Tatort – Das fleißige Lieschen

Burlakov, Sträßer, Schaad, Führmann, Hölzemann, Theede. „Was wisst Ihr schon!?

20.01.2025 21:45 HR
27.01.2025 22:00 rbb
Foto: SR / Manuela Meyer
Foto Rainer Tittelbach

Die neuen „Tatort“-Kommissare des Saarländischen Rundfunks sind keine Charaktere, die der Zuschauer sofort in sein Herz schließen wird – und sie sind jung: Vladimir Burlakov und Daniel Sträßer, die ihre Sache gut machen, sind Jahrgang 1987. „Das fleißige Lieschen“ (ProSaar) thematisiert dies klugerweise indirekt, indem Autor Hölzemann einen greisen Unternehmer, dessen Geisteshaltung knietief im Urschlamm des Dritten Reichs verwurzelt ist, zum Gegenspieler macht. Gut auch, den beiden nicht nur eine gewichtige Backstory zu verpassen, sondern sie auch in einem mit eindrucksvollen Rückblenden vermittelten B-Plot explizit zu erzählen. Vergleicht man den Einstand von Burlakov & Sträßer mit dem von Maximilian Brückner & Gregor Weber oder mit dem von Devid Striesow, so hat der SR dazugelernt… Ist dieser fast durchweg gut gespielte und von Christian Theede grundsolide inszenierte Krimi auch nicht frei von Klischees, so lässt er einen doch nicht unberührt.

15 Jahre haben sich Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) und Adam Schürk (Daniel Sträßer) nicht mehr gesehen. In ihrer Jugend waren sie beste Freunde. Jetzt sind beide bei der Kripo und ermitteln gemeinsam in ihrer Heimatstadt Saarbrücken. Sie haben einander gefehlt, können ihre Freude über das Wiedersehen aber nur schwer zeigen, etwas scheint zwischen ihnen zu stehen. Es gab damals offensichtlich eine gemeinsame Erfahrung, die zum Bruch führte. Der neue Fall ist auch nicht gerade förderlich für Schürks unbelastete Rückkehr in die Heimat. Der Haupterbe und Inhaber einer traditionsreichen Tuchfabrik ist ermordet worden, mit 60 Stößen, ein langsamer, qualvoller Tod. Tatverdächtig ist der ältere Bruder (Moritz Führmann) des Toten. Obwohl er dem offenbar Spielsüchtigen immer wieder aus der Patsche helfen musste und für die Firma eindeutig der sehr bessere Chef gewesen wäre, steht er kurz davor, von seinem Großvater enterbt zu werden. Dieser Bernhard Hofer (Dieter Schaad) führt ein strenges Regiment und er hasst geradezu seinen – wie er sagt – „entarteten“ Enkel. Bei Schürk, der ähnliche Konstellationen aus der eigenen Familie kennt, reißen alten Wunden auf. Als ob er seine eigene Biographie aufarbeiten wollte, verbeißt er sich in die Firmengeschichte: Hofer & Söhne beschäftigte Zwangsarbeiter, weigerte sich jedoch strikt, Entschädigungen zu bezahlen. Erst der Sohn dieses Patriarchen alter Schule wollte einen anderen Kurs einschlagen, bevor er eines Morgens in einer der Farbwannen gefunden wurde. War es wirklich Selbstmord?

Tatort – Das fleißige LieschenFoto: SR / Manuela Meyer
Die zweite Szene des Films: ein Familienfest, bei dem der Zuschauer ins Bild gesetzt wird über Hofer & Söhne, den Traditionsbetrieb wie die zerstrittene Sippschaft. Doch wer glaubt, ein handelsüblicher Whodunit würde hier seinen Anfang nehmen, sieht sich bald angenehm getäuscht. Gabriel Raab, Jana Klinge, Moritz Führmann, Marita Breuer

Die beiden neuen „Tatort“-Kommissare des Saarländischen Rundfunks sind jung: Vladimir Burlakov und Daniel Sträßer sind Jahrgang 1987. „Das fleißige Lieschen“ thematisiert dies klugerweise indirekt, indem Autor Hendrik Hölzemann einen greisen Unternehmer, dessen Geisteshaltung knietief im Urschlamm des Dritten Reichs verwurzelt ist, zum Gegenspieler macht. „Was wisst Ihr schon!?“, ätzt „der Alte“ gegen Schürk. Dem Kommissar aber reicht, was er weiß. Er hatte einen brutalen Vater, der ihm das Leben zur Hölle gemacht hat; dabei war Adam als Teenager alles andere als ein Weichei. „Die Starken herrschen und die Schwachen dulden – das ist das Gesetz.“ Wenn er so etwas hört, könnte er ausrasten. Auch Hölzer weiß genug: er kennt des Freundes schreckliche Jugenderfahrungen; er hat sie hautnah miterleben müssen. Und auch er ist nicht frei von psychischen Belastungen. Offensichtlich hat er eine Schießhemmung. Bei einer Verfolgungsjagd bleibt er zweiter Sieger – und überhaupt: Er ist nicht der physische Bulle, der sich anderen in den Weg stellt – was unter anderem zu allerhand Getuschel unter den Kollegen führt. Sein diffuses Verhalten in Ausnahmesituationen könnte aber auch mit dem dunklen Geheimnis zu tun haben, welches die Freunde verbindet.

Junge Ermittler dürften in einer Reihe wie „Tatort“ mit seinen zahlreichen langlaufenden Ablegern und eingespielten Teams beim durchschnittlichen ARD-Zuschauer anfangs eher Skepsis als Neugier auslösen. Mögliches Vorurteil auch hier: „Was wisst Ihr schon!?“ Die Entwickler des Projekts taten deshalb gut daran, den beiden also nicht nur eine gewichtige Backstory zu verpassen, sondern sie auch in einem mit eindrucksvollen Rückblenden vermittelten B-Plot explizit zu erzählen. So könnte ihnen das Schicksal der drei Jungspunde vom MDR-„Tatort“ erspart bleiben, deren jugendlicher Habitus und Figuren-Setzungen einfach nur gewollt wirkten, weil sie sich nicht konkret in der Geschichte glaubwürdig darstellten. Vergleicht man den Einstand von Burlakov & Sträßer mit dem von Maximilian Brückner und Gregor Weber, damals auch ein junges Duo, so hat – was man 14 Jahre später auch erwarten kann – der SR einiges dazugelernt, vor allem aber zeigt dieser Vergleich, wie sich die Konzeptionen und das Geschichtenerzählen weiterentwickelt haben: Baute man früher noch auf überdeutliche Gegensätze in Form äußerlicher Eigenschaften oder erfand einen klischeehaften Grundkonflikt (der Saarbrücker Beamte wurde übergangen, der neue Chef kam von außen – aus Bayern!), so setzt man heute eher auf innere Werte, auf individuelle Mentalitäten, mit denen sich Geschichten zum Schwingen bringen lassen. Hölzer und Schürk sind verschieden, keine Frage, aber ihre gemeinsame emotionale Basis ist groß.

Tatort – Das fleißige LieschenFoto: SR / Manuela Meyer
Luft nach oben bei der Figurenzeichnung: Hauptkommissarin Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) und Hauptkommissarin Esther Baumann (Brigitte Urhausen). Anders als beim Striesow-„Tatort“ liegen die „Defizite“ nicht an der Besetzung.

Was das hierzulande als Qualitätskriterium immer noch sehr beliebte Thema „Glaubwürdigkeit“ angeht, lässt sich zu „Das fleißige Lieschen“ einiges anmerken. Dass zwei alte Freunde sich zufällig in ihrer Heimatstadt als die beiden einzigen Hauptkommissare wiedertreffen, das ist natürlich der Zufall pur und schon eine gewagte (Voraus-)Setzung. Aber wenn sich damit auf längere Sicht etwas Spannendes erzählen lässt – warum nicht?! Auch das Geheimnis ist harter Tobak. In Zeiten des Serienbooms, der sehr viel wilderes und genrehaltigeres Erzählen mit sich bringt, ist so eine steile biographische These auch eine Chance. Und auch hier gilt: Gut, wenn sich daraus ein packender horizontaler Strang entwickelt; was allerdings für einen Sender, der nur einen „Tatort“ pro Jahr produziert, eine Herausforderung ist. Der letzte Satz im Film jedenfalls kündigt eine clevere Wendung an, die neugierig macht und die nahelegt, dass die beiden Kommissare ihre Vergangenheit nicht werden abstreifen können. Ihre Lebensgeschichte wird sich auch in die weiteren Fälle einschreiben. Damit wirkt das Konzept um einiges durchdachter als der anfangs konfuse, aufgesetzt schräge Versuch, Devid Striesow als SR-Kommissar zu etablieren.

Hölzer und Schürk sind keine Charaktere, die der Zuschauer in den ersten 90 Minuten sofort in sein Herz schließen möchte. Die erste Szene des Films zeigt den Heimkehrer, wie er einem Vater, der seinen Sohn im Bus zusammenstaucht („Was bist du für ein Schlappschwanz“), mit den Worten „Hey, Arschloch“ unbemerkt einen Ko-Schlag versetzt. Auch später bleibt die Figur, die Daniel Sträßer mit dramatischem Tiefgang und ohne ein Lächeln verkörpert, ein Stück weit undurchschaubar, und selbst als man die Vorgeschichte kennt, macht das aus Schürk keine wirklich sympathische Figur. Ein gefundenes Fressen für den Burgtheater-Schauspieler, der in Top-Produktionen wie Petzolds „Polizeiruf – Kreise“ oder Schwochows „Pfeiler der Macht“ zwar präsent, aber bisher noch in keiner Hauptrolle zu sehen war. Hölzer indes, der Prototyp des Analytikers, des Schauenden, Reflektierenden und Abwartenden, ist auch nicht unbedingt der Kumpel-Typ, mit dem jeder Zuschauer gleich einen trinken gehen möchte. Aber Vladimir Burlakow, seit 10 Jahren erfolgreich im Geschäft, mal sympathisch („Marco W. – 247 Tage im türkischen Gefängnis“), mal sardonisch („Dein Leben gehört mir“), spielt ihn als sanften Melancholiker, dem zumindest einige Frauenherzen zufliegen werden. Beide sind klassische Blick-Schauspieler, die nicht zu viele Worte machen müssen. Das hat Potenzial für die weiteren Geschichten, und das sollten die künftigen Autoren nutzen.

Tatort – Das fleißige LieschenFoto: SR / Manuela Meyer
Patriarch alter Schule, dessen Geisteshaltung noch knietief im Urschlamm des Dritten Reichs steckt: Hofer (Schaad). „Die Starken herrschen und die Schwachen dulden.“

Für den ersten Fall des neuen „Tatort“-Teams heißt es: inhaltlich nicht zu viel verraten. Es ließen sich sonst zu leicht Rückschlüsse ziehen auf den Ausgang des Krimis. An dieser Stelle also nur ein paar dramaturgische Anmerkungen. Wer in der zweiten Szene noch befürchten muss, dass sich „Das fleißige Lieschen“ zu einem Bilderbuch-Whodunit entwickeln wird, sieht sich erfreulicherweise bald getäuscht. Die Tafel ist festlich gedeckt für Familie, Firmenangestellte und Freunde, aber am Ende werden nur zwei der hier Anwesenden in die Handlung eingreifen: der Machtmensch und „der Schwächling“, der Großvater und sein ihm verhasster Enkel. Bei den Rückblenden braucht man eine gewisse Zeit, bis man sie versteht und weiß, wer hier wer ist. Das macht aber nichts, da auch das Geheimnis ohnehin lange Geheimnis bleibt. Dessen Aufdeckung ist im Übrigen nicht weniger interessant als die Aufklärung der Tötung. Es gibt eine gewisse Parallelität zwischen aktuellem A- und vergangenem B-Plot. Fast hofft man am Ende, dass sich die Kommissare, eingedenk ihrer eigenen Biographie, anders verhalten würden. Auch wenn dieser „Tatort“, der einer der letzten Ausflüge in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte sein dürfte, der mit noch lebenden Tätern und Opfern operieren kann, schon eine kühne Konstruktion ist, so trifft sie am Ende trotz dieser so distanziert wirkenden Kommissare doch emotional ins Schwarze. Ist dieser fast durchweg gut gespielte und von Christian Theede („Nord bei Nordwest – Gold!“) grundsolide inszenierte Krimi auch nicht frei von Klischees und einigen für die Handlung nicht zwingenden Figuren – so dürfte doch am Ende kaum ein Zuschauer unberührt oder zumindest ein wenig nachdenklich aus dem Film entlassen werden. (Text-Stand: 15.3.2020)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ARD Degeto, SR

Mit Vladimir Burlakov, Daniel Sträßer, Dieter Schaad, Moritz Führmann, Marie Anne Fliegel, Marita Breuer, Axel Siefer, Jana Klinge, Brigitte Urhausen, Ines Marie Westernströer, Gabriel Raab, Torsten Michaelis, Robert Gallinowski, Marc Oliver Schulze

Kamera: Simon Schmejkal

Szenenbild: Andreas C. Schmid

Kostüm: Daniela Thomas

Schnitt: Martin Rahner

Musik: Dominik Giesriegel

Redaktion: Christaian Bauer (SR), Birgit Titze (Degeto)

Produktionsfirma: ProSaar Medienproduktion

Produktion: Martin Hofmann

Drehbuch: Hendrik Hölzemann

Regie: Christian Theede

Quote: 10,44 Mio. Zuschauer (27,5% MA)

EA: 13.04.2020 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach