Die Freundinnen Kim (Friederike Becht) und Maja (Nina Gummich) jobben als Hostessen beim exklusiven Hamburger „Gentlemen’s Evening“. Der Nebenverdienst erlaubt es den Physiotherapeutinnen, sich den Traum von einer gemeinsamen Praxis zu erfüllen. Der Job ist gut bezahlt, dafür erträgt man schon mal kleine Anzüglichkeiten. Doch jetzt ist Schluss damit. Das Geld für die Kaution der Praxisräume ist zusammen. An ihrem letzten Abend nimmt Maja noch einen Absacker an der Hotelbar, während sich Kim von Max (Jan Krauter), einem Schulfreund, den sie zufällig auf der Elite-Veranstaltung getroffen hat, nach Hause fahren lässt. Während dieser äußerst sympathische Anwalt sich Zeit lässt bis zum ersten Date, gerät Maja in dieser Nacht an den Falschen. Orientierungslos erwacht sie am nächsten Morgen in einer Hotelsuite, wo sie gerade noch ihren Peiniger verschwommen erkennt. „Das war ‘ne heiße Nummer“, meint dieser; sie hingegen kann sich vor Schmerzen kaum rühren. Nachdem sich Maja ihrer Freundin anvertraut hat, bei der Polizei und bei der Frauenärztin war, will sie nun seelisch wieder auf die Beine kommen, während Kim beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Von Max erfährt sie, dass es sich bei dem Vergewaltiger um den steinreichen Lukas Berger (Ulrich Brandhoff) handeln muss. Es trifft sich gut, dass Max Anwalt ist.
„Der strukturelle und systemimmanente Sexismus in Unternehmen und unserer Gesellschaft ist durch #MeToo längst nicht verschwunden. Das Problem ist vermutlich viel größer: Missbrauch und Übergriffe begünstigende Organisationsstrukturen, patriarchalische Machtstrukturen, Männerbünde – wie jüngst die Ko.-Tropfen-Attacke bei einem SPD-Fest und Übergriffe im Springer Verlag zeigen.“ (Heike Wiehle-Timm, Produzentin)
Für das TV-Drama „So laut du kannst“ hat sich Autorin Sophia Krapoth von wahren Ereignissen aus England inspirieren lassen. Das „Presidents Club Charity Dinner“ fand 33 Jahre in einem Londoner Nobelhotel statt, bis die Financial Times Übergriffe öffentlich machte und damit für das unrühmliche Ende des Benefiz-Events sorgte. Auch das hanseatische „Gentlemen’s Evening“ ist ein exklusives Treffen, bei dem sich einflussreiche Männer aus der Wirtschaft einen Abend lang von jungen, hübschen Frauen bedienen lassen. „Haben Sie Spaß, flirten Sie, machen Sie das Beste aus dem Abend“, fordert die Agenturchefin (Gesine Cukrowski) ihre Hostessen auf. „Ihr Dienst endet um 1.00 Uhr nachts. Was Sie danach machen, bleibt Ihnen selbst überlassen.“ Klingt zweideutig, ist aber noch kein Freischein für männliche Übergriffe. Der verantwortliche Veranstalter (Peter Lohmeyer) gibt sich betroffen, um der unangenehme Fragen stellenden Kim wenige Minuten später mit einem Prozess wegen übler Nachrede zu drohen. Obwohl sie weitere Frauen ausfindig machen kann, die in den letzten Jahren nach einem dieser so kultiviert begangenen Events vergewaltigt wurden, wird sie das „Gentlemens Evening“ eher nicht zu Fall bringen. Dafür ist Kim zu wütend, ihr Kampfgeist zu zügellos, ihre gesellschaftliche Position viel zu unbedeutend. „Mein Wort gegen das einer billigen kleinen Schlampe, die für Geld mit dem Arsch wackelt.“ Selbst ein solches Statement auf Video vermag wenig auszurichten gegen die Macht der Männerbünde.
„Aus dem detektivischen Aufdecken des stillschweigenden Wissens aller Beteiligten um die Machenschaften und aus den vielen kleinen Puzzleteilen ergibt sich die anschwellende Spannung dieses Films. Die Hauptfigur ist schließlich fassungslos, in Anbetracht der flächendeckenden Ignoranz und vor allem Akzeptanz des offensichtlichen Verbrechens, der trügerischen Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der ihr nächstes Umfeld das Thema zunehmend vom Tisch wischt.“ (Esther Bialas, Regisseurin)
„So laut du kannst“ ist ein Film, deren Macherinnen sich trotz eines mutmachenden Ausblicks im Gegensatz zu den häufig auf Rache oder blauäugige Lösungen fixierten Vergewaltigungs-Plots aus Hollywood der bitteren Wirklichkeit verschrieben haben. So werden zwei Frauen gezeigt, die sehr unterschiedlich mit der Vergewaltigung umgehen. Da ist die direkt Betroffene. Nach dem Gefühl der absoluten Ohnmacht, dem Verlust ihrer Würde will sie ihr verlorenes Urvertrauen wiedererlangen, möchte über die psychische Heilung ihre Opferrolle ablegen. Kim dagegen will kämpfen. Sie will gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, denkt an die anderen Frauen, die Opfer werden, wenn sie wegguckt und schweigt. Irgendwann aber hat sie nur noch ihren Kampf im Kopf, übergeht die Bedürfnisse ihrer Freundin – und wird dabei selbst übergriffig. Die Hauptfiguren beleuchten nicht nur zwei verschiedene Standpunkte, die zunehmend angespannte Beziehung der Freundinnen gibt der Geschichte einen zusätzlichen Antrieb. Besonders bemerkenswert, dass beide Haltungen nachvollziehbar sind und von Krapoth, die von drei weiteren Autor*innen unterstützt wurde (Isabel Kleefeld, Lilly Bogenberger, David Weichelt), und Regisseurin Esther Bialas („Another Monday“, „Komm schon!“) nicht gegeneinander ausgespielt werden. Außerdem deutet die Geschichte an, dass die Haltung auch eine Frage der Zeit sein kann. Die heilt zwar nicht alle Wunden, aber sie kann einen Perspektivwechsel bewirken. In der Regel sind vier Autor*innen, die an einem Fernsehfilm beteiligt sind, kein gutes Zeichen. Vielleicht aber ist bei „So laut du kannst“ die Narration gerade wegen der vielen Köche und Köchinnen so dicht, so komplex (was zum Teil auch die Zeichnung der Männer angeht) und multiperspektivisch geworden.
„Ich werde eher als starke, toughe Power-Frau gesehen, die schnell die Klappe aufreißen kann. Ehrlich gesagt, hätte ich eher die Anfrage für die Rolle der Kim erwartet, die kämpferisch versucht, sich fürs Gute einzusetzen und nicht locker lässt. Warum? Weil das die letzten Jahrzehnte in der Filmbranche gang und gäbe war. Opfer müssen schmal und blass und flüsternd sein, einer starken Frau würde so ein sexueller Übergriff vielleicht nicht passieren.“ (Nina Gummich)
Auch filmästhetisch hat der Film viel zu bieten. Es beginnt in einem edlen Look, der maßgeblich getragen wird von den Luxus verströmenden Schauplätzen. Gedämpfte Stimmung, gedimmtes Licht. Eine schöne Oberfläche, eine falsche Fassade. Dieses Hamburg der Reichen bietet besonders bei Nacht den Augen der Zuschauer*innen ein Bild der Verführung. Auch die beiden Heldinnen finden es an ihrem letzten Abend fast schade, dass es für sie keine Ausflüge in diesen Glamour-Kosmos mehr geben wird. Zugleich aber macht Kim deutlich, dass die Welt, in der sich Max als Anwalt bewegen muss, sie nicht interessiert. Dass sie das Abendessen mit ihm in einem Nobelrestaurant genießt, das hat mehr ihm zu tun. Und die bodenständige Maja dürfte als ein Opfer von männlichem Machtmissbrauch und Vergewaltigung wohl für immer dieser Welt abgeschworen haben. Mit der Aufarbeitung der verhängnisvollen Nacht sind die beiden Frauen wieder ganz bei sich – in ihren sozialen Milieus und den eigenen vier Wänden. Jetzt dominieren Braun-Beigetöne, Alltagskleidung ist angesagt, entsprechend gemischt die Farbpalette. Die Bildgestaltung (Martin Neumeyer) ist geschmackvoll und abwechslungsreich. Leben und Kraft steckt in den Bildern, häufig spiegeln sich die Stimmungslagen der beiden Frauen auch visuell. Immer wieder geht die Kamera nah ran an die Gesichter, erkundet im Mienenspiel die differenzierten Gefühlslagen. Und bei Friederike Becht und Nina Gummich gibt es sehr viel zu entdecken. „So laut du kannst“ ist ein Film über eine Vergewaltigung, ihre Folgen und über zwei Freundinnen, die sich ob der Tat beinahe verlieren – aber eben auch ein Schauspielerinnen-Film. (Text-Stand: 27.10.2022)