„Großmutter hat gesagt: ‚Kindchen, unter Wasser siehst du den Mann, den du liebst!’.“ Die Ukrainerin Lenka kommt dem Mann ihrer Träume, dem Polizisten Marek Gorsky, in der ersten Folge der 10-teiligen Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ bereits ziemlich nahe. Mit Blicken. Doch das war es dann erst mal mit der Liebe. Fortan übernehmen das organisierte Verbrechen im Schmelztiegel Berlin und dessen Gegenkräfte beim LKA das Kommando. Opfer und Täter, korrekte und korrupte Gesetzeshüter treffen auf die Härte sich gegenseitig bekriegender russischer Mafia-Banden, slawisches Neureichentum stößt auf die naiven Träume ukrainischer Mädchen.
Foto: ARD / von Vietinghoff
Geschichten mit „Seele“
Dominik Grafs Polizeifilm-Serie erregte bereits im Vorfeld Aufsehen. Die Produktionsfirma Typhoon ging an den Produktionskosten kaputt – und die beteiligten Sender strichen bei der diesjährigen Berlinale den Ruhm ein. „Im Angesicht des Verbrechens“ ist denn auch keine „normale“ Serie. Es ist eine Mini-Serie in zehn Episoden, eigentlich ein 500-minütiger Langfilm in Portionen aufgeteilt. Anders aber als beispielsweise „KDD – Kriminaldauerdienst“ verzettelt sich diese mafiose Cop-Saga nicht im Kleinklein einer – keine Frage – innovativen Erzählform. Gilt es bei „KDD“ das dramaturgische Anderssein dieser Serie zu feiern, so besitzen Rolf Basedows Geschichten eine „Seele“ und sein Drehbuch eine Qualität, die sich sowohl in brillant erzählten Details als auch in großen Bögen widerspiegelt. Der klassische Polizeifilm wird verdichtet und veredelt durch eine ausgeklügelte multiperspektivische Dramaturgie. Basedow und Graf versöhnen so Genre-Tradition mit Serien-Moderne.
Ausnahmeregisseur Dominik Graf
Dass Dominik Graf, der dieses Jahr seinen achten Grimme-Preis bekam, der beste deutsche Regisseur ist, dass er magische Momente zaubern kann, dass er ein Händchen für Besetzung, Musik und Zwischentöne jeder Art hat und vor allem ein außergewöhnliches Gespür für Rhythmus besitzt, weiß man. In „Im Angesicht des Verbrechens“ darf er all das zeigen – und er tut es: uneitel, nie verliebt in Effekte und Ästhetik, immer so, dass man als Zuschauer staunend im Moment verweilt, ohne dabei das große Ganze aus dem Blick zu verlieren. Und so erzeugt er einen Sog, den seine zuletzt eher spröden Meisterwerke „Kommissar Süden“ oder „Das Gelübde“ nicht besaßen. Mit Max Riemelt setzte er auf einen charismatischen Jungschauspieler, der durchaus auch als der nette Junge von nebenan durchgehen könnte und der im Schulterschluss mit Ronald Zehrfeld dem Männergenre durchaus ein paar Frauen mehr als vergleichbare Serien zuführen dürfte. „Max Riemelt kann hervorragend innere Konflikte spiegeln. Sein Gorsky wirkt wie ein ehrlicher, direkter junger Mann und trotzdem ist er auf der Flucht vor Gespenstern in seiner Seele“, beschreibt ihn Graf.
Foto: ARD Degeto / von Vietinghoff
Dominik Graf über Rolf Basedows Drehbuch:
„Ich habe keine Botschaft, selten ein Anliegen. Ich verliebe mich nur in Drehbücher. Die Art wie Rolf Basedow diese Welt beschreibt, scheint mir absolut einzigartig: voller Gegensätze, unmoralisch und moralisch gleichzeitig, wild in den Details, eine bittersüße Welt, traurig und sexy, verlogen und gnadenlos ehrlich in einem. Basedow hat sorgsam im Milieu der kriminellen Strukturen recherchiert. Er kennt die Spielregeln, die Gewohnheiten, die Sprache.“
Ausnahmeautor Rolf Basedow
Auch wenn „Im Angesicht des Verbrechens“ (Trailer) als Serie von Dominik Graf in die Fernsehgeschichte eingehen wird, ist diese ARD/Degeto/Arte-Koproduktion mindestens ebenso eine Serie von Rolf Basedow. Die Art und Weise, wie er Szenen nutzt, um in ihnen etwas über die Charaktere auszusagen, um die Handlung in Gang zu setzen oder weiterzutreiben oder wie er den Szenen auch einen poetischen oder beiläufig sozialkritischen Mehrwert gibt – das ist eine Verdichtungs- und Spiegelungskunst, die man so vielschichtig nicht einmal in amerikanischen Premium-Serien findet. Die Methode, Tempo zu machen und dabei dennoch die einzelnen Sequenzen lang und psychologisch tief auszuspielen, ist ihm besonders in der Auftaktfolge mustergültig gelungen. Eine Serien-Exposition kann nicht besser sein. „Berlin ist das Paradies“ ist die umfassende Einführung in ein komplexes urbanes Milieu und in eine horizontal erzählte Serie, die nicht kompliziert wirkt, weil sie sich auf das Wesentliche konzentriert. Der Zuschauer bekommt eine Ahnung, was ihn erwartet, er bekommt einen ersten Einblick in die unterschiedlichen Lebenswelten und Ethnien, in die regellose Gier bei den einen und die Suche nach Glück und Gerechtigkeit bei den anderen. Man entwickelt erste Sympathien und Antipathien für die verschiedenen Protagonisten. Die ersten 50 Minuten sind ein Versprechen, das in den weiteren Folgen eingelöst wird.