Laufen ist seine Leidenschaft. Johann Rettenberger ist erfolgreicher Marathonläufer und Bankräuber. Alles muss dieser Mann unter Kontrolle haben. Er richtet seinen Körper ab, trimmt ihn auf Mensch-Maschine. Nüchtern und präzise misst er Herzfrequenz, Belastung, Ausdauer und Effektivität – bei Trainingsläufen ebenso wie bei den Banküberfällen. Keine große Planung, die Aktion ist der Kick und seine Beine sind sein höchstes Gut. Eine lockere Beziehung pflegt Rettenberger zu Erika, bei der er auch wohnt. Als sie entdeckt, dass er der Serienbankräuber ist, der Niederösterreich unsicher macht, setzt sie ihn vor die Tür. Später verrät sie ihn sogar. Für den Getriebenen ist das kein Problem: Man wächst mit seinen Aufgaben. Er wird verhaftet, er bricht aus, verfolgt von Heerscharen an Polizeieinsatztrupps flüchtet er in die Berge und mutiert zu einem animalischen Instinktwesen – und schließlich rettet er sich schwer verletzt auf die Autobahn. Bewegung bis zum Ende.
„Es ist ein begrüßenswerter Registerwechsel, wenn ein Regisseur der Berliner Schule sich aus dem Einfluss Robert Bressons löst und einmal mit dem Melvilles liebäugelt.“ (Gerhard Midding, Der Freitag)
Kann es für einen solchen Endorphin-Junkie Erlösung geben? Wie endet alles für einen, der kein Ziel kennt – außer in Bewegung zu sein. Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“ nach dem gleichnamigen Roman von Martin Prinz und „nach einer wahren Begebenheit“ wirkt wie eine deutsche Arthaus-Variante des US-Independent-Hits „Drive“, wie ein Ausflug der sogenannten „Berliner Schule“ ins Genrefach der (Melvilleschen) Gangsterballade. Wie ein Uhrwerk wird die innere Logik dieser Geschichte vom obsessiven Einzelgänger abgespult, welcher die (Leis-tungs-)Gesellschaft mit seinen eigenen Höchstleistungen herausfordert. Heisenberg scheint ein ähnlicher Perfektionist zu sein wie seine Hauptfigur. Selten sieht man im deutschsprachigen Film solch eine stimmige Komposition aus Geschichte und formaler Gestaltung. Bewegung, ein Urprinzip des Kinos, ist ganz und gar Thema und Schlüssel zu diesem Film. Dieser Rettenberger braucht die Bewegung, wie die Luft zum Atmen. Filmisch besonders fulminant sind die Fluchten zu Fuß, die dem Kameramann Reinhold Vorschneider sichtbar viel abverlangten. Aber auch die Bewegung auf der Tonspur reißt einen oft sehr abrupt und effektiv aus den gelegentlichen Ruhemomenten. Das Sounddesign wummert, Splitter von Dudelfunk-Plastikpop peitschen den Helden von Raub zu Raub und die Montage von Bild und Ton sorgt für weitere Beschleunigung. Zusammengehalten wird das Ganze durch die schweißtreibende, atmungsaktive Physis von der Hauptfigur & deren Darsteller Andreas Lust.
Heisenbergs „Der Räuber“ aber zeichnet mehr aus als ästhetische Raffinesse und ein furioser Rhythmus. Das Besondere ist, wie es dem Österreicher gelingt, ohne die simplen Mittel der Identifikation den Zuschauer an die Geschichte und ihren Helden zu binden. Trotz der kühlen Konstruktion – dieser Film und dieser tragisch Getriebene lassen einen nicht kalt. Momente von Nervenkitzel und Entschleunigung wechseln sich ab. Spätestens im Schlussviertel befindet man sich als Zuschauer „auf der Seite“ des Bankräubers, der als Figur zunächst unzugänglich blieb. Durch sein Tun kam er einem näher. Am Ende hat man ihn „verstanden“, man weiß, wie er tickt, ist bei ihm. Und nichts bewegt sich mehr – nur der Scheibenwischer.