In Saarbrücken wird in der Nacht ein Geldtransporter überfallen. Es sind offensichtlich Profis am Werk. Alles geht rasend schnell, eine gewaltige Sprengung verschafft den Räubern den Zugang zur Ladefläche. Ein Störsender macht einen Notruf unmöglich. Die Ringfahndung wird entsprechend spät eingeleitet. Zu spät. Die Täter sind mit einer Beute von mehreren Millionen Euro über alle Berge. Ein Opfer gibt es auch zu beklagen: Ein Wachmann, der in Panik geriet, verließ zu früh den Wagen und wurde von einer zweiten Explosion erfasst. Der andere Wachmann (Mücahit Altun) wirkt zwar ernsthaft verstört, könnte aber indirekt am Überfall beteiligt gewesen sein. Erste Spuren führen Esther Baumann (Brigitte Urhausen) ins französische Nachbarland zu einem schnöseligen Bonvivant (Daniel Séjourné). Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer), beide aktuell nicht in bester psychischer Verfassung, knien sich dennoch rein in den Fall, machen die Nacht zum Tag – und stoßen auf Carla Radek (Lena Urzendowsky), eine traumatisierte junge Frau, die als Kind von ihren Eltern verlassen wurde, damit diese fortan ein Bonny-&-Clyde-Leben führen konnten. Wenig später geraten Heinrich und Schürk in einen Hinterhalt, dem eine Geiselnahme folgt. Und plötzlich ist die in Frankreich jahrelang abgetauchte Béatrice Radek (Sabine Timoteo) wieder im Spiel. Was wird die Familienzusammenführung wohl bringen?
„Money must be funny.“ Aber auch die Liebe ist eine der Triebkräfte des Lebens. Im „Tatort – Das Ende der Nacht“ geht es um viel Geld, das geraubt wird und wurde, doch der Motor dieser Geschichte von Autorin Melanie Waelde, die schon für den SR-„Tatort – Die Kälte der Erde“ das Buch schrieb, ist die Suche nach der verlorenen Liebe der Eltern. Adam Schürk treibt bekanntlich ein ähnliches Problem um. Auch er hatte einen Verbrecher als Vater, mit dem Unterschied: dieser war anwesend und hat den Jungen gequält. „Ich bin froh, dass er tot ist“, sagt Adam zu seiner Mutter. „Und trotzdem bist du wie er“, erwidert sie. Carla Radek, die über zehn Jahre keinen Kontakt zu ihren Eltern hatte, hat den Schmerz, „das Loch in der Seele“, anders bewältigt als der Kommissar: Sie beantwortet ihre Verletzung nicht mit offener Kritik, mit Rebellion, mit Wut, sondern vergöttert ihre Eltern geradezu. Sie ist erwachsen und doch Kind geblieben, steckengeblieben in einer vorpubertären Phase. Den Satz „Wer liebt, der ist auch da“, kontert sie voller Überzeugung: „Ich glaube schon, dass meine Eltern mich geliebt haben, aber sich selbst halt mehr.“ Nicht ihre Eltern zieht die junge Frau zur Rechenschaft, nein, sie sucht die Schuld bei sich („Ich muss irgendetwas falsch gemacht haben“). Lena Urzendowsky, prädestiniert für Problem-Girlies, spielt diese schwierige Gratwanderung einmal mehr preiswürdig. Lange Zeit bleibt einem diese Figur – psychologisch, aber vor allem narrativ – ein Rätsel. Man weiß nie genau, wann diese junge Frau die Wahrheit sagt und wann nicht. Ihre Panikzustände sind nicht gespielt. Und auch ihre Schicksalsgeschichte (ihr Ende der Nacht) berührt nicht nur die Kommissare.
Nach dem packend inszenierten, Action-haltigen Raub schwenkt der „Tatort“ von Tini Tüllmann („Freddy/Eddy“) vorübergehend um in einen konventionellen Ermittler-Krimi: Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) & Co sammeln die Fakten, erklären sich gegenseitig und dem Zuschauer den Fall und ziehen mögliche Schlüsse daraus. Das ist wenig aufregend, nur jünger und cooler, etwas egozentrischer und dysfunktionaler als bei den gestandenen ARD-Kollegen. Doch mit jener Carla Radek, die nach 20 Filmminuten hochintensiv eingeführt wird mit einer fast vierminütigen Szene, die gefühlt beste des Films, und mit dem Auftauchen ihrer Mutter 15 Filmminuten später verändern sich Geschichte, Genre und Tonlage grundlegend: Es entwickelt sich ein wilder Mix aus Polizeifilm, Gangster(pärchen)ballade, Familien- und Geiseldrama, welcher die Ermittler-Routine aufregend sprengt. Bei vier Kommissar:innen kann viel passieren und viel außer Kontrolle geraten. Da ist es gut, dass Hölzer und Baumann nicht auch noch mit eigenen Geschichten und Befindlichkeiten ausgestattet wurden. „Ich hasse euch“, sagt Baumann und geht zur Tagesordnung über. Und Hölzer muss den Laden zusammenhalten, fungiert vor allem als „Vermittler“ zwischen ihr und den beiden Grenzgängern Schürk und Heinrich. Dabei mag sein Freund, insbesondere durch das Spiel von Daniel Sträßer, gelegentlich etwas über das Ziel hinausschießen („Gibt’s nicht irgendwas, was man gegen das Arschlochsein tun kann?“) – trotzdem stimmt die Mischung, und dieser Charakter passt zu diesem zunehmend rüden und sprunghaften Film, bei dem es keine Haupt- und Nebensachen gibt. Die Psyche der Charaktere und die Gespräche zwischen Geiselnehmer und verletzter Geisel sind mindestens so aufregend wie das Geiselnahme-Drama selbst oder der fulminante Krimi-Showdown in einem Bunker, der mit einem dramatischen Cliffhanger (für ein Jahr!) endet.
Die Plot-Beschreibungen von „Das Ende der Nacht“ müssen vage und wenig konkret bleiben, um dem Zuschauer nicht die Lust an diesem „Tatort“ zu nehmen. Nur noch so viel: Hölzer und Schürk werden es mit einem alten Bekannten (aus „Die Kälte der Erde“) zu tun bekommen, mit einem, der immer schon gern Geld abgegriffen hat, sich diesmal aber besonders dumm anstellt. Damit bleiben die Saarländer ihrem Hang zum horizontalen Erzählen treu. Ganz besonders spiegelt sich die Vergangenheit in den Charakteren. Adam Schürk kann den Erinnerungen an sein Elternhaus nicht entfliehen, er bleibt der Problembulle par excellence. Unterstützt bei seinem Leben am Rande des Abgrunds wird er von Kollegin Pia, die mit ihrer Tablettenabhängigkeit über kurz oder lang zum Problem für die Kollegen werden könnte. Diesmal noch sorgt die Abgedrehtheit der beiden für einen der schönsten Momente des Films: Verloren streifen sie durch die Nacht, lassen sich treiben, sie tanzen und blicken sich tief in die Augen (um sich selbst im Anderen zu erkennen?).