Theaterdialoge zu Beginn. Eine Familientragödie bahnt sich an. Wo der TV-Zuschauer in der ersten Reihe sitzt, wird für das Publikum vor Ort nur die Hörspielfassung gegeben. Die besten Plätze befinden sich schräg nebenan. In den Nachbarhäusern beziehen sie ihre Horchposten. Noch während im Wohnzimmer der Schaubs die Schreie verebben und das Blut auf den Gesichtern der Täter trocknet, entschließt sich Nachbarin Gerlinde (Anna Stieblich), zur Polizei zu gehen.
Architektur und Bildgestaltung erlauben keinen Ausweg. Im Vorort ist die Zeit stehen geblieben. Das beweist die Kuckucksuhr, davon zeugt jede Einstellung. In der Siedlung herrscht mehr Schatten als Licht, mehr geschlossener Raum als offene Wohnlandschaft. Die Haustür der Schaubs ist mit schmiedeeisernen Ranken verziert, nebenan bei der Nummer 60 brechen dicke Glasbausteine das Licht. Überall zugezogene Vorhänge, die Rollläden mindestens auf die Hälfte herabgezogen. Und immer alles ordentlich gerahmt. Wenn Nachbarin Gerlinde in die Nacht heraus lauscht, steht sie im Lichtquadrat des Fensters. Tagsüber ist es umgekehrt. Das Licht muss draußen bleiben, drinnen ist es dunkel. Hier will man nicht tot überm Zaun hängen.
Foto: SWR / Benoît Linder
Neben der ordentlichen Gerlinde Wagner (Anna Stieblich), die mit pflegebedürftiger Mutter und einer Menge Kirschlikör rechts von den verschwundenen Schaubs wohnt, schließt sich links der kontrollwütige Erwin Rammthor (Wolf Bachofner) mit Schäferhund Fritz an. Erwin steht gern mal ungefragt im Garten der Schaubs. Und egal, wo sie stehen: Fast jeder Auftritt einer Nebenfigur variiert das Thema Wut. Alle hier sind in Rente, alle haben Zeit, alle neiden einander irgendwas, alle haben Bedürfnisse. Die des manchmal seltsam traurigen und dann weich wirkenden Erwins werden ihm noch den Kopf kosten. Zuvor wird Erwin zur Schlüsselfigur. Er weiß mehr als andere und hilft – geht es nach seinen Regeln – sogar bei den Ermittlungen.
Die führen Stern (Lisa Bitter) und Odenthal (Ulrike Folkerts) freundlich und kompetent. Unterstützung kommt von Neuzugang Nico Laubinger („ich hab‘ noch keinen Dienstausweis“) und der Dialekt pflegenden Mara. Dienstbesprechungen fühlen sich in dieser Konstellation allerdings eher wie Eltern-Kind-Gespräche an. Das Drehbuch (Annette Lober) erliegt mehr als einmal der Versuchung: Wenn Profi Odenthal dem Kripo-Neuling Nico – und damit dem Zuschauer – bei Bedarf noch einmal die Zusammenhänge erklärt, wird einfach zu viel im Dialog runtererzählt. Dazu agiert das Ermittlerquartett wie im luftleeren Raum. Kein Staatsanwalt, keine Presse, kein Druck. Kaum Dynamik.
Foto: SWR / Benoît Linder
Dazu wirken die zentralen Personen in diesem Drama seltsam steif. Als Despot in Sandalen und Kurzarmhemd gibt Bruno Cathomas den grausig-kalten Despoten Gustav Schaub. Den Hieb mit dem Schürhaken fordert er geradezu heraus. Das Anlitz eines deutlich jüngeren Gustav Schaub taucht später nochmal in einer Überblendung vor dem inneren Auge seines Sohnes Mike auf. Die Halluzination findet jedoch keine Entsprechung und wirkt wie ein Bild, das Regisseur Didi Danquart fallenlässt, bevor es uns etwas sagen kann.
Nachdem sich das Netz um Mike Schaub (Jeremias Meyer) und seine Freundin Nisha (Amina Merai) zugezogen hat, wiederholt sich das gestalterische Prinzip bei den Befragungen auf der Dienststelle. Da ist es wieder, das gerahmte Licht. Diesmal streng symmetrisch verteilt. Wie in den Anfangssequenzen, in denen sich leiser Gesang einschlich und langsam steigerte, bleibt der Sound den anschwellenden Geräuschen treu. Das durchgehende Prinzip wird im zweiten Teil von schwelenden Elektrosounds übernommen. Eine letzte Choreografie führt zu sphärischen Klängen endlich ins Weite. Das Schlussbild sendet Grüße an Thelma und Louise. Und es tut gut.

