Sonntagmorgen, Stedefreund stolziert triumphierend über den Flur des Polizeipräsidiums: „Fall gelöst, in nur 28 Stunden, null Schlaf.“ Als visuellen Beleg für die harte Arbeit hat man die Achseln von Schauspieler Oliver Mommsen mit gut sichtbaren Schweißflecken präpariert. Zum Schlafen kommen der Kommissar und seine Kollegin Lürsen (Sabine Postel) auch in den nächsten zwölf Stunden nicht, denn Bremen droht ein Anschlag von Öko-Terroristen. Es beginnt ein spannender Wettlauf, die Inszenierung von Florian Baxmeyer besticht durch ein hohes Tempo, und das Drehbuch von Christian Jeltsch wartet mit einer Reihe unkonventioneller Figuren auf. „Der hundertste Affe“ ist einer der stärkeren „Tatort“-Beiträge aus Bremen. Leider fehlt diesem Politthriller im Detail der letzte Schliff, die letzte Überzeugungskraft. Zum Beispiel agieren Mommsen und Postel derart routiniert, dass von Erschöpfung oder aufgekratzter Schlaflosigkeit, von dem Adrenalin, das sie aufgrund der außergewöhnlichen Bedrohungslage wach hält, wenig zu spüren ist.
Foto: RB / von Schultzendorff
Dafür haben dann einige „Gäste“ Gelegenheit zu glänzen. Vor allem Luise Wolfram als BKA-Expertin Linda Selb. Die hochintelligente Soziopathin ist äußerst selbstbewusst („Ich bin die Beste – wenn man mich in Ruhe lässt“), zielstrebig und im persönlichen Umgang etwas eigen. Den Kontakt mit Menschen meidet sie, aber Stedefreunds Knackarsch hat es ihr dann doch angetan. Auch in dieser Hinsicht ist sie entwaffnend offen: „Sex? Später, wenn das alles vorbei ist.“ Selb ist jedoch kein schmuckes Beiwerk, sondern der eigenwillig operierende Super-Cop, der die Aufklärung maßgeblich vorantreibt. Der Flirt nimmt angesichts der sich überschlagenden Ereignisse auch keinen allzu großen Raum ein, sorgt aber für eine lockere Hintergrund-Spannung. Zwar wird die Sache am Ende auf angenehm unspektakuläre Weise aufgelöst, das harmlose Happy End lässt den brisanten Film allerdings arg brav ausplätschern.
Als zweiter „Gast“ bringt auch Barnaby Metschurat eine besondere Note ein. Metschurat spielt maximal unterkühlt Helmut Lorentz, den Leiter des Krisenstabs, einen knochentrockenen Typen, den nichts aus der Ruhe bringen kann. Zu Beginn wirkt Lorentz wie das Fleisch gewordene Beamten-Klischee, das die bevorzugte Kaffee-Sorte in der Aktentasche eigens mitbringt. Doch seine Autorität, die er im Krisenstab ausstrahlt, und das Finale, in dem er überraschend zupackend handelt, machen neugierig auf diese Figur und seine Vorgeschichte. Ein Wiedersehen mit Lorentz und Linda Selb wäre sicher kein Fehler.
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Die Jagd beginnt mit einer Mail an die Polizei, die Bilder von 57 Toten in Mali und eine erpresserische Forderung enthält: Der inhaftierte Urs Render (Manfred Zapatka), ehemaliger Forschungschef des Biotechnologiekonzerns Sachs, soll freigelassen werden. Gegen Render soll in wenigen Tagen der Prozess eröffnet werden, weil er das Forschungslabor in Brand gesteckt hatte. Bisher hat er geschwiegen, nun wollen ihn die Erpresser dazu bringen, die Sachs-Praktiken öffentlich zu enthüllen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die Öko-Aktivisten eine Dusche im Stadionbad präpariert. Als die Dusche am Morgen von der ersten Schwimmerin benutzt wird, strömt blutrote Flüssigkeit aus der Leitung. Ein starkes Bild und eine ungewöhnliche Todesursache für einen „Tatort“, denn die Frau stirbt einfach vor Schreck, während das Wasser nur mit Lebensmittelfarbe versetzt war. Das wirkt etwas konstruiert, erfüllt aber seinen Zweck: Angesichts des tödlichen Ausgangs reagiert die Polizei alarmiert und richtet den Krisenstab ein.
„Der hundertste Affe“ ist ein weiteres Beispiel für den Kapitalismus-kritischen Bremer Ansatz. Sachs lebt vom Verkauf von Pestiziden an Länder der Dritten Welt. Den Pflanzen aus genmanipuliertem Saatgut kann das Produkt „Stargophyl“ nichts anhaben, ansonsten aber vergiftet es Mensch und Umwelt. Von Beginn an weiß man, wer hinter der Erpressung steckt, was dem Film aber nicht die Spannung nimmt. In ihrer ersten „Tatort“-Rolle ist Friederike Becht als alle moralische Maßstäbe über Bord werfende Öko-Aktivistin zu sehen. In kurzen Rückblenden wird die Vorgeschichte von Luisa Christensen und ihrem in Mali getöteten Mann Tom erzählt, die in Video-Blogs vergeblich versucht hatten, die Welt aufzurütteln. Ihren Leitsatz („Wenn nur genug Menschen etwas für wahr halten, dann wird das für alle wahr“) hat Autor Jeltsch aus einer – nach eigenen Worten – wissenschaftlichen „Legende“ formuliert: Auf einer Insel wurden alle Affen mit Kartoffeln gefüttert. Nur einem wurde beigebracht, die Kartoffeln zu waschen. Aber als der hundertste Affe dieses Verhalten ebenfalls an den Tag legte, sei die „kritische Masse“ erreicht und das Waschen von allen übernommen worden.
Foto: RB / von Schultzendorff
Auch ohne diesen biologistischen Überbau versteht man, dass es Luisa um größtmögliche Aufmerksamkeit geht. Die zerbrechlich wirkende Becht spielt diese Figur kraftvoll und sehr entschlossen, während ihre beiden Komplizen eher Erfüllungsgehilfen für die Handlung sind. Der eine ist Hacker und in Luisa verliebt, der andere arbeitet beim Technischen Hilfswerk. Über dessen Motive und Vorgeschichte erfährt man gar nichts, und falls seine dunkle Hautfarbe als Indiz für irgendetwas gelten sollte, wäre das ein bisschen simpel. Die extremen Taten müssen letztlich rätselhaft bleiben. Die Bereitschaft, wahllos Unschuldige zu töten, ist aber vermutlich auch aus der Verzweiflung erwachsen, dass die eher unkritische Masse die Ungerechtigkeiten in anderen Weltregionen einfach nicht zur Kenntnis nehmen will.
Mit ausladenden Botschaften kommt uns der Film jedoch nicht. Es gibt, insbesondere wenn Lürsen beteiligt ist, den einen oder anderen Dialog mit politischem Inhalt, mit kritischen Bemerkungen zur Proftgier oder zu „Mutti“ Angela Merkel. Doch der Thrill steht im Vordergrund und bestimmt den Rhythmus. Die Kamera, die manchmal ein bisschen zu hektisch Actiongefühl herbei wackelt, rückt allerlei Wasser-Motive ins Bild. Und Jeltsch zieht einige Register, die dem Publikum die Verletzlichkeit des Großstadtlebens vor Augen führen sollen. Wird das Gift mit Drohnen verspritzt? Oder sogar in die Trinkwasserleitungen eingespeist? Der Autor schreckt nicht vor einem Worst-case-Szenario zurück, doch Baxmeyer inszeniert die Katastrophe zurückhaltend. Auch in diesem Sinne scheint das Potenzial des Stoffs nicht ausgeschöpft. Was ein solcher Anschlag für das Leben in einer Großstadt bedeutet, wird allenfalls angedeutet. Im Vordergrund bleibt die Verbrecherjagd, die nach gut 70 Minuten eine überraschende Wende nimmt und schließlich in einen Showdown mit medienkritischem Beiklang mündet. Denn die Meute der Reporter interessiert sich nicht für die Verbrechen und die Toten in Afrika, sondern nur für die vor der eigenen Haustür.