Tatort – Verborgen

Möhring, Weisz, Moyo, Neelesha Barthel. Konzentrierter Fall, überzeugende Jubilare

Foto: NDR / O-Young Kwon
Foto Martina Kalweit

Zum zehnjährigen „Tatort“-Jubiläum widmet sich Fall 17 einem vertrauten Sujet. Wie schon einige Male zuvor ermittelt das Team der Bundespolizei im Geschäft von Schleuserbanden und dem Migrantenleben in der Illegalität. Dabei folgt das Team der Spur eines tot in einem LKW aufgefundenen Flüchtlings und hilft einem verzweifelten Elternpaar auf der Suche nach seinem Sohn. „Tatort – Verborgen“ (NDR / Wüste Film) ist ein nüchtern gehaltenes Drama, das auf waghalsige Alleingänge und moralische Schleifen verzichtet. Auf der Bildebene mit Parallelwelten arbeitend, erzählt der Film von der Annäherung zweier Väter, von Anteilnahme und Hilflosigkeit. Das Ermittler-Team hat nach zehn Jahren alle Manierismen abgelegt und überzeugt auf ganzer Linie. Zum Jubiläum möchte man ihnen spontan einen leichten Fall für zwischendurch wünschen, sonst aber unbedingt weiter in diese Richtung.

Familie Makoni lebt illegal in Deutschland. Dass das über Jahre funktionieren kann, ist traurige Realität. Die Fiktion lässt sich seit Jahren von Schicksalen wie dem der Makonis inspirieren: Zu Dramen, zu Krimis und zu TV-Dokumentationen, die versuchen Licht in eine verborgene Welt zu bringen. „Tatort – Verborgen“ hat von allen diesen Genres etwas. Dabei erzählen Julia Drache („Mein Freund, das Ekel“) und Sophia Ayissi genauso sicher und selbstverständlich von drei Menschen aus Simbabwe wie über zwei Ermittler, die durch ihren aktuellen Fall gezwungen sind, genauer hinzusehen. Die Autorinnen sind mit dem Thema des Fremdseins vertraut. Drache beispielsweise durch ihr Buch zu dem Kurzfilm „Watu Wote“, einer Geschichte aus dem Grenzgebiet zwischen Somalia und Kenia, die es 2017 auf die Shortlist des Oscar geschafft hat. Dass es in der Illegalität weniger um Träume als um Ängste geht, macht dieser „Tatort“ schnell klar. Der Titel weist den Weg: Verborgen, das bedeutet in der Küche eines Restaurants zu arbeiten und immer nur den Hintereingang zu benutzten. Es heißt, im Souterrain zwischen tapezierfähigen Wänden zu leben, an denen der Schimmel nagt. Es bedeutet, in Nachtschichten zu arbeiten und tagsüber gut gekleidet zu sein, um nicht aufzufallen. Es bedeutet, unter dem Frachtraum eines LKWs im Paletten-Kasten auf die Reise zu gehen – oder darin zu sterben.

Die klassischen, vorwiegend nächtlichen Arbeitsorte der „Papierlosen“ setzt Regisseurin Neelesha Barthel realitätsnah in Szene. Jon Makoni (Alois Mojo) arbeitet auf dem Großmarkt oder auf dem Bau, seine Frau Hope (Sheri Hagen) putzt im Büroturm, ihr vermisster Sohn Noah arbeitet in der Gastronomie. Nach den ersten Szenen in einer weiß gekachelten, im Neonlicht gleißenden Spülküche, in der fast nur Menschen schwarzer Hautfarbe arbeiten, fährt die Kamera an der verglasten Fassade des dazugehörigen Restaurants entlang. Nach vorne raus wird zwischen samtenen Vorhängen serviert, unter Kronleuchtern gespeist, in sanft arrangiertem Licht getrunken. Kleiner Tipp: Werfen Sie beim nächsten Besuch im Restaurant (es kann auch die einfache Pizzeria sein) mal einen Blick in die Küche. Da arbeiten die, die noch keine Facharbeiter sind und auch selten welche werden. Ohne sie hätte die Gastronomie in Deutschland ein echtes Problem. Neben den in diesen Bildern präsenten Vorder- und Rückseiten paralleler Welten blitzen in den Dialogen immer wieder Details auf, die das Bild gar nicht brauchen. Wenn der Tote im Paletten-Kasten des LKW nicht identifiziert werden kann und die Kollegin erklärt, dass dessen Fingerkuppen extra aus diesem Grund abgeschliffen wurden, dann läuft der Film dazu im Kopf des Zuschauers automatisch ab.

Tatort – VerborgenFoto: NDR / O-Young Kwon
Ein Bild, das nicht nur bei Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) nachwirkt. Wegen abgeschliffener Fingerkuppen ist es schwer, die Identität des Toten festzustellen. War der junge Mann auf der Durchreise in Richtung England?

Denen, die tagaus, tagein mit „Illegalen“ zu tun haben, ist das alles geläufig. Die Kripo, die Spusi, die Polizei vor Ort, die Sanitäter, die Spediteure. „Mein Sohn ist seit acht Tagen weg“, sagt Jon Makoni, nachdem er sich überwunden hat, gegen den Willen seiner Frau zur Polizei zu gehen. „Ohne Ausweis nichts zu machen“, antwortet der Beamte. So einfach ist das erstmal. Ein Glück für Jon, dass ein paar Glaswände weiter die Ermittler Julia Grosz (Franziska Weisz) und Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) von der Bundespolizei aus Bremen in Hannover zu Gast sind. Immer wieder wählt die Kamera den Blick durch diese gläsernen Wände in der Behörde. Selten blickt dahinter jemand auf. Alle sind in ihren Routinen verfangen. Auch Grosz und Falke. Sie sind hier, um im Todesfall eines unbekannten Migranten zu ermitteln. Die Begegnung mit Jon Makoni ist eher ein Zufall.

„Tatort – Verborgen“ setzt eine Reihe von Begegnungen in Gang. Während Julia Grosz mit der Mutter des vermissten Noah aneinandergerät und auch später, in der Rolle als Vermittlerin, immer auf Distanz bleibt, kommen sich Vater Makoni und Ermittler Thorsten Falke schnell näher. Falke erkennt die Verzweiflung seines Gegenübers sofort. Er setzt sich ihm nicht gegenüber, sondern rückt nah an ihn heran. Er stellt klar: „Papiere sind jetzt nicht so wichtig“. Bei der zweiten Begegnung rückt auch die Kamera näher an die Gesichter der Männer heran. Auf dem Revier sind sie von grau-blauem Bürolicht umgeben. Trotz all dem Glas, den Blick nach draußen verhindern die amtlichen Lamellen-Rollos. Auch das ändert sich. Wenn sich die beiden in der vertrauten Umgebung von Makoni treffen, werden die Farben satter und wärmer. Wenn der Mann aus Simbabwe von seiner Ankunft in Deutschland und von dem Unglück seiner Frau erzählt, liest die Kamera Falkes Reaktion per Großaufnahme von dessen Gesicht ab. Das Vertrauen, das die beiden in dieser Dramaturgie zueinander aufbauen, wird Jon Makoni bei ihrer letzten Begegnung retten.

Mit dieser Chronologie von Begegnungen wandelt der 17. Fall des Teams auf sicherem Terrain. Wie Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz „face to face“ mit einem Gegenüber überzeugen, bewiesen zuletzt die kammerspielartigen Vernehmungen in „Tatort – Alles, was sie sagen“. Im Gegensatz zu dem Fall aus dem Jahr 2018 kommt das Ermittlerduo inzwischen ohne Konkurrenz oder gegenseitiges Misstrauen aus. So lenkt im aktuellen Fall nichts von der Arbeit ab. Alles konzentriert sich auf die Geschichte zweier junger Männer, die ihren Traum vom Glück in der Fremde mit dem Leben bezahlen. Bis auf zwei Nebenhandlungsstränge, die etwas mehr Erklärung verdient hätten, überzeugt „Tatort – Verborgen“ als stiller Kommentar auf ungeklärte Fragen. Und er beweist, dass die Fiktion näher an die Realität heranrücken kann, ohne an Intensität zu verlieren. Schwer vorstellbar, dass Falke oder Grosz in einem ihrer Fälle als Retter in der Not die Schwelle zum Privaten überschreiten, etwa einen Flüchtling oder, die beliebteste Tatort-Variante, ein Flüchtlingskind bei sich verstecken. Dieser NDR-„Tatort“ handelt nicht mit hilflosen Opfern und herzensguten Rettern. Der Fall erzählt von der Hilflosigkeit auf beiden Seiten. Am eindrücklichsten, wenn Falke sowohl Vater Makoni als auch Sam, einem Freund des vermissten Noah, eine „Duldung“ in Aussicht stellt. Möhring spricht das unsicher, fast verlegen aus. Eine Duldung sichert keine Existenz. Sie zementiert den Wartezustand. Wer wüsste das besser als ein Beamter der Bundespolizei?

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Reihe

NDR

Mit Franziska Weisz, Wotan Wilke Möhring, Alois Mojo, Sheri Hagen, Philipp Baltus, Ben Andres Rumler, Rebecca Rudolph, Michael Lott

Kamera: Christian Marohl

Schnitt: Ramin Sabeti

Musik: Maurus Ronner

Soundtrack: Bob Marley („Zimbabwe“), Bonga („Mona Ki Ngi Xica“), Aya Nakamura („Tchop“)

Szenenbild: Sabine Dotzauer

Redaktion: Donald Kraemer (NDR)

Produktionsfirma: Wüste Medien

Produktion: Björn Vosgerau

Drehbuch: Julia Drache, Sophia Ayissi

Regie: Neelesha Barthel

Quote: 8,45 Mio. Zuschauer (27,8% MA)

EA: 16.04.2024 20:15 Uhr | ARD

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