Nicht nur eine männliche Wasserleiche gibt Elena Weber (Julia Koschitz) Rätsel auf, auch das große Interesse eines ehemaligen Kollegen an diesem Fall irritiert sie. Hagen Benz (Heiner Lauterbach) hat vor zwei Jahren, kurz vor seinem Ruhestand, überraschend seinen Hut genommen. Möglicherweise lag es an seinem letzten Fall, den er nicht lösen konnte – ein Mord an einem Obdachlosen. Jetzt nimmt er an, dass beide Morde etwas miteinander zu tun haben. Der Fundort und die Todesursache sind ähnlich, und beide Männer hatten in etwa dasselbe Alter und ein überschaubares Sozialleben. Reicht das, um von demselben Mörder auszugehen? Weber ist sich sicher, dass Benz ihr etwas verschweigt. Wer ist beispielsweise dieser Felix (Christian Kuchenbuch): nur ein befreundeter Barbesitzer aus alten Zeiten? Oder dieser Sigi (Herbert Trattnig), zu dessen Wohnung Benz sich heimlich Zutritt verschafft: nur ein liebevoller Großvater? Der „harte Hagen“, wie ihn Ex-Kollegen nennen, bleibt für Weber schwer durchschaubar: das ZEN-Faible, seine japanische Kampfsportschule, durch die Mithilfe am Fall „Frieden finden“ wollen, sich an ihre Tochter Dorea (Stella Spörrle) ranwanzen – was für Motive stecken dahinter? Dabei weiß Weber noch nicht einmal etwas von Benz‘ schwer traumatisiertem Bruder Gunther (Uwe Preuss), der seit Jahren seine Wohnung nicht mehr verlassen hat.
Foto: Degeto / Christine Schroeder
Es ist ratsam, misstrauisch zu bleiben gegenüber der Titelfigur des ARD-Thrillers „Hagen Benz – Das Böse in Dir“. Dem Zuschauer geht es da nicht anders als der Kommissarin. Und selbst das Mehrwissen bringt den Betrachter auch nicht wirklich weiter. Die Dramaturgie arbeitet kräftig daran, diesem Benz eine mysteriöse Aura zu verleihen. Von Anfang an werden markante Zeichen gesetzt: Benz‘ Auftauchen am Fundort, das Abhören des Polizeifunks, ein kurzer Auftritt bei einem alten Bekannten, Ein-Wort-Kommunikation, ein Cocktail, der bestellt und nicht getrunken wird, vielsagende Blicke. Dazu gibt es Sekunden-Flashbacks in die Kindheit der beiden Benz-Brüder, die sich mit einem dieser Spielzeug-Klick-Fernseher aus den sechziger Jahren die Zeit vertreiben. Es werden angenehm wenig Worte gemacht. Schweigen ist Programm, auch was die Lebensgeschichten angeht. Einige Szenen, Sätze („Wie lange willst Du die Vergangenheit noch leugnen?“) geben weitere Rätsel auf. Die Geheimnisse der Vergangenheit sind das Fundament der Narration. Die Spannung resultiert aus dem Wunsch, Klarheit über die Geschichte zu gewinnen, weniger ist es Nervenkitzel, der einen fesselt. Um jemanden fürchten muss man nicht. Es dominiert auf allen Ebenen eine kühle Ästhetik der Distanz.
Das erweist sich als die besondere Stärke von „Hagen Benz“, die dem etwas anderen Ermittlerkrimi eine innere Stimmigkeit verleiht, die der vordergründige Plot auf den ersten Blick nicht immer besitzt. Die Gemeinsamkeiten der beiden Fälle erscheinen zunächst etwas weit hergeholt. Und dass sich die Kommissarin auf diesen übergriffigen Ex-Bullen einlässt und ihn sodann in ihrem Dienstwagen mitfahren lässt, sollte man als Sieg der Fiktion über Logik und Polizei-Realität lesen. So wie man „Das Böse in Dir“ vor allem als Genrefilm ansehen muss. So lassen sich die Ungereimtheiten aushalten. Überraschenderweise gelingt Autor Eckhard Vollmar („Kommissar Dupin“) und Regisseurin und Ko-Autorin Christine Hartmann („Charité III“) ein Finale, das – retrospektiv betrachtet – in dem bisher Erzählten keine groben Logik-Schnitzer erkennen lässt. Letztlich basiert die Krimi-Konstruktion auf nur einem einzigen Zufall. Es sind eher einige Sätze, die etwas irritieren. „Ich glaub‘ nicht, dass es eine Verbindung gibt zwischen den Opfern“, sagt Benz zur Halbzeit. Und weiter: „Der Mörder will gefunden werden.“ Steile These.
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Erfreulicherweise wurde den beiden Einzelgängern keine Liebesbeziehung ins Drehbuch geschrieben. Man spielte anfangs mit der Idee. Das allerdings hätte die im Film so wohldosierte Balance zwischen Benz und Weber zerstört. Gleich die erste Szene, in denen beide zu sehen sind, macht deutlich, dass hier kein einseitiges Katz-und-Maus-Spiel gespielt wird. Der Ex-Kommissar fotografiert Weber & Co am Fundort, doch die schießt mit ihrem Handy sofort zurück – aufs Nummernschild des ominösen Mannes. Diese Szene ist auch beispielhaft für das Distanz-Prinzip des Films: Die Kommissarin wird mit Rückenansicht eingeführt, 20 Sekunden lang bewegt sich Weber alias Julia Koschitz in Richtung Elbufer. Danach springt die Kamera auf die Brücke, übernimmt die subjektive, totale Perspektive von Lauterbachs Hagen Benz. Neben dem Abstand, den die Figuren zueinander einnehmen – auch Weber zu ihrer Tochter oder ihrem Kollegen (Paul Boche) oder Benz zu seinen alten „Freunden“, selbst zu seinem Bruder – bestimmt Reduktion die Dramaturgie sowie den Stil der Erzählung: minimierte Gesten, die Mimik verrät kaum Emotionen, hinzu kommen klare Konturen – Lauterbachs Charakterkopf, Koschitz‘ strenge Frisur und ihr ernster Blick. Kontrolle und Körperbeherrschung sind auch Merkmale der asiatischen Kampfkunst, mit der die Titelfigur gegen die Dämonen ihrer Vergangenheit angeht. Passend kühl sind außerdem Kamera und Szenenbild, und auch die Jahreszeit passt ins Bild. Ästhetisch und besetzungstechnisch stimmt also so gut wie alles.
Dramaturgisch ist die Geschichte nicht ganz so rund. Bei den Nebenfiguren fällt auf, dass sie in erster Linie die Funktion erfüllen, Weber und Benz zu charakterisieren. Für den Krimi-Plot besitzen allein Benz‘ Besuche bei seinen „alten Freunden“ Relevanz. Das angespannte Mutter-Tochter-Verhältnis geht kaum über das hinaus, was man aus unzähligen TV-Produktionen kennt. Das große Plus der Nebenfiguren sind allerdings die Locations, die sie mitbringen – die Bar von Felix und besonders das Restaurant von Elena Webers griechischer Mutter (Adriana Altaras): Hier muss die Kommissarin schon mal in der Küche aushelfen, hier kommt Dorea unter, wenn ihre Mutter keine Zeit hat, und hier besucht sie der coole Ex-Bulle zum spätabendlichen Plausch. Ein Ort, der über seine sinnliche Anmutung hinaus auch noch etwas vom Wesen der Titelfigur versinnbildlicht, ist das Kampfkunst-Studio. Ein Ort der Selbstermächtigung, nicht nur für Hagen („Beschützer“, bekannt aus dem „Nibelungenlied“) Benz, sondern in einer Szene auch für Webers Tochter, die in der Schule gemobbt wird. Das alles sind kluge, Atmosphäre-bildende Maßnahmen für diesen spannenden Hochglanz-Thriller.
Foto: Degeto / Christine Schroeder


1 Antwort
Nachdem die beiden prominenten Protagonisten ihr gegenseitiges Misstrauen in der ersten Hälfte des Films halbwegs beigelegt haben, wurde dieser Film zum halbwegs-interessanten Krimi-Drama…
Einen weiteren Film mit diesem Duo braucht es m.E. nicht.