in einem Writersroom die Serie auf dem Höhepunkt des IS-Kampfes kreiert haben, sind sich – das zeigt der behutsame Umgang – bewusst, dass es ein hochsensibler Bereich ist, in dem sie sich bewegen, emotional aufgeladen durch die Attentate in Berlin und anderen europäischen Städten. An zwei unterschiedlichen Figuren zeigen sie den Weg in die Radikalisierung auf, an dem jungen Deutsch-Türken Melih und dem Deutschen Tobi. Beide suchen nach Anerkennung, fühlen sich als Außenseiter, sind frustriert. Was früher Sekten gelang, gelingt heute radikalen Salafisten: Sie fischen diese Suchenden mit ihrem Netz aus Versprechungen.

Das arbeitet die Miniserie gekonnt und geschickt heraus, auch wenn manche Figuren ein wenig holzschnittartig geraten sind. Der Hassprediger Abu Nour oder der üble Polizistenschläger André (Friedrich Mücke mal als richtiger Fiesling) sind eher funktionale Rollen. Weit mehr ausdifferenziert sind die beiden Hauptcharaktere. Da ist Sibel, liebevolle Mutter, engagierte Polizistin und couragierte Kämpferin für Gerechtigkeit (als sie ihren Kollegen anzeigt, obwohl sie weiß, dass sie dadurch nur Probleme bekommt), ist keine serien-übliche Heldin, sondern eine vielschichtig angelegte Figur. Sie droht sich beruflich wie privat zwischen zwei Kulturen mit unterschiedlichen Ansprüchen aufzureiben, agiert zwischen Ohnmacht und Wut, Mut und Geschwisterliebe. Und da ist Melhi, der rein will in diese Gesellschaft, aber mit Ablehnung (in einer Szene, als er vom Türsteher eines Klubs abgewiesen wird) nicht umgehen kann, naiv ist, wild ist, liebevoll mit seiner Nichte umgeht, im nächsten Moment wieder rebellisch gegenüber seiner Schwester reagiert.

Bruder – Schwarze MachtFoto: ZDF / Gordon Timpen
Filmisch dynamischer Einstieg. „Wo ist mein Bruder?“ Sibel (Sibel Kekilli) stürmt den Gebetsraum. „Bruder – Schwarze Macht“

Regisseurin Randa Chahoud, eine Deutsch-Syrerin, die schon die schräge Serie „Ion Tichy: Raumpilot“ (ZDF) mitentworfen und inszeniert hat, erzählt eine Familien- und Geschwister-Geschichte vor politisch-gesellschaftlichem Hintergrund. Wie geht eine Familie damit um, wenn ein Mitglied abgleitet? In welcher Lebens- und Gefühlswelt wachsen Migranten der zweiten und dritten Generation hier auf? Und wo sind die Grenzen der gesellschaftlichen und familiären Handlungsmöglichkeiten? Sie erzählt das konsequent aus der Innensicht Sibels, setzt weniger auf vordergründige Action. Chahoud lässt die Zuschauer eintauchen in das Denken zweier Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre Identität zu definieren. Die Gründe für Radikalisierung – Ausgrenzung, Demütigung, Ignoranz, beschädigte Autorität von Vaterfiguren, Rivalität mit der großen Schwester, die auch ein wenig Vaterersatz sein will – werden verdichtet und, darin liegt vielleicht eine kleine Schwäche, sehr verkürzt dargestellt. Aber die Regisseurin inszeniert diesen Prozess einer Radikalisierung von innen schlüssig.

Sibel Kekilli ist eine erstklassige Besetzung für diese Rolle. Nicht nur, weil sie auch eigene Integrationserfahrungen einfließen lassen kann, sondern weil sie solch brüchige und in sich zerrissene Figuren sehr glaubwürdig spielt. „Diese Rolle hätte ich nie bekommen, wenn ich noch Kommissarin im ‚Tatort‘ wäre. Auch weil ich vertraglich keine weitere Polizistenrolle hätte annehmen dürfen“, sagte Kekilli kürzlich in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung Der Standard. So fiel der Abschied nicht schwer, denn „Bruder“ ist ganz auf sie zugeschnitten, sie trägt die Geschichte, die aus Sibels Perspektive erzählt wird. Mit Yasin Boynuince hat sie einen starken Partner, der diese Wut eines Heranwachsenden sehr kraftvoll und ungekünstelt spielt. „Bruder – Schwarze Macht“ ist eine brisante, packende und kontroverse Dramaserie, in vier Folgen sehr zielstrebig und schnörkellos erzählt, die auch etwas über Kenntnislosigkeit und Vorurteile unserer Gesellschaft gegenüber dem Islam erzählen will, vorsichtig, aber nicht immer glücklich mit Stereotypen umgeht und Denkmuster zu erklären versucht. Und dann ist diese Mini-Dramaserie auch noch ziemlich spannend.

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ZDFneo

Mit Sibel Kekilli, Yasin Boynuince, Bjarne Mädel, Rouven Israel, Friedrich Mücke, Tim Seyfi, Hürdem Riethmüller, Tauhida Abd El-Latif, Thorsten Merten

Kamera: Florian Mag

Szenenbild: Florian Langmaack

Schnitt: Sebastian Thümler

Musik: Eike Groenewold

Produktionsfirma: Aspekt Medienproduktion

Produktion: Annett Neukirchen, Oliver Behrmann

Drehbuch: Raid Sabbah, Ipek Zübert, Andreas Dirr

Regie: Randa Chahoud

EA: 29.10.2017 21:45 Uhr | ZDFneo

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