Es ist einiges im Gange in Schwanitz, ohne dass die Dorfpolizistin Lona Vogt (Henny Reents) oder ihr Aushilfssheriff Hauke Jacobs (Hinnerk Schönemann) Wind davon bekommen. Frau Irmler (Rosa Enskat), eine jahrelang in ihrer Ehe gedemütigte Frau, schlägt zurück, als der Göttergatte sich an ihrer geliebten Schildkröte vergreift. Jacobs wundert sich, ob der tiefen Verletzung im Panzer des Tiers. Er kann nicht wissen, dass die Expertin für Gartenarbeiten und Grabpflege ihre Heckenschere barbarisch zweckentfremdet hat. Zur gleichen Zeit wird Bent Fehrenkamp (Rainer Sellien) beim Strandspaziergang niedergeschlagen und dessen Tochter Wiebke (Valeria Eisenbart) entführt. Der Erpresser fordert 100.000 Euro, genau die Summe, die der Witwer in die Baufirma von Martin Mahlke (Andreas Nickl) stecken wollte, bevor er es sich anders überlegte. Natürlich bewahrt Fehrenkämper Stillschweigen, verstrickt sich aber in Falschaussagen, sodass Vogt und Jacobs wenig später in der Entführungssache ermitteln, während der Vater in Sorge um seine Tochter die Sache – sprich: die 100.000 Euro – dann doch wieder selbst in die Hand nimmt. Schicksal spielt bei den Vorfällen auch noch der Fehrenkampsche Hund: der wird von Jacobs LKA-Kollegen Timo Karstensen (Lasse Myhr) angefahren, womit er nicht nur die Dorfpolizistin auf die richtige Spur bringt, sondern auch noch eine amouröse Verbindung zu Jule (Marleen Lohse), der guten Seele der Tierarztpraxis, herstellen kann. Schließlich kommt es zu einer weiteren schicksalhaften Fügung. Diese ist allerdings verhängnisvoll – auch wenn Frau Irmler das ganz anders sieht.
Anders als in „Gold!“, dem relaxt erzählten siebten Film aus der etwas anderen Krimi-Reihe „Nord bei Nordwest“, geht es, angetrieben von der Koinzidenz der Ereignisse, in „Frau Irmler“ Schlag auf Schlag: die Heckenschere in der Halsschlagader, Überfall und Entführung, ein Unfall im Schock-Modus. Mit einer solchen Erzähllogik und einer geistig verwirrten Episoden-Hauptfigur wie dieser nach dem Tod des Mannes förmlich auflebenden Gärtnersfrau ist auch für den weiteren Verlauf der Handlung so gut wie alles möglich. Dabei beginnt das Ganze doch recht harmlos: mit einer verletzten Schildkröte. Nach 45 Minuten erfährt die Geschichte eine grundlegende Wendung, und Frau Irmler entdeckt ihr zweites Ich. Auf der Zielgeraden gibt es dann einen kapitalen Showdown – abermals mit Schildkröte und Gartenschere, mit Pistole und reichlich Spannung im Anschlag. Und dann wird sogar noch im Dialog das dramaturgische Prinzip des Films augenzwinkernd zum Besten gegeben: „Der Zufall ist das Glück des Schicksals“. Logik und Realismus werden also einmal mehr in dieser Reihe charmant außer Kraft gesetzt – und in diesem Ambiente scheint das keinen zu stören.
„Nord bei Nordwest“ ist die beliebteste Donnerstagskrimi-Reihe: die sechste Episode „Waidmannsheil“ holte vor einem Jahr 6,67 Millionen Zuschauer. Regie führte Felix Herzogenrath, der nun der erste Regisseur ist, der ein zweites Mal verpflichtet wurde. Im ARD-Presseheft sinniert auch er darüber, was das Schicksal ausmacht. „Ist es Zufall oder Fügung? Haben wir es alle in der Hand, unser Leben zu formen? Oder sind wir kleine Schiffchen auf den Wellen des Universums, und einige bilden sich ein, dabei das Steuer in der Hand zu halten?“ Mag das auch etwas zu hochgegriffen sein für diesen konsequent entwickelten, klar und klug geschriebenen, packend und mit Blick für die Schauspieler inszenierten Unterhaltungskrimi, so macht die Geschichte doch eines deutlich: der Zufall hat Prinzip. Außerdem passen solche Schicksalsfragen zu den unkonventionellen Figuren, welche im Angesicht von Landschaft, Wind & Wetter sich selbst gerne solche Sinnfragen stellen.
Wenn man es durch Vor- und Abspann nicht besser wüsste, würde man wahrscheinlich sagen: eine typische Holger-Karsten-Schmidt-Geschichte. Dabei ist das Drehbuch zu „Frau Irmler“ nun ausgerechnet das erste dieser Reihe, das nicht aus der Feder des Genre-Experten mit der besonderen Ironie-Note stammt. Niels Holle, der sich mit so unterschiedlichen Qualitätsformaten wie „Lerchenberg“ und „Schuld – nach Ferdinand von Schirach“ von den Leicht-und-Seicht-Produktionen („Der Landarzt“ oder „Familie Dr. Kleist“) seiner Gesellenjahre – hoffentlich endgültig – verabschiedet hat, gibt dieser Geschichte voller Unfälle & Zufälle einen schrägeren Ton als in der letzten Woche der Erfinder der Reihe seinem Drehbuch zu „Gold!“. Außerdem ist der Film weitaus spannender, obgleich auch hier das amourös-komödiantische Moment nicht zu kurz kommt. Wie auch stets bei Schmidt forciert die Geschichte der ebenso heimlich wie heimtückisch agierenden Titelfigur das filmische Erzählen – Blicke, Sehen, was passiert, und die Dialoge knapp und niemals nur als Informationsgeber. Oder Worte als Boten ungewollter Komik: „Können wir das heute Abend noch mal wiederholen“, fragt die Dorfpolizistin, die sich mit Frauke Jacobs auf dessen Boot betrinken wollte, dann allerdings selig entschlummert. Sie findet es höchst peinlich. Also die Frage, um es einen Tag später besser zu machen. Doch was rutscht der Schusseligen raus? „Sie müssen ja nicht mit mir schlafen, versprochen.“ Lona Vogt ist offenbar noch nicht ganz bei Sinnen: „Hab‘ ich das jetzt grad gesagt?“ Da bleibt ihr nichts anderes übrig als die Flucht. Und am Abend kommen natürlich andere Dinge dazwischen… (Text-Stand: 13.12.2018)