Mit kräftigen, gelbgesättigten Bildern aus der kasachischen Steppe beginnt dieser Film visuell verheißungsvoll. Getreidefelder, staubige Hitze, junge Männer und Frauen, die in einem klapprigen Bus miteinander flirten. Es ist der August 1989, noch gehört Kasachstan zur Sowjetunion, die Ernte wird für eine staatliche Sowchose eingefahren. Deren Direktor hat eine hübsche Tochter, Lena, die als Medizinstudentin nach Höherem strebt und dem attraktiven Georg den Kopf verdreht. Georg wiederum ist ein vielseitig begabter junger Mann, einer, der mit den Händen zupacken kann und zugleich als Lehrer arbeitet. Und der säckeweise Korn beiseite schafft, um seinem alten Onkel über den Winter zu helfen. Die Musik kommt von Kassetten oder wird am Lagerfeuer selbst auf der Gitarre gespielt.
Dass hier mehr als eine romantische Liebesgeschichte aus vergangener Zeit erzählt wird, darauf verweist anfangs nur das sprachliche Wirrwarr. Mal sprechen die Darsteller Russisch, mal ein mehr oder weniger perfektes Deutsch. Das ist nicht etwa einer halbherzigen redaktionellen Entscheidung geschuldet, sondern ein authentisches Detail: Im Mittelpunkt des Films stehen die sogenannten Russlanddeutschen, die zu Beginn der 1990er Jahre im Zuge der Öffnung der Sowjetunion in der Gorbatschow-Ära ausreisen durften und in Deutschland Fuß zu fassen versuchten. In Kasachstan sind sie die Deutschen, deren Landsleute einst in die sowjetische Heimat einfielen, und in Deutschland die Russen, die arm und rückständig sind. An beiden Orten gehören sie nicht wirklich dazu. Ein Film über Heimatlosigkeit, kulturelle Identität und die Schwierigkeiten der Integration also. Autorin und Regisseurin Anna Hoffmann ist selbst in Kasachstan geboren und wanderte mit ihrer Familie 1990 nach Deutschland aus. Bisher drehte sie vor allem Dokumentarfilme. „POKA heißt Tschüss auf Russisch“ ist Hoffmanns – vom Kleinen Fernsehspiel koproduziertes – Spielfilm-Debüt. Einen Kino-Verleih fand der 2014 beim Max-Ophüls-Festival uraufgeführte Film allerdings nicht.
Foto: ZDF / Andreas Höfer
Die Liebe zwischen Georg (Pavlo Pasha Antonov) und Lena (Natalia Belitski) gefällt den Vätern nicht. Für Georgs Vater Alexander (Jurij Rosstalnyi), das Oberhaupt der deutschstämmigen Familie Weber, hat es „die Russin auf uns abgesehen“. Sie würde am liebsten schwanger werden „von einem dummen, kleinen Deutschen mit Ausreisepapieren“, behauptet er. Denn Deutschland ist der Sehnsuchtsort, und wer ausreisen darf, wird beneidet und prahlt mit seinen Träumen. Tatsächlich ist Lena bereits schwanger, und ihr Vater, Sowchose-Direktor Paschkin (Gennadi Vengerov), schleppt sie eigenhändig zur Klinik, damit sie das Kind abtreiben lässt. Georg platzt in beinahe letzter Sekunde ins Behandlungszimmer und macht seiner Lena einen Heiratsantrag. In prägnanten, zum Teil komischen Nebenrollen sind Thomas Pabst als Georgs Bruder Mischa und Regina Kletinitch als seine Frau Lusja zu sehen. Ihren schönsten Moment haben sie, wenn sie am Lagerfeuer ein Duett anstimmen.
Mit der Übersiedlung der vielköpfigen Familie Weber nach Deutschland beginnt im Grunde ein zweiter Film, auch in ästhetischer Hinsicht. Der Übergang gelingt auf simple Weise elegant und humorvoll: Der Umzug wird mittels eines Umschnitts erzählt, vom fast leeren kasachischen in den üppig bestückten deutschen Kühlschrank. Staunend stehen die Aussiedler davor. Das Angebot an Waren und Lebensmitteln ist nun tatsächlich reich, aber sonst erweisen sich die Träume von Glück und schnellem Wohlstand als Illusion. Das bringt schon das kontrastreiche Szenenbild zum Ausdruck: Statt weiter Steppe eine Turnhalle mit engen Kojen für jedes Paar, statt einer von Landwirtschaft und bescheidenen Mitteln geprägten, urwüchsigen Umgebung eine kalte, betonierte Schulhof-Welt. Georg und Lena spazieren voller Sehnsucht an den hell erleuchteten Fenstern vorbei. Dass sich dort ein Paar in die Wolle kriegt, ist für sie unbegreiflich: „Wie kann man nur streiten in so schönem Haus“, sagt Lena.
Das Drehbuch arbeitet sich nun etwas angestrengt durch die verschiedenen Facetten des Alltagslebens in der Fremde, von Hakenkreuz-Schmierereien bis zur Kehrwoche-Pflicht. Der Film verliert dabei ein wenig an Schwung, die Inszenierung wirkt bisweilen holprig und manches Detail wie das Gespräch der Männer in der Mittagspause über Emanzipation und Alice Schwarzer wie ein Aspekt, der auch noch irgendwie eingebaut werden muss. Trotz solcher dramaturgischer Schwächen vermittelt der Film aber einen starken Eindruck vom Lebensgefühl der Aussiedler, die nach der Wende in den Westen geholt, aber keinesfalls mit offenen Armen empfangen wurden. Da gelingen Anna Hoffmann einprägsame Szenen: Zum Beispiel im Arbeitsamt, wo Georg und Lena erfahren müssen, dass ihre sowjetischen Abschlüsse keinen Pfifferling wert sind. Und wenn sich der Schulleiter für seine rabiaten Schüler entschuldigen muss, kann der Rektor (herrlich garstig: Patrick von Blume als schwäbischer Kleinbürger) seinen Widerwillen nur mit Mühe bezwingen.
Foto: ZDF / Andreas Höfer
Sicher ist es etwas simpel erzählt, wie sich Georg am Ende dann doch Respekt bei Schülern und Schulleiter erarbeitet. Aber Hoffmann beschönigt wenig, die Aussiedler sind auch bemerkenswert naiv, stur und können ihre mitgebrachten Konflikte nicht überwinden. Lena bleibt als Tochter des russischen Sowchose-Direktors Außenseiterin unter Außenseitern. Sie lässt sich von einer Versicherungsagentin umgarnen und drängt ihren Mitbewohnern Verträge auf. Georg träumt davon, seiner Familie an der Ostsee ein Haus zu bauen. Aber ohne Aussicht auf einen gut bezahlten Job verliert er langsam Hoffnung und Selbstachtung. Dass sich seine Frau emanzipiert, verträgt er auch nicht besonders. Vater Alexander erweist sich schließlich als wahres Familien-Oberhaupt, doch die kulturellen Differenzen lassen sich nicht ohne weiteres überwinden. „POKA heißt Tschüss auf Russisch“ ist sicher kein perfekter, aber ein kenntnis- und erkenntnisreicher, sympathischer Film. (Text-Stand: 12.8.2016)