Es sei „ein Kommen und Gehen auf dieser Insel“, stellt Karin Lossow am Ende fest: Gemessen an der düsteren Dramenhandlung wirkt die Rückkehr von Ellen Norgaard wie ein leuchtender Stern am Firmament dieses 26. „Usedom-Krimis“. Nach der Geburt ihres Kindes war die suspendierte Polizistin bloß noch eine Nebenfigur, bis sie schließlich ganz verschwand. Die Filme waren weiterhin sehenswert, doch es fehlte ein wesentliches Element, zumal die von der Dänin Rikke Lyllof mit beinahe jugendlicher Frische versehene Kommissarin eine ausgezeichnete Ergänzung zu Katrin Sass war.
Nun ist Ellen wieder da, aber der Neustart geht erst mal schief: Bei einer Pinkelpause klaut ein Holzsammler den Umzugstransporter mit sämtlichen Habseligkeiten. Das ist zwar nicht lustig, aber witzig umgesetzt: Den Kindersitz hat der Dieb da gelassen, und so harren Mutter und Sohn am Straßenrand aus, bis sie abgeholt werden. Mit der eigentlichen Handlung hat der Vorfall nichts zu tun, doch er bereichert den „Usedom-Krimi“ um einen weiteren Aspekt, der zuletzt ebenfalls fehlte: Dank des kleinen Jesper tummelt sich jetzt wieder eine dritte Generation im familiären Gefüge des Kern-Ensembles. Sinnbildlich für dieses Potenzial ist eine Szene, in der der Junge vorsichtig Kontakt zu Polizistin Dorit (Jana Julia Roth) knüpft. Wegen des im Revier herzlich begrüßten wohlbekannten Neuzugangs verändert sich zudem die Gewichtung der zentralen Figuren, und das gilt nicht nur für die Ermittlungen.
Foto: NDR / Degeto / Oliver Feist
Mittelpunkt des Drehbuchs von Michael Vershinin, der die Reihe einst (damals noch als Michael Illner) gemeinsam mit Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint geschaffen hat, ist trotzdem ein Todesfall: Eine junge Frau ist mit Kopfwunde vom Kutter gestürzt, Fremdverschulden nicht ausgeschlossen. Dem interessantesten Aspekt dieser Ebene verdankt der Film seinen Titel: Geisternetze sind verlorene Fischernetze, die durch die Meere treiben und zur tödlichen Falle werden, weil sich Meeressäuger in den Maschen verheddern und ertrinken. Ein solches Netz ist zu einem Gedenkmal umgewidmet worden: Die beste Freundin der nun ebenfalls toten Suntje ist vor einiger Zeit ums Leben gekommen, als sie eine Robbe befreien wollte.
Rund um diese beiden Tragödien hat Verhinin, der an exakt der Hälfte der „Usedom-Krimis“ mindestens maßgeblich beteiligt war, ein familiäres Drama mit diversen interessanten Nebenrollen komponiert; dazu zählen unter anderem ein nicht nur aufgrund seines karierten Jacketts halbseiden wirkender Kommunalpolitiker, ein Zuhälter sowie eine ehemalige ukrainische Prostituierte. Alle drei haben entscheidenden Anteil daran, dass die Geschichte mehrfach die Richtung wechselt. Zentrale Figur ist jedoch Erik (Sammy Scheuritzel), der jüngere Bruder des Opfers. Die Mutter (Rosa Enskat) hat ihren Kindern den familieneigenen Kutter samt Fischereilizenz vererbt, damit jedoch ungewollt einen heftigen Streit ausgelöst: Suntje wollte das Boot umwidmen und Müll aus der Ostsee fischen, Erik wollte es verkaufen und den Erlös in eine neue berufliche Laufbahn investieren; das macht ihn prompt zum Hauptverdächtigen. Die ehemalige Staatsanwältin, von ihrem Neffen (Till Firit), dem Leiter der Polizeidienststelle, ohnehin auf Distanz gehalten, was die Kriminalfälle angeht, ist diesmal nicht Ermittlerin, sondern Vermittlerin: Die Mutter hatte sie gebeten, als Mediatorin zwischen den Geschwistern zu fungieren. Von Suntjes „Weltuntergangs-Tick“ hielt die Frau ohnehin wenig: „Familie kommt immer zuerst“. „Privat geht vor Katastrophe“, hieß es einst in der DDR.
Foto: NDR / Degeto / Oliver Feist
Vershinin bringt neben dem umfunktionierten Fischernetz noch weitere Utensilien ins Spiel, die sich am Ende allesamt zu einem rundum schlüssigen Gesamtbild fügen, darunter ein gestohlener teurer goldener Armreif, ein ADHS-Medikament und eine Wodkaflasche in der Küchenschublade. Angesichts dieses Reichtums an Details hielt es Steffi Doehlemann offenbar für geboten, die Inszenierung voll und ganz in den Dienst des Drehbuchs zu stellen: Anders als bei ihren letzten Arbeiten, „Flucht aus Lissabon“ (ZDF, 2015) sowie zwei ähnlich sehenswerten Beiträgen zur ARD-Reihe „Nord bei Nordwest“ („Kobold Nummer vier“, 2024, und „Fette Ente mit Pilzen“, 2025) setzt die Regisseurin kaum nennenswerte Akzente. Das gilt auch für die Bildgestaltung, wenngleich die Lichtarbeit (Kamera in allen vier Filmen: Oliver-Maximilian Kraus) hier wie dort herausragend ist; die typische Atmosphäre der Reihe hat das Duo jedenfalls perfekt getroffen. Für die gar nicht oft genug zu lobende, weil stets exzellente Musik von Colin Towns gilt das ohnehin.

