Ein unheimliches Haus, in dem angeblich noch immer der Geist einer vor 30 Jahren Verstorbenen umgeht, eine Seherin (Sabine Vitua), die mit Toten Kontakt aufnimmt und mit einer Botschaft aus dem Jenseits bei den Herrschaften vom Fach, dem Bestatter-Duo Töteberg (Stephan A. Tölle) und Bleckmann (Regine Hentschel), für einige Irritationen sorgt. Was sollen zwei rationale Polizeibeamte wie Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) und Hannah Wagner (Jana Klinge) mit solchen Informationen anfangen? Jule Christiansen (Marleen Lohse) ist hingegen schon empfänglicher für übersinnliche Phänomene, besonders auch, weil sie jene Inge Nolden, die sich – wie man sich erzählt – damals aus Kummer erhängt haben soll, nachdem sie von ihrem treulosen Mann verlassen wurde, gut kannte: Sie war nach dem Tod ihrer Mutter so etwas wie eine Ersatzmutter für sie. Und dann wird aus der Drohung bei der abendlichen Séance bittere Wahrheit: Die junge Frau (Joanna Kitzl), die erste Bewohnerin seit dem vermeintlichen Selbstmord, baumelt nun ebenfalls im Dachstuhl des Nolden-Hauses. Die Stimmung schlägt um, wird immer beklemmender. Was weiß der Besitzer des Hauses, Inge Noldens Bruder (Dirk Böhling), der ebenfalls Gast bei der ominösen Geisterbeschwörung war? Welche Rolle spielen seine Frau, die einst den Suizid festgestellt (Heike Hanold-Lynch) hat, und Maike Bülow (Anna Grisebach), die heftig um ihren verstorbenen Vater trauert?
Es war noch nie ein Problem, wenn nassforsche Killer in Schwanitz einfallen, cool ihr schallgedämpftes Handwerkszeug auspacken und ihren Job machen. Wenn aber Grusliges, Mystisches und Unheimliches die Oberhand gewinnen, fühlt sich ein Großteil des deutschen Fernsehpublikums unangenehm berührt. Während in internationalen Fantasy- und Horror-Serien es nur so wimmelt von Gestaltwandlern und menschlichen Körpern, die vom Bösen in Besitz genommen werden, hält man sich hierzulande in Primetime-Produktionen mit dem Fantastischen zurück. Vampire („Blut“) und ein Geisterhaus („Fürchte dich“) gab es im „Tatort“, und 2024 feierten Blutsauger in jungen Serien bei Joyn („Der Upir“) und ZDFneo („Love sucks“) ihre Premiere. Neben diesem Rezeptionsphänomen, dass die älteren Zuschauer ihre (Krimi-)Gewohnheiten lieben, gibt es aber auch ein dramaturgisches Problem: Wenn das Sujet des Übernatürlichen in Geschichten und Welten eindringt, die als realistisch empfunden werden und in denen Alltag und (Dreiecks-)Beziehung wie ein wiederkehrendes Ritual durchgespielt werden, wie das in „Nord bei Nordwest“ der Fall ist, erweist sich diese Kombi als schwierig, widersetzen sich doch die paranormalen Kräfte der Krimi-Logik. Wie löst man solche Geschichten auf? Wie kommt man glaubwürdig raus aus der Geister-Nummer? Wie schafft man es, dass „Das Nolden-Haus“ nicht wie ein Kartenhaus der Effekte in sich zusammenfällt? Vor einem ähnlichen Problem stand bereits vor zehn Jahren die zweite Episode der so erfolgreichen ARD-Donnerstagskrimi-Reihe, „Der wilde Sven“, in dem mit Fluch, Spuk und sehr viel Nebel der Wikinger-Mythos beschworen wurde.
Wer sich auf den Genre-Mix einlässt, der wird 90 Minuten abwechslungsreich unterhalten. Der Filmbeginn bei Nacht bricht bereits mit dem Gewohnten. Eine Eule wacht über den Hafen, Hollys Augen leuchten diabolisch, und die spiritistische Sitzung wirkt dank der Anwesenheit des launigen Bestatter-Pärchens nicht unfreiwillig komisch. Auch wenn das Medium alles gibt, liegt auch auf dieser Szene das für die Reihe so typische Augenzwinkern. Wenig später gibt es die ersten Schockeffekte, die sich als Fake erweisen: einmal gebiert der Schrecken eine Maus, was schön ist, weil so Tierärztin Jule eingebunden werden kann. Nach dem Galgentod entwickelt sich die Geistergeschichte mehr und mehr zu einem Cold-Case-Krimi. Die Figuren allerdings bleiben noch länger in der eisigen Stimmung des Nolden-Hauses gefangen. Und so macht sich Jule eines Abends auf, in der Hoffnung, der verstorbenen Inge Nolden noch einmal nahe zu sein. Daraus wird nichts. Was bleibt, ist Angst. Aber auch die sonst so besonnene Hannah Wagner ist ungewohnt schreckhaft, ist mehr und mehr angefasst von den Ereignissen und den alten Geschichten, in denen sich so viele schuldig gemacht haben. Wie die Nerven blank liegen, spürt man bei einer polizeilichen Inspektion des Hauses, bei der Jacobs seine Kollegin fast zu Tode erschreckt. Und nach 60 Filmminuten schlägt nicht die Stunde der Geisterjäger, sondern muss ein forensisches Expertenteam gerufen werden. Auch diese „Nord bei Nordwest“-Episode (Buch: Niels Holle) hat einen guten Flow. Der Genre-Mix funktioniert. Schließlich erwartet auch kein Zuschauer, dass hier bis zum Ende Geister den Ton angeben. Und so geht es aus dem Reich der Toten in die Welt enttäuschter Gefühle und übernatürlicher Leidenschaft.
- Nord bei Nordwest – Fette Ente mit Pilzen
- Nord bei Nordwest – Haare? Hartmann!
- Nord bei Nordwest – Auf der Flucht / Canasta / Natalja
- Nord bei Nordwest – Frau Irmler
- Nord bei Nordwest – Staffel 2022
Wer sich nicht gern in Filmen manipulieren lässt, der könnte mit einigen Situationen Probleme haben. Denn während es Szenen gibt, in denen die Spookiness mit unheilvollen Klängen, gespenstischen Gesängen und dem Edgar-Wallace-Käuzchen als Projektionen gelesen werden können, als die veräußerlichten Gefühle der sich fürchtenden Figuren, gibt es auch Szenen, die vor allem den Zuschauer verängstigen und verunsichern sollen. Das mag zu Horrorfilmen mit Geistern und Gespenstern gehören, in „Das Nolden-Haus“ wirkt dieser Genre-Ausflug dagegen eher wie eine falsche Fährte – und ist retrospektiv betrachtet nichts als ein äußerer Wirkfaktor, der mit der eigentlichen Geschichte nicht viel zu tun hat. Das mag der normale Zuschauer nicht so sehen. Der wird dafür vielleicht etwas die Dreiecksgeschichte vermissen. Das aber ist dem insgesamt etwas ernsthafteren Tonfall dieser Episode geschuldet. Und doch fällt auf, dass nach der vorigen Episode „Haare? Hartmann!“ Jacobs und Wagner öfter sehr nah beieinanderstehen, näher als das in den Filmen der letzten Jahre üblich war. Liegt da was in der Luft?